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Hesperien
162 Bücher



Theodor Däubler
Hesperien . 2. Auflage 1918



I

SOWIE die Sonne rot und sichtbar wird,
So muß die Sonne sinken.
Sowie die blaue Nacht dem Tal entschwirrt,
Beginnen Berge streng zu blinken.
Umwolkte Höhen winken.
Die Bauernpferde werden rasch geschirrt,
Die weißen Ziegen sammelt flink der Hirt,
Die Sonne wird ertrinken.
Die Herden fliehen mit dem letzten Leuchten,
Sie scheinen eine Flucht von Gold,
Das plötzlich in die Schluchten rollt.
Nun kann das Meer den Sonnenball befeuchten:
Wie Nebel sich im Nu entrollt!
Auf allen Feldern wird davongetrollt.
Es ist, als ob die Dünste Mensch und Pferd verscheuchten,
Doch kann der Bauern Heimritt bald ein Kriegszug deuchten.
Von allen Äckern trabt man fort.
Hoch oben liegt der alte Ort.
Das staubt bereits in langen Windungen bergan:
Im schwarzen Mantel mit der Flinte jeder Mann.
Auch Eseltreiber laufen dort.
Die Reiter wechseln kaum ein Wort.
Verhüllte Frauen bringt ein prächtiges Gespann:
Wie kommt es, daß noch keine ein Gespräch begann?
In einem Wolkentrichter ist der Tag versunken,
Die See berauschte sich an Purpurfunken,
Die Berge brannten lichterloh:
Jetzt rauscht, jetzt blitzt es irgendwo.
Die Felsen sprühen unter tausend Reitern Funken,
Violette Menschenschatten krümmen sich wie trunken:
Die letzte Lichtsekunde floh.
Ein großer Stern. Wie leicht, wie froh.


Die Grenze unsrer Welt, das unermeßne Schweigen
Ersetzt den Schatten neben uns in großer Nacht.
Es setzt sich hin zu dir, kann sich noch näher neigen,
Wann fühlst du seinen Hauch? Er ist zu leicht und sacht.
Auf einmal wissen wir: man kann noch tiefer steigen:
Erst unterm Schweigen ist der gute Mensch erwacht.
Du überläßt dich deiner Einsamkeiten Stufen,
Da wird dich niemand wecken oder tiefer rufen.

Man weiß im Grund, was uns die Sterne einst verhießen.
Ihr bleibt ein unerfüllter Ruf nach der Geburt.
Du mußtest dich aus Zufall in dich selbst ergießen,
Nun lebst du, doch von fremden Führungen umspurt.
Ihr sollt euch den geheimen Winken still erschließen:
Bedenkt, ihr Menschen, ob ihr recht mit euch verfuhrt?
Die Sterne haben ewge Richtungen gewiesen,
Geduld. Wozu so rasch den Schrei ins Ich erkiesen!

Mir ward ein altes Land für meinen Blick beschieden.
Die Völker haben hier bereits ihr Werk vollstreckt.
Nun bringt die Tat der Seele unverlornen Frieden:
Ideen werden unter Skeptikern erweckt.
Der Reife hat den kleinen Einfall stets vermieden
Und in sich selbst die Weltvermittlungen entdeckt.
Es zeigt der Zweck des Geistes unerfüllte Lehren,
Das Denkmal liegt vor uns: wir müssen es verehren.

Du bist zu kalt, um leidenschaftlich Krieg zu führen,
Zu klug, um einen Sinn der Dinge einzusehn; :
Doch kann dich jede Angst und keusche Freude rühren,
Und hilfreich wirst du jedem gern entgegengehn.
Doch auch des Ringens große Würde sollst du spüren;
Bald wird der Feind vor dir als dein Gespiele stehn.
Oft ward ein Feldzug ohne Blutverlust gewonnen,
Des Geistes volle Herrschaft hat dereinst begonnen.

Es soll sich jeder Mensch zur Andachtsnacht bekennen.
Wie alt wir sind: der letzte Stern hat uns erreicht!
Nun wißt, wie hoch eure Bestimmungen erbrennen:
Man findet schwer den Weg: für dich ist er zu leicht.
Und doch, auf einmal werden wir uns ganz erkennen,
Dann siehst du bloß, wie alle Leistung selbst erbleicht.
Die Welt ist unsre Arbeit, die der Mensch erwählte,
Als er aus Zweifel seine Möglichkeiten zählte.

Von Sternen ward den Wesen Weisung zugesprochen,
Der Kern zur großen Umgeburt ins All versenkt.
Wir horchten, mußten an das gleiche Schweigen pochen:
Bevor wir zu uns kamen, wurden wir gelenkt.
Doch endlich ist die volle Welt hervorgebrochen:
Der Mensch hat sie den Dingen ahnungslos geschenkt.
Die Sterne fingen an die Ewigkeit zu singen,
Du hörtest sie, als wir die Liebe keusch empfingen.

Die Liebe ist zu unsrer Welt herabgestiegen.
Wir waren arglos, als sie plötzlich zu uns kam.
Da kannten wir den Wind und sahen Wolken fliegen,
Ein Weib, das sich auf einmal anmutvoll benahm.
Wir schauten in den Wald und auf sein Wipfelwiegen,
Da hüllte sich die Frau ins Haar und stumme Scham.
Ich witterte den Sternen froh und ernst entgegen:
Zur eigenen Geburt ist uns am Kind gelegen.

Erkämpfe dich in deinen schlichten Vatersorgen,
Daß man sich kennen lernt, verdankt man seinem Sohn.
Die Plage hält die Lebensantworten verborgen,
Sie bricht die Hoffart und verschmäht den Siegerlohn.
Der Ehrgeiz flieht: du hoffst auf ein bescheidnes Morgen,
Du wirst für dich genug, denn sieh, du kennst dich schon.
Es kann der Mensch sich auf sein altes Maß verlassen,
Den Adel haben wir: fast keiner mag ihn fassen.


Ich werde meine Einsamkeiten sacht durchziehen.
Ein Sichelmond legt braune Schatten auf den Fels:
Das spitze Silberlächeln hat mir Mut verliehen,
Die Schlucht zu sehn: mir bleibt die Lust des Lichtgewells,
Das freudig über Steine in die Tiefe hüpft,
Den Mond mit Gipfeln, Berge mit dem Meer verknüpft.
Ich sattle meinen Esel, um gewagt zu reiten.
Er ist so grau und gut wie unser junger Mond.

Auch launenhaft wie der, oft will er Schreck bereiten.
Was tuts: wir haben manchen Traum zugleich bewohnt.
An dunkeln Städten husch ich knapp vorbei: kein Laut.
Kein Hund erwacht. Nur einmal hat ein Pferd gestampft.
Wie herrlich unsre Fahrt sich selber überbaut!
Es bleibt mein Tier an steile Felsen angekrampft.
Wir müssen fort: wir können nicht zur Rast verweilen;
Wie gut, daß sich die Silberstunden schon beeilen. ".
Es freut mich, daß uns niemand folgt: da stehn Ruinen,
Zerzackte Mauern, ein geborstner Riesenturm.
Dahinter Wälder mit Zypressen, wie zum Sturm.
Dann folgen Kirchen, Häuser, eine Trümmerstadt:
Das Ganze zart und leicht vom Mondlichte beschienen.
Hier finden Nachtungen der Geisterbünde statt:
Entschlafne Fallsuchtskranke müssen sie bedienen.
Du siehst der Erde schwerste Einsamkeiten liegen:
Das große Schweigen mag in ihre Arme fliegen.
Da bellt ein Hund. Er bellt allein. Das Tier wird siegen.
Das Schweigen muß sich wieder an den Felsen schmiegen.
Hier lebt kein Mensch. Doch die Erinnerungen wachen
Als Hund und Hahn, als Wind, auf einmal auch als Lachen!
Dort unten glänzt die marmorblanke Schwermutsee,
Die regungslose Grabplatte auf starrem Weh.
Im Mondlicht werden weiße Warten Einfahrtszeichen:
Gespenster wollen sie im Segelkleid erreichen.
Da schreien alle Käuzchen fürchterlich hinab:
Nun stocken elf Verdammte über ihrem Grab.


Ich träume nicht, doch ich besinne mich der Gassen
Der Scheinbarkeit, in denen ich auf Marmor wandle.
Ich bleibe hier! Den Esel kann ich nicht verlassen:
Er schmeichelt mir, daß ich ihn gut behandle.

So warte, liebes Tier, ich muß nach Menschen suchen.
Da kommen sie in ihren braunen Schattenhüllen.
Sie regen sich: sie wollen segnen oder fluchen.
Sie sehen ehern aus und werden plötzlich brüllen.

Der Platz ist fast erfüllt: was sind das für Gestalten?
Sie scheinen stumme und mechanische Gebilde.
Sie tragen alte Götterzeichen in den Falten:
Ich bin vielleicht im elyseischen Gefilde!

Das sind die Bronzgespenster der Orakelgrotten.
Sie leben noch am Grund von unserm Marmorlande.
Wie meine Neugierden sich rings zusammenrotten!
Doch ganz vermummt erkenn ich auch die eigne Schande.

Ich bin von ehernen Figuren stets umgeben.
Sie wohnen in den kalten marmornen Gesängen.
Sie sehen Alabasterwolken niederschweben:
Die Jahre kennen sie an silbernen Behängen.

Wie bin ich mir nun selbst in anderen beschieden.
Ich kann die eignen Handlungen in Erz gewahren:
Die Bäume retten meinen hergebrachten Frieden,
In Äste sträubt sich jede Angst aus meinen Haaren.

Ich mag die kupfernen Verkleidungen nicht leiden.
Wer ein Gespenst geblieben ist, kann wiederkommen.
Was soll mir eine Regung zu Beschwörungseiden?
So rede, schwerer Geist, ich horche - angstbeklommen!

Wie Waldeswesen, die vor jedem Gott erschrecken,
Wie Ziegen, die auf einmal vor dem Mittag fliehen,
Verschwinden die Statüen hinter allen Ecken:
Da fängt ein Standbild an mich stark hinanzuziehen.


Ich horche auf. Die See hat ehernes Gedröhne.
Was kann ich sehn? Die Götter wandeln schon am Strande?
Sie kennen keine Sonnenflucht im Totenlande,
Doch hören sie der Ebbe dröhnendes Gestöhne.

Das Meer ist unsrer Schöpfung riesiges Versprechen.
Es sagt, auch wenn es schweigt: ich werde wiederkommen.
Ich eile fort, um meine Eide nie zu brechen,
Ich bin das Wort, das andre von euch abgenommen.

Noch kann ich diese Einsicht heimlich nur begreifen:
Der große Gott, der mich hinanzog, ist verblichen.
Doch hat sein Lockenhaar der Wellenflucht geglichen.
Einst kommt auch er, um unsre Witterung zu streifen.

Ich möchte einen Gott, der wartet, stumm begleiten,
Ich habe doch des Ewgen Sehnsuchten erraten.
Nun darf ich wahrhaft neben einem Stillen schreiten:
Vielleicht erwählt er mich zu frommen Taten.

Die Einsicht drängt heran. Er hüllt mich in sein Wissen:
Ich steige voll Vertrauen in das blaue Schweigen.
Da kann ich mir die eigene Erfüllung zeigen:
Und doch, der andere ist auch um mich beflissen.

Ich weiß durch ihn: die Gottheit ist von uns gegangen.
Was mich erfüllte, wurde dieser Welt entrissen.
Nun suchen wir aus uns hinaus, nach Gott zu langen.
Dort ist Er nicht. Wir können ihn nicht mehr vermissen!

Wir legen nach den Sternen unsre Rettungsseile
Und wollen ans verlaßne Herz die Sonnen pressen.
Wir müssen uns zum Sturz der eignen Welt vermessen:
Wir fliehen uns. Die neue Göttin ist die Eile!

Den Menschen hat die Wirklichkeit schon lang verlassen.
Zuerst befragten wir die Nacht um andere Kunden.
Nun wollen wir die Tagesjagd mit Händen fassen:
Die wundervolle Ruhe ist in uns geschwunden.


  Theodor Däubler . 1876 - 1934






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