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Gedichte, Lyrik, Poesie

Hesperien
162 Bücher



Theodor Däubler
Hesperien . 2. Auflage 1918



III

DER Ölbaum trägt bereits die schwarzen Früchte:
Die langen Nächte bringen sie zu dunkler Reife.
In ihre Herbheit tropfen herbstliche Gerüchte:
Ich zage, wenn ich in die zarten Zweige greife.

Der goldne Ölstrom wird in tausend Häuser fließen
Und abends große Tropfen keuscher Furcht entzünden.
In Kirchen soll ein Baum mit Öllichtern ersprießen:
Es müssen Glühfrüchte die Frömmigkeit verkünden.

Nun flüchten langsam der Campagna blaue Stunden.
Das große Rom beleuchtet die versprengten Straßen,
Und Abendzüge züngeln auf als Feuerkunden
Der Riesenstadt, mit strengverschränkten Flammenmaßen.

Gewundne Flammenwolken wälzen sich am Boden
Und flackern wie ein Schreck von Bäumen und Gebäuden.
Sie helfen mit das Fieberwuchten auszuroden,
Die Stadt kann Tausende verschleudern und vergeuden!


Die Bogenlampen krönen Sonnenuntergänge.
Ihr lila Scheinen wird den Abend überleben.
Sie geistern schwebend über lärmendem Gedränge:
Es muß verglaste Früchte andrer Welten geben!

Beschwichtigt nicht ihr Lichtgeträufel das Getöse?
Ich kann das Wesen dieser Lampen schwer vernehmen.
Die Sterne scheinen klug, der Mond wird gerne böse:
Warum erblaßt du, unter Straßendiademen?


Das Nahen der Mechanik fängt an aufzufallen!
Ein fremdes Reich erreicht uns hinter Riesenscheiben.
Da faßt dich das Verlangen nach verglasten Hallen:
Kristalle werden spiegelnd jedes Ding umschreiben.

Der Laden Farbenfahnen fiebern fahl ins Freie.
Der Straßenlampen Lichtschleppen zerknittern drinnen.
Die Zufallsflammen regeln sich in klarer Reihe:
Man sieht genau den kalten Glastkristall beginnen.


Dem Geist der leuchtenden Zusammenhänge
Gelingt es nun, den Zufall festzuhalten.
In uns ergreifen sich gezählte Gänge
Und zwingen dich durch Maße, frei zu schalten.

Nicht eine Herkunft hast du übergangen:
Mechanisch wird man von sich selbst getragen.
Doch kann der Mensch sein Anderssein erlangen.
Er wird: wenn Übergänge ihn erragen!


Erblickst du nie die eignen Flügeltüren?
So tritt heraus: Ich kann nur mich enthalten!
Ich muß mich rastlos zu mir selber führen,
Du faßt dich nur, hat man dich ganz zerspalten.

Du kannst dich selbst in andern wandeln.
Man ist sein eignes Spiel von Übergängen:
Wie andre kühn in mich herüberhandeln!
Dein Tod wird sich vor jede Auskunft drängen.


Der Sonnenuntergang mag durch die Nacht beharren.
In Hallen und Gebäuden strahlen seine Farben.
Die Lampen fangen an die alte Nacht zu narren:
Die letzten Nachrichten verprahlen Flammengarben.

Um Feuersäulen spuken bunt Reklamekarren,
Und Zeitungen verkünden rote Abendnarben.
Der Sternenrausch kann keine Großstadt blau durchzaubern,
Die Menschen wurden kühn zu blassen Nachtberaubern.

Das lila Licht beblaut Orangenpyramiden,
Und Datteldolden übergolden duftge Gluten.
Wie Tau ist dieses Licht, voll Leichtigkeit und Frieden:
Hier scheint die gute Frucht verdurchsichtigt zu bluten.
Dir wird, als wäre dieses Obst nur kaum hienieden,
Als ob Zitronen scheinbar bloß in Kisten ruhten.
Bananen übergrotten Glühlichter und Birnen,
Wie Tropenpracht verglast im Schein von fernen Firnen!

In silberner Ekstase schimmern die Geschirre.
Das kalte Licht hat seinen Würfel eingenommen.
Es scheint, daß manche Fliege über Messer schwirre:
In jedem Löffel ist ein Zitterwurm erglommen.
Der Scheibenschrein ist wie ein Anblick von Geklirre,
Man wundert sich, daß kein Geklapper aufgekommen!
Der Laden Gabelflucht vertreppt sich hinter Spiegeln,
Aus Silbertiegeln springt ein Schwärm von Lichterigeln.

Man soll über die Artigkeit der Bücher staunen:
In allen Sprachen stapeln Wichte sie zusammen!
Ein Umschlag, stumpf wie Sand, bedeckt die Gallierlaunen,
Gar altes Pergament begräbt die hehrsten Dichtungsflammen,
Und welkes Braun verzaubert eines Kindes Staunen:
Wie nichtig wirken Mappen, die das Meer durchschwammen!
Das herbe Licht, das sie verklammert, scheint gegossen.
Ein Käfig? Hände klettern über Büchersprossen!

Verdecken Spitzenvorhänge ein Spaßtheater?
Im Fenster steht ein Wachshaupt zwischen Flachsperücken!
Aus Glasquasten bezittert Glühlicht einen Kater,
Frisöre freut es, Köpfe flink zurechtzudrücken.
Man handhabt, man bespiegelt Glatzen ... delikater ...
Macht Stutzer keck zurecht, um Mädchen zu berücken.
Die Jünglinge unter Gerüchen und Pomaden
Betätigen sich voll Behändigkeit im Laden.

Warum ist der Tabakkram taghell überglastet?
Mit seltner Sorgfalt prüfen Hände die Zigarren:
Wie kennerisch ein Daumen seinen Kauf betastet!
Die feinsten müssen lang auf ihrem Rang beharren,
Zigarrenstöße werden fort und fort durchhastet!
Seht, wie die Finger flink ihr Geld zusammenscharren!
Stets achtsam hat man die Havanas ausgeschachtelt,
Fakturen quadratiert und durch sich selbst geachtelt.

Wie auffallend ergrellt sind diese weiten Scheiben!
Belagert man die Bar mit ihren Wanderflaschen?
Nicht eine kann an ihrem Farbenplatz verbleiben.
Aus schwarzen Ärmeln sieht man danach haschen,
Ein flinkes Hinundher von nackten Tieren treiben,
Sich überhüpfen und einander überraschen.
Die Dame ruht als Bändgerin auf hohem Sessel,
Das Piepen und Gequiek besorgen blanke Kessel.

Kristallhaft preßt sich ein Kaffeehaus in die Straße:
Die Marmortische sind absynthgrün eingeschichtet.
Das Bogenlicht braucht festgestellte Würfelmaße:
Der lilaleere Saal bleibt einhellig durchlichtet.
Der Schatten schwand: und Schatten haschen sich zum Spaße,
Doch fast zerperlt und blaß ins Blau gerichtet.
Gestalten gehn ins langgewohnte Abenteuer,
In lauter Schleier schlingt und glutet sie das Feuer.

Kristalle rücken an: die blanken Tramwaywagen!
So rasch als wie der Tiber rauscht, kann jeder gleiten.
Bekannte Rhythmen dürfen unsern Alltag tragen:
So wird uns keine Großstadt neue Angst bereiten.
Wir staunen da über ein deutliches Behagen:
Von außen packen uns die eignen Eiligkeiten!
Die Fahrtkristalle wandern bernsteinbleich erlichtet,
Die Menschen scheinen Schatten blau hineingedichtet.

Die Großstadt birgt beherrschte Feuerkatarakte,
Automobile überbringen sie beim Rasen,
Dir wird, als ob dich die Panik der Wirbel packte,
Du siehst Geschwindigkeiten jäh um dich erglasen,
Dein zweifelfreier Stillstand wittert Wanderpakte,
Ein Flammenfall: Du schäumst elektrische Ekstasen!
Man sammelt sich, besänftigt durch die Bogenlichter,
Die schwere Finsternis erschüttern grelle Trichter.


In hellen Sälen ist ein Tagesglanz erglommen.
Das Morgenrot beschauert mich in Prachtgardinen.
Der Tau ist in Geschmeiden mancher Frau erschienen:
Ich sehe mir die Dämmerung entgegenkommen.

Wie ward das dunkle Blau aus unsrer Nacht genommen?
Wer bringt den Morgen dar in klaren Apfelsinen?
Wie uns die stillen Traumgestalten hold bedienen!
Wie bin ich vor des Tages Nahgesicht beklommen!

Die Damen können uns den Tag entgegentragen.
Aus jedem Fächerfächeln weht ein Scherzversprechen:
Im Wandelgange atmet morgendes Behagen.

Das lila Licht befiehlt den Farben aufzubrechen.
Nun sind sie da und führen manches Paar zum Tanze:
Auch die Musik verzaubert sich im bunten Glanze.


Das stillste Mondlicht spenden zauberhafte Hände,
Denn feine Damen fächeln sich in weiten Reihen,
Um holde Kühle ihren Büsten zu verleihen.
Und sie entflammen lächelnd kalte Farbenbrände.

Das Licht zerperlt um Luster und betaut die Wände.
Die blassen Brüste können sich mit Glanz beschneien,
Der Mond in Frauenhand verleiblicht Marmorweihen,
Es ist, als ob ein Fächelspiel die Form empfände.

Wird alle Huld und jeder Hauch zu Schmelz verglasen?
Es fängt die Schönheit sichtbar an im Saal zu kreisen,
Schon kann die Angst vor ihrem Nahen sacht Verblasen.

Wie wunderbar die schlichten Einfälle vereisen!
Wir sind zu eigner Anmut ohne Furcht gekommen:
Das ist ein guter Mond: Wer atmete beklommen?


Der Marmor strahlt, erstrahlt, er kommt zu den Matronen.
Das Bogenlicht will seine Mondheit offenbaren:
Ein stilles Silbern siegt, verspinnt sich in den Haaren
Und blaut wie Milch so milde über schweren Kronen.

Wie wehmutsvoll die Frauen unter Farben thronen:
Am Atmen kann man Art und Adel sanft gewahren.
Wie sich die Regungen um ihren Anstand scharen
Und hold die marmorne Vollendetheit betonen!

Wir können lila Schnee aus warmer Hand zerstäuben.
Er schleiert auf und fiebert über unsern Fingern,
Der Schläfen blasses Nervenperlen zu betäuben.

Wie leise sich der Flechten Blauheiten verringern
Und wie sich Farben wieder blau und bleich beschneien:
Es kann der Marmor kalt vom Farbenwahn befreien.


Der Marmor ward in lila Licht zum Alabaster.
Die Standbilder versuchen traumhaft zu verschäumen,
Und alte Luster gleichen taubestäubten Bäumen:
Wie eine Glitzerspinne leuchtet eine Aster.

Sie scheut, und so verscheucht sie heimlich die Betaster.
Und tierhaft staunen Blumen in den blauen Räumen,
In denen Perlen fiebern und zum Monde träumen.
Und aus satanischen Smaragden flackern Laster.

Das ist ein Garten, wo die Pflanzen blaß verglasen,
Die Regenbogen und der bunte Tau beharren:
Im Marmorsaale wird der Samt zum roten Rasen.

Wie farbenfern die Antlitze nach Rang erstarren!
Der lila Marmorstrahl umblaut sie auch beim Tanze:
Ein Fürstenstern umadelt uns mit bleichem Glanze.


  Theodor Däubler . 1876 - 1934






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DER Ölbaum trägt bereits die schwarzen Früchte, Theodor Däubler