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Gedichte, Lyrik, Poesie

Die Treppe zum Nordlicht
162 Bücher



Theodor Däubler
Die Treppe zum Nordlicht . 1. Auflage 1920



IV

Erweckt mich Lärm? Es heißt bestimmt noch Welterträumen!
Entsunken aber bin ich finstrer Schwermutspein.
Wenn ich noch leben will: bergan! Ich soll nicht säumen.
Jetzt kommt das Steingewälz. Treppauf! Ins Nichts hinein.

Ein Stückchen Ackerland aut eigener Terrasse
Vergönne ich durch Arbeit meiner Leiblichkeit.
Es lehne sich das Feld an eine Felsenmasse,
Auf der versprengter Kaktus blütenreich gedeiht.

Ich baue keine Mauer, lebe ohne Pforte.
Am Eingang laß ich zwei Zypressen Schildwach stehn.
Das Anwesen liegt nah bei einem Fischerorte:
Von steiler Warte kann ich Meer und Inseln sehn.

Ein Garten träumt nach mir, in blauem Pinienschatten.
Wir harken, jäten, plagen uns den runden Tag.
Zwei Knechte sind wie ich am Abend zum Ermatten:
Von Jahr zu Jahr treppauf! Nur so steigt der Ertrag.

Voll sonnengoldner Blumen strotzt die große Wiese.
Ich hab sie mir hinzugetreppt im letzten Jahr!
Der frohste Mandelbaum schwebt drin. Es ist ein Riese.
Sein Blütenmantel strahlt im Winter wunderbar.

Das kleine Gut gelangt zu einer Felsenquelle.
Auf Moos und zwischen Feigen geh ich morgens hin.
Bei meinem Kirschbaum find ich deine liebste Stelle:
Mein Freund! du kommst mir dort zum Abhang in den Sinn.

Ein Mittag holder Einsamkeit ist traut zugegen,
Wenn du aus der Erinnrung wieder gehen magst.
Ich ruhe heut: aus deiner Nähe komme Segen!
Du warntest mich, ich weiß wohl, was du heimlich sagst.

Ich sollte nicht von Scholle gleich zu Scholle fliegen!
Ich weiß wohl: bald gehören breite Strecken mir.
Du Schreck! mein Freund, wir haben beide uns verstiegen?
Du sankst hinweg: ich bleibe unbeholfen hier.

Auch diese Glut vorbei! Doch mild kühlt mich mein Garten.
Die stolze Pflanzenpracht zerblüht zu mächtig Duft.
In diesem Jahr bedacht ich ihn mit seltnen Arten.
Vom Meer, bei freiem Abend, hoff ich Fächelluft.

Durch die Nachmittagswärme schwärmen goldne Bienen;
Orangenhonig liegt mir, Waben voll, bereit.
Der Wein ist gut! die Trauben süßen zu Rosinen.
Mit holdesten Geschenken bloß enttreppt die Zeit.

Noch zwitschern keine Kinder unter unsern Bäumen.
Belaubte Freunde, bald erscheint ein Wachtelzug!
Europa wird sich wieder mit Gesängen säumen.
Ich bleibe gern bei mir! Bis wann? Und wo genug?

Es schmettern niemals Stimmen über Obstterrassen.
Auch rauchts von Haus nicht auf, für mein Familienmahl.
Ich traf kein Weib. Ist meines tot? Vielleicht verlassen!
Die Sonne kost mich noch mit gutem Abendstrahl.

Die Erde scheint in Glühwürmchen vom Stern zu träumen.
Einst leuchtet, fliegt sie frei durch die gestirnte Nacht.
In Schäumen nicht erblüht das Meer: in Feuersäumen!
Die Milchstraße durchperlt die Flammensprachen sacht.

Ich mag hinab zum Meer mit Glutenzungen wandern.
In diesem Lenz gehorch ich seinem Grottenmund!
Die hellen Wogen mähnen sich zu Glastzerbrandern.
Ein Wunsch zur Feuertaufe wird durch Wasser kund.

Dort weilt mein Freund, er wird mir unsre Zuflucht sagen,
Erzählen, ob mein Weib mich noch als Mensch erreicht.
Berichten, wie sich unterwelts Gespenster jagen:
Bevor sich eine Tat des Heils in mir bedeicht.

Ich stürze mit dem Ohr auf eine Flatterplatte.
Sie tönt in dieser Grotte, die urohrhaft dröhnt.
Ich höre, was mein Ich beschlossen hatte!
Ans Meer, das meinen Fuß gewellt, bin ich gewöhnt.

Es werden die Wogen zu Leibern, zu geißelndem Gischt!
Das Branden ist Schleppen: Getreppe der Strand.
Ich fühle auch mich in das Körpergewoge gemischt:
Wir bauen aus Stein eine sinkende Wand.
Wohin? Nach vorne und weiter.
In türmendes Blau eine Leiter.
Wir Stürmenden! Ich, der Entscheidungsbeschreiter!
Wir spüren im Geiste geregelte Zeichen uns heben.
Wir wollen sie, Stein zu Stein, unter uns dauernd erleben;
Das wird eine Treppe, wir wollen ihr einstens entschweben:
Die Leiber dem steinernen Stern übergeben.
Das wird unsrer Ewigkeit Weltpyramide:
Aus ernstem Gebote, ins Kreisen gesetzt!
In ihrer Gestalt kristalliert sich der Friede:
Im Wirbelgetriebe der Welt unverletzt.
Umbrandet von Leibern, die aufwärts zerschellen,
Erhebt sich der Bau, den Ägypten begann,
Noch niemals vollendet, aus Meistern und ihren Gesellen.
Treppauf! Und treppauf! In den Geistern bergan.
Ich kann mich, an andern vorüber, ins Künftige schnellen,
Doch hält mich die bauende Masse im Bann.
Ich setz doch hinüber: wer folgt mir im Lauf!
Man schleppt seinen Leib, samt dem Weib und den Kindern,
Der kommenden Sonne auf glühendem Stufenbau zu.
Ich hab einen Vorsprung: ich lernte dereinst bei den Indern,
Im Glauben zu schweben: entwundert durch selige Ruh.
Ihr lodernden Vorstürmer sollt eure Wucht mich vermindern,
Doch blickt auf den Nachschub, daß jeder sein Eigenstes tu!
Ihr steilt euch, voll Eifer, empor zu besonnten Terrassen:
Sie sollen auch Plätze für Massen zum Lagern umfassen.
Wer einst in Ägypten beim Ewigkeitbauen begann:
Ist noch an der Arbeit: er taktet zu uns sich herein.
Wir setzen sein Werk fort, auf das sich das Volk einst besann.
Die Unterwelt türmt ihre Treppen, mit uns im Verein.

Ein Eiland sei erträumt: gesteilt ins freie Blau!
Ein kleinster Stern: vielleicht nur eine Stufe.
Ich lausche dort auf mir verwandte Rufe
Und staune über unsre sorgenlose Au.

Man hört wohl noch die Glocken froher Katholiken!
In ihres großgebognen Stromes holder Huld,
Aus wohlgereifter Felder goldnen Mosaiken,
Entsternen Pflegeorte herzhafter Geduld.

Mein Schwebeland ist bloß ein Stückchen Klostertreppe,
Ein Würfel Pyramide, den ich traumhaft schleppe.
Vom Nile her, durch mich: das sonderbarste Ei!
Ein Flugversuch. Vielleicht auf Flucht; doch bin ich frei!

Ein Wolkentrümmer trägt mich: noch dazu aus Stein.
Das Häufchen Weiß in allerblaustem Himmelsblau.
Ich weiß von Menschenseelen aus der Vogelschau:
Es möge endlich hier das Miteinander sein!

Im sachten Schattenblau von meinen hellen Stufen,
Die sich Erträumbarkeiten selbst aus Seele schufen,
Erblicke ich, geschützt vor Sonne, weiße Ziegen,
Die, voll von Milch im Euter, beieinander liegen.

Geliebte Wolken ziehen um den Einfall auf!
Da wollen mich die eignen Tiere gleich verlassen.
Sie finden ihren Pfad durch steile Felsengassen.
Ein Trümmer Traum erstarrt für sie zum Kletterknauf.

Sie ruhten bloß bei goldner Hitze um mich aus.
Nun meckern sie davon, auf schroffgewählten Stiegen.
Die sind verwandter noch, uns zugewöhnten Ziegen,
Und ziehn sie fort von Schattenbaum und Freundeshaus.

Ich will mich auch vom Flug zur Wanderung bekehren.
Ich weiß vielleicht etwas vom Staunen und Belehren!
Mein Abenteuer stelle sich bei Menschen ein:
Ich darf ein Bettler auf der eignen Treppe sein!

Ich halte über einem Flusse Umschau, dort zu landen.
Bei heller Sonne sternen Kinder, die drin baden, auf.
Durchs Tauchen Stern, beim Schwimmen Stern, so ziehn sie Glanzgirlander
Aus sich hervor, im Strom: umher um sich, beim Tagverlauf.

Das Wasser klimmt zu einem hohen Meer in fernem Norden.
Zu einer Riesentanne steigts empor: und stumm vorbei.
Wie ist mir, zwischen Öden, dieser Baum so hold geworden?
Dort setze ich mich fest nach meiner Schwebestreiferei!

Die Tanne ist aus grünen Sternen ihre Himmelstreppe:
In jedem Jahr ein Ziel zum Stern, und auch ein Stern zum Ziel.
In ihrer Huld begibt sich dieser Einsicht breite Steppe:
Es birgt der Baum der Sterne Ernst und ist doch Sternenspiel.

Du Sternenbild, hochaufgestuft vor mir, bei vollem Tage:
Gewähr mir Schutz: ergrüntes, himmeltragend, mein Gebet!
Durch dein Gerage führst du Klage. Bist du Frage? Sage!
Um deinen Saum bin ich von Mildigkeiten angeweht.

Bei Bäumen magst du betteln, selten nur zu Freunden gehn.
Den Sommer singen sie dir froh aus goldnen, holden Nestern.
Von Baum zu Baum! Die Vögel werden dir zur Seite stehn.
Sei täglich du. So jung! In Wäldern kenne nicht dein Gestern.

Bei guter Sonnenlaune zieh den Wolken keck entgegen!
Dem Wasser lach ich zu, das silbernd aus dem Himmel saust.
Gelobt sei uns, unendlich guter, voller Sommerregen.
Gewitterwucht auch du, die unter uns verborgen haust.

Brich auf, Gewitterbaum, entwurzle dich, um hoch zu wandern!
Beblüht mit Blitzen, donnre deine Frucht in uns: die Furcht.
Erdroh nicht bloß in mir die Tat: durchbange auch die andern.
Zerwühl zutiefst die Seelenheit: sie bleibe uns durchfurcht!

Dann, Abendsonne, senk dich bald auf meines Freundes Haus.
Heut nacht bin ich sein Gast: wie herzhaft tritt er mir entgegen.
Dann komme Schlaf: von Traum zu Traum, zieh ich aus mir hinaus!
Und wieder flieg ich frei: mein Blitz auf vielen Wolkenwegen.

Gar alte Bilder nahen goldhaft schleiernd meiner Seele.
Ich suche mich in den Gedanken, wie ich immer war,
Drum urverjüngt, doch selten neu, erscheint, was ich erzähle.
Was viele haben, aber oft verschmähen, bring ich dar.
Gewitterfrische, Bäume! Seltne Träume: Selbstbefehle.
Im Wesen gleicht sich der Gesichte wandelbare Schar.
Seit allen Jahren mein Gedicht: ob Sänger preisen, beichten!
Wie wunderbar, daß wir uns nie zu einem Traum erreichten.

Nun weilt mein Schauen unter wohlbesonnten Obstgeländen.
Ein klarer Bach durchfrischt sie, ohne Gut von Gut zu trennen.
Hier gibt es keine Scheidungen mit Zäunen oder Wänden:
Ich möchte mir das Land, die Heimat nächster Sehnsucht nennen:
So gerne weil' ich dort und helfe mit, aus freien Händen.
Es kräht der Hahn dazu. Und wie erfreun mich bunte Hennen!
Zur Wiese fliegen oder dorther kommen Bienenschwärme,
Nach stillem Mittag hörst du dann um dich ein Gold der Wärme.

Wie hoch und reichlich ist das Korn in diesem Jahr geraten!
Hier steht es noch: dort wirds auf Wagen schon und Schiff verladen.
Es reift das Obst: Johannisbeeren glühen wie Granaten.
Auch Kirschen bluten über froher Kinder Lieblingspfaden:
Die springen hinter Schmetterlingen, bis zum Saum der Saaten,
Dann jauchzen ihnen andre zu, die laut im Strome baden.
Die Angler lassen sich in wonnigster Geduld nicht stören:
Bald sind die Kinder fort, dann können sie die Sprosser hören.

Ein Nußbaum übergrünt den Markt des Dorfes im Gedichte.
Ein Quell versprudelt sorglos sich, in seinem Flatterschatten.
Es singen Männer abends dort von künftiger Geschichte,
Und Frauen spielen sanftbewegt zum Liede ihrer Gatten.
An strengen Tagen rauscht der Baum zu seltenem Gerichte:
Der Sonne soll, vor Menschen, man den Freibericht erstatten!
Es darf geheime Untat nicht die Unterwelt durchgrauen.
Vor bösem Weitertuen schützt auf Erden Sich-Erschauen.

Am Strom, auf Inseln und beim Berg, erglänzt die Stadt im Traume.
Kastanien walden sich um vielgetürmte Schloßruine:
Oft wogen Weingelände zu gefelstem Eichensaume,
Die breite Stadt liegt weiß im Tal wie eine schimmernde Lawine.
Verschiedne Brücken türmen sich durchs Schiffsgetu im Schaume:
Wo jeder schaffen mag, daß er das Abendgold verdiene.
Dann kommt ein großes Volk zum Strom, um Kähne zu besteigen.
Musik ertönt: und bunte Segel winden sich im Reigen.

Nun mag die Phantasie auch einen eignen Hafen schaffen:
Mich bringt der Fluß, voll Raddampfer, mit weißer Riesenrose.
Durch Dämme kann die See, von Norden her, ins Festland klaffen:
Da wird sie spiegelstill, trotz Brandungskranz und Stadtgetose.
Es kann die schnellste Hand das Weltgewebe hier erraffen:
Doch sorgsam knote sie's, ein Lichtgespinst, und halt es lose!
Ein Herz im Hafen darf das weltverlobte Werk beginnen,
Geschiednen Völkern eine Obhut freundlich zu gewinnen.


Vor mir die Nacht, und auch das Meer: wie schon so oft!
Ein junger Tag aus altem Urlicht kann erstehn.
Der Mensch im Morgen kommt, auf den die Seele hofft:
Im Winde fühlen wir verwandte Sprachen wehn.
Wir kennen sie nicht mehr, seitdem wir Wesen sind;
Sie mußten, als wir dachten, untergehn:
Doch es vernimmt sie, Eltern zugeträumt, das Kind!

Die ersten Silben wurden uns vom Schöpfer eingehändigt.
Dann kam der Tag in uns, da wir aus sanften Banden brachen.
Zwar hat sich das Geschöpf die Sonne, Erde, Mond gebändigt,
Doch bloß zur Tat glimmt noch das Wort, trotz der gereizten Sprachen!
Sie wurden starr: wir konnten den Beruf in uns nicht hören.
Doch Helden haben immer sich von Volk zu Volk verständigt:
Verstummt zur Tat, bei lautem Tun! Und Feindschaft wird nicht stören.

Verheißne See, bei Sturm, zerreiß den Notschrei des Matrosen:
Das Wunder wurzelt unter uns: er möge sichs erfinden!
Ein Brandungsprall, samt Leiberschrei, muß sauslos bald verschwinden:
Der Urton ins Gebot wird nach dem Tod uns noch liebkosen.
Es sollen stumme Worte kalter Flamme sich verbinden,
Dann löscht der Leuchtturm aus: zertrümmert stürzt das Kap in Schaum.
Der Baum gespenstert grell, doch Menschen wallen aus dem Traum.

Der Mann erblaßt: die Welt verstummt ihm, wie aus Eis.
Er ahnt das stille Urlicht glimmen.
Ich trag den Keim. Das Reis wird klimmen.
Du willst den Feuerbaum: er wächst auf dein Geheiß:
Schon blüht das Herz: und Pfingsten sternen auf.
Wir, Volk und eine Glut, verstehn die tiefsten Stimmen:
Dem Norden unter uns gehorcht der Sonnenlauf.

Wir sind vom Geiste, der nach sich gesetzte Sterne schuf:
Da ihm der sternenüberblühte Weltenbaum entsproß!
Wir stehn im Mai. Nur eine Frucht, in die ich mich ergoß,
Wird reif: die Erde! Noch hört sie nicht den Urbesinnungsruf.
In rascher Ungeduld hält sie ihr Werdewort umschlungen!
Das Ende und auch Anfang bleibt, daß es der Mensch umstuf,
Bis er dereinst, von Stern zu Stern, ins eigne Ich gedrungen.

Der erste Stern, der sich in Männerstimmen wachgesungen,
Soll meine Erde sein: ein Weib in holden Schöpferarmen.
Aus ihrem Leib hat sich zu Gott der Menschensohn geschwungen.
Wir baten ihn: Er kam. Er hatte mit sich selbst Erbarmen.
Ein Ruf ins Ich! Den wir im Sprachgenarr verkramten,
Ist Jesus Christus Selbst. Ihm folgen die Zuerst-Erlahmten!
Geburten gehen vor. Uns werden Geister Arme unter Armen.

Die Erde wird ein hellster Stern: der Norden aller Sonnen.
Die letzte Sonne bricht hervor. Dein Herz beginnt ihr Glimmen.
Den schönsten Mond bringt meine Hand. Das Werk hat tief begonnen.
Dem Nordschein bin ich anvertraut: er hat den Vorrang aller Tat.
Er sunkelt schon. Wo unsre Finger Mondharfen noch stimmen.
Beim Einsturz konnten wir den Notstern Erde rasch erklimmen:
Urfruchtbar bleibt der Mann: es birgt dein Weib der Sterne Saat.

Ende


  Theodor Däubler . 1876 - 1934






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