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Gedichte, Lyrik, Poesie

Die Treppe zum Nordlicht
162 Bücher



Theodor Däubler
Die Treppe zum Nordlicht . 1. Auflage 1920



III

Ein schweres Grau vernebelt meine seltnen Träume.
Und doch, in diesem Nebel lebt auch Nebelgaukelei.
Bewegen sich, verhandeln unter sich verhüllte Bäume?
Sie packen mich vielleicht. Ein Arm! Und mir gelingt kein Schrei!
Doch die Besinnung kommt: ich bin vielleicht im Sturm ertrunken.
Wie gut, sofort zu wissen, daß man schon gestorben ist.
Das sind Gespenster: Nebelungen, wirr durchblitzt von Funken!
Nun folgen Stillere. Und diese sprech ich an mit List:
"Es loben alle guten Geister Gott den Herrn!
Seid ihr schon tot, und leb ich noch in meinem Leib,
So helf ich euch für eine Antwort oben gern.
Drum sagt: ist hier der Seelen sternender Verbleib?"
Noch lauter! Lispelt jemand? Still, ich kann noch nichts verstehen:
Doch knistert was. Und Funken sinds: elektrische. Bestimmt!
Ich spüre unter Neblingen auch deutlich Riesen gehen:
Jetzt scheinen alle wie von einem innern Mond durchglimmt.
Mich selber trifft ein Strahl: ich bin mir durchsichtig geworden!
Die Nebel hellen auf und sind nun wasserhaft und klar.
Ein Seelensee aus Heldischen und eingelullten Horden
Erwandelt sich im Geist und bietet seine Weite dar.
Ein Nachen ohne Segel kommt an mich herangeschwommen.
Ich steige ein und merke gleich, daß ich der Fährmann bin.
Mein Ich wird Wir: mich hat noch manches Boot rasch aufgenommen.
Und jedes lenkt sich selbst, doch huschts dabei nach meinem Sinn.
Der Name "Nachen" hat nun klar zu sternen angefangen.
Er schimmert weiß. Er flimmert rot. Ein holdes Herzgebild.
Der Nachen mag mir nach: als "alle" nah ans Ich gelangen.
Das faß ich kaum und halte nichts: ich wirre, hetz mich wild!
Der Nachen kam zu seiner Tat! Nun sprüht durch mich "das Nachen."
Es herzt sich an: ein Blutrubin; brillantet rings mir nach.
Mein Wir macht wirr, doch ich enthusche ihm durch einen Rachen.
Ich stürze ab. Ein Schrei. Und werde etwas unten wach.
"Du mußt von Stufe dich zu Stufe fernst noch unterstufen!"
Das munkelt durch mich durch, und gleich darauf gellts laut: "Du fällst!"
Ich dunklere im Dunkelsten schon auf. Doch wer kann rufen?
Nun fühlt das Ich sich eingegrottet und zutiefst umfelst.
Ein alter See, die Seele in der Schwermut, muß sich runden.
Auch er birgt Gold, ist quellenbraun und klar. Er ruht.
Die Höhen um ihn her zertreppen sich mit offnen Wunden.
Aus ihnen schattet gallertartig eine Rattenbrut.
Wie spürt man den Saturn! Er kann sogar sich kenntlich machen.
Sein Blei sind wir, nicht der gehellte Klumpen in der Nacht.
Du stürzt doch ein? Wie sollten da nicht auch Gebirge krachen!
Das Urgewicht im Ich hat den Saturn durch Zorn entfacht.
Die Taumelnden, die niederruscheln, ekeln mich beim Teiche.
Ich mag davon. Jetzt blüht ein blaues Fünkchen sternig auf.
Ein neues! Viele. Sie entketten mich im Graubereiche!
Mein Griff wird Hand. Ich faß die Sterne rasch und stürz zum Lauf.
Auch fall ich schon: um eine Stufe tiefer fast, nach unten,
Und bin, ein Baumelnder und Baumelnde, das Blatt im Wind!
Wir wollen tiefer noch, wo liebe Sternlein zag zerbunten
Und Wiesen weit um Welther-Eingeweihte blumig sind.
Es wird uns nie erlaubt, in solche Reiche zu gelangen:
Es ist schon ein Geschenk, daß ich die Götter sehen darf.
Dort weilen sie durch Jupiter. Erblaßt: mit zarten Wangen,
Doch wandeln sie in Macht: die Augen blicken scharf.
Sie mögen uns wie Hängewesen im Geäst gewahren:
Jetzt winkt sich Hermes einen mir gewohnten Vogel zu,
Der nistet um das Herz: und wird Harpie mit Frauenhaaren.
Doch er entdeckt mir auch den Mund beglückter Götterruh.
Er singt in unsrer Sprache durch den Vogel süß mein Lied:

"Du liebst den Urverborgenen, vor dem man kniet.
Es bleibt mit ihm dein Weltdurchsternen traut gepaart.
Sein Ich, das uns mit der Unendlichkeit versieht,
Hat hohe Wesen um sein Erzbestehn geschart.

Du sprichst sie "heilig" aus als Himmelshierarchie!
Ich fühle sie voll Menschlichkeiten ganz in mir.
Doch sie verwehen auch als Hellas' Götter nie:
Denn es bekreist sie wachsam ihr gestirntes Tier.

Jetzt schwebt der Aar. Bei Jupiter bleibt er geweiht.
Er spendet hier den Wesen ihren holden Glanz.
In diesem Reich verschäumt der Welten Herzeleid:
Um Jupiter gelingt der Werke Sternenkranz.

Als Juno reift ihm hold die angetraute Frau.
Und drum erblüht mit uns die eingeraumte Zeit.
Für Juno übersprüht sich nachts die Juni-Au.
In Glühwürmchen ist unsre Erde leuchtbereit!"


Der Vogel schaut mich menschhaft an mit ernsterblauten Augen:
Hold zueinander, pyramidisch, ruhn die Götter aus.
Noch kann als Knabe Bacchus derb aus Ziegeneutern saugen.
Mein Funkellied versprüht Vulkan mit hartem Hammersaus:

"Du hast ein Sein als Trepperei auf dich genommen,
Damit versinkst du, bis man einmal stirbt.
So bin ich in die eigne Unterwelt gekommen,
In der man Einsicht ohne Rettung sich erwirbt.

Hier fehlt ein Stern! Daher der Seele Weltdurchfragen!
Er ward bei Jupiter im Kampf von Mars zerstört.
Ihn birgt noch jetzt dieses Geschlecht, in sich zerschlagen.
Oft huscht er auf aus uns: wir folgen ihm betört.

Gewesne flattern schattenhaft um uns hernieder.
Ein Boden schwemmt sich Pöbel ohne Halt hinweg.
Ich blick mich um und senke gluterzuckt die Lider:
Erkannte baumelnd so wie ich im Denkgeheck.

Die Faulen nesteln aus Versäumnissen Gewilde.
Sich rund umwurzelnd. Bis die Mistel eingehext.
Die Geizigsten zerklammern Felseneingebilde:
Verfingern Glut, daß oben goldner Ginster wächst."

Jetzt packt mich Schwindel, und ich überstürz mich wieder.
Bekanntes Fieber fängt mich scharf mit Scharlachpranken ein.
Dem Mars erliegen wir: er stuft uns unter, streckt mich nieder.
Schon gaukeln rote Meteore in den heißen Hain.

Ein Schatteneinbruch spreizt sich vor den Sinnen grellbefackelt.
Verlorne Seelen überschwemmen rasch die Tropenpracht.
Bemakelte bekrallen uns. Das Marsgebirge wackelt.
Und Boden bebt. Ein Blutgespenst ertaucht die Nacht.

Mein Vogel, der ganz menschhaft blickt, verkündet uns im Lied:

"Der Erde Unrat spült noch fort zur Heidenhölle.
Mein Jesus, der uns bis in diesen Abgrund sieht,
Verkündete das Heil auch deinem Bruchgerölle,
Doch bröckelts fort, als ob das hohe Werk mißriet.

Der Heiland konnte unsern Himmel offenbaren,
Doch eine Christenhölle schuf sein Sterben nicht.
Ins Totenloch muß der Verrannte weiterfahren:
Noch tut kein Christ auf seine Unterwelt Verzicht.

Im Sturm verschmähtest du's, die Segel selbst zu reffen:
Jedoch aus Rahe bloß und Mast ergibt sichs Kreuz!
Du sahst es nicht und mußt dich drum verschollen treffen.
Der Geist in dir gebeuts: doch deine Seele reuts.

Das Ich wird uns umstellt, verschattet hier noch finden.
Die Seele irrt durchs Wir: was Leib war, das verfault.
Du mußt dir deinen Traum mit Tätlichkeit umrinden:
Dafür entsteht ein Baum. Sein Herbst, wenn es dich grault."

Nun, Schwindel, pack mich! Denn ich mag zum Strand der Venuskollern
Ich bück mich selbst zum Stürzen. Hei! Das wird ein Purzelbaum.
Doch so kommts zum Sichwogen. Von den tollsten zu noch tollern
Zerbrandungen bejah ich lachend Lustlichkeit durch Schaum.

Wo ist die Venusburg am Meer mit ihrem Mädchengarten,
Wo nackte Leiber bis zum Knie in klarem Wasser stehn?
Ich möchte Pagen sehn, die mit Verbeugung auf mich warten.
Die erste Schönste muß verliebt mit mir lustwandeln gehn.

Die schönste Erste soll bei mir den goldnen Maimond bleiben.
Wir horchen, ob die Nachtigall auf unserm Eiland schlägt!
Aus holden Armen kann mich kein Vergang der Sterne treiben,
Wir halten uns, wenn sie ein Tag hinweg von Freuden trägt.

Ich kriege keine Maid: ich habe meinen Leib verlassen!
Lebendig, auf der Erde nur, geziemt sich uns die Brunst?
Den Hain der Venus, voll verstorbner Frauen, muß ich hassen:
Ich brauche noch, auch als Gespenst, der Buhlin Wink zur Gunst.

Und nochmals singt der Vogel mit dem Trauerblick mein Lied:

"Ein Weib erscheint in weitem Mondgewande,
So zart, daß man es kaum noch kommen sieht.
Es schwebt, geträumt aus anderm Lande,
Und blickt in mich: was hier zu uns geschieht.

Ich wollte mich in diesem Hain erfreuen
Und suchte meiner Lust ein holdes Weib!
Nun strahlts mir auf: du sollst den Treubruch scheuen!
Im Auge bitt ich die Gestalt: Verbleib!

Vielleicht ist dieses Weib zu mir geboren:
Ich fänd es nie, ergeb ich mich der Lust.
Nun hab ich mich an seinen Saum geschworen;
Es hat einmal an mir vorbei gemußt!

Ich zog das süße Kommen wohl herunter!
Es zögerte mein Weib. Und schwand. Verschied.
Die Blumen, wo es hinschritt, glühen bunter.
Mein Blick ist leer. Der Wehmut bleibt ein Lied."

Du großes Leid! Ich selber bin mir schnell und wirr entgangen.
Behutsamkeit! Umlispelt dichs vom Weib in unsrer Welt?
Ich aber wollte stark und rasch zu großer Lust gelangen
Und landete im Brandungsdrang: und auch mein Wrack zerschellt.

Wohin ist sie gegangen? Auch ihr Mondtor schweigt verschlossen!
Ich selbst verirrte mich im Leidenschaftenlabyrinth.
Und noch bin ich so frech und frage mich: hast du genossen?
Nun, Wildheit, schweig: zu milder Minne bin ich hingesinnt.

Mein Vogel da? der einstige Freund hält mich im Geist umschlungen!
"Um deiner Stufen dunkelste bist du in dich versunken!"
Er sprachs! "Nun blick um dich, du bist ins Reich Merkurs gedrungen."
Ich seh aus mir. Doch meine Augen mühen sich noch trunken.

Beinah ein Mensch, hält mich im Traum Beruhigung umhütet.
"Geliebtester!" Sink ich dem Freundlichen um seinen Hals:
"Du hast als Vogel meines Wesens Zuflucht wohl bebrütet.
Nun glaub ich bald! Mein Flug getraut sich ein Gesicht des Alls!"

Voll Sanftmut spricht nun der Vertrauteste in mir:

"In Orpheus findest du die Sonne deines Ichs.
Drum bückt sich dir die Seele zu Gestein und Tier.
So lieb zutiefst das Wesen Welt: verewiglichs!
Dein Schritt im Geist erweckt der Blumen Zier.

Durch Orpheus' Gang erkenne, was du furchtlos warst,
Er holt das Weib aus eigner Unterwelt ans Ich.
Und wenn du Bäume, traut durchzwitschert, um dich scharst:
Entzaubre mir das Bild, das in dir selbst verblich.

Das unverletzte Ich! Du-Orpheus ist der Sang,
Der den Gestirnten hoch die Sonne: Gott erkreist.
Wir selbst sind furchtbar. Erde. Fruchtbar, totenbang.
Wir sterben in mein Ich zurück, das Gott verheißt.

Mein unverletztes Du: Ich-Orpheus hebe an:
Ihr Wesen, deren Flug zu meinem Lied gehört,
Das Weib zu euch, in dem uns Einzigkeit begann,
Hat nie, in stiller Hut, ein Sternensturz gestört!"

Du bist mir Götterbote, Trautester zu meinem Herzen!
Wir gingen wirr durch das Geschlecht: wir sind die Liebessünde.
Ein Wirumschwirrt das Weib und schafft sich Weltaus Trennungsschmerz.
Zum Ich erstrahlt das Weib und auch das Glück der Freundschaftsbünde.

Ich ward vor dem Vesuv, bei Cumä, zum Avern verschlagen:
Du rettetest den Leib, Befreundetster aus gleichem Ich.
Im Hause von Merkur enthüllst du glühend deine Gaben.
Auch du bist leibhaft nun: ein Fürst und abenteuerlich.

Ich soll, geschmiegt an deine Seele, sanft mein Weib erwarten.
Bloß keine Ehe stören, Wesen suchen sich nur keusch!
Im Garten wuchs das Weib zum Mann. Dann kamen wir auf Fahrten.
Geräusch verwirbelt heut die Welt. Erbittrung, Gier, Getäusch.

Verwirrtes Wir sollst du, Geliebtester im Ich, verjüngen!
Aus Orpheus' Sonne sammle uns die urgezückten Strahlen,
Die Männer, Frauen: in Gemeinschaft eine Au zu düngen.
Erkenne meine Tiere: segne Bäume unsrer Wahlen!

Verbunden horch zu mir und ich mit dir aufs Lied:

"Der heitre Schwung, der lenzlich zu den Wäldern
Gewölk und Vögel über Meere zieht,
Bringt auch sein Wort den seligen Vermeldern
Der Offenbarung, die aus uns geschieht.

Mein Sänger führt die Welt und ihre Wesen,
In hohem Flug, zu ernstem Heimgefühl.
Auch wir, mein holder Freund, sind auserlesen:
In schwersten Schlaf versinkt ein Weltgewühl.

Wohin der Schritt uns führt: es geht zur Trauung!
Mein Weib und ich sind einsam unterwegs.
Dein Werk gelingt: wir trauen der Erbauung.
Es sei ein Lied, die Pflege des Gehegs.

Sei freundlich zu den Tieren; hilf den Bäumen!
Durch deinen Schlummer ruht die nahe Welt.
Ein Tun verweht: bewahr dir Trost im Träumen;
Auf Unterwelt bin ich, ein Mensch, gestellt."


  Theodor Däubler . 1876 - 1934






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