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Gedichte, Lyrik, Poesie

Päan und Dithyrambos
162 Bücher



Theodor Däubler
Päan und Dithyrambos . 1. Auflage 1924



III

DES Königs Phönix palmenschlanke Tochter,
Europa, weilt verträumt unter den Kindern;
Sie spielt nicht mit den Myrten-Kränze-Windern:
Wo kommt ihr goldner Prinz? Durch Locken flocht' er

Sein Glutgeschmeid, aus Rosen unterjochter
Gebirge, mit den schneeverirrten Rindern:
Ihr klopft das Herz; den Schmerz wird Mondlicht lindern,
Es glänzt ins Schlummerschloß. O horch, nun pocht er

Im Traumgeschoß. Wer ruft? "So, dunkle Braut,
Ich bring dir Gold im hergestreuten Himmel:
Im Schoß empfang den Schatz, verbirg ihn traut!"

Europa schreckt empor. Erfreut-ihr graut -
Sie schreit nicht - ihren Mund drückt das Gewimmel
Der Sterne zu. Sie küßt zurück-nun laut.

-

Europa findet Sterne auf der Wiese -
Durch Küsse naß - vom Nachthauche betaut.
Sie glänzen, wo das Auge sie erschaut,
Auch tanzt ihr Kranz, als ob er strandhin wiese.

Dort äugt ein Tier, unter den Stieren - Riese.
Ist weiß das Fell, wie Schmelz der Rosenhaut?
Im Krausgelock des hellen Nacken kraut
Der Wind, als ob er Samt fürs Kind erkiese.

Europa folgt der Blicke blauem Wink:
Flink hilft der Wind ihr aufs geduckte Tier,
Und gleich entblitzt der Stier mit Blutgeblink.

Sein Satz erschwingt die See auf Purpurbogen:
Ein Himmel tagt als prangender Saphir,
Und vor dem Paar zerprallen laut die Wogen.


Das Meer entzückt sich ob des Stieres Kommen
Und strahlt empor, als Halle aus Kristall:
Europa schwebt im Gang aus Wasserfall,
Sie atmet Glück, wird nicht beim Raub beklommen.

Poseidons Wohnflut weilt emporgeglommen;
Die Zitterwände spenden holden Hall,
Der Tethys Schmuck ist wahrhaft wie Metall,
Still durch die Wölbung ein Delphin geschwommen.

Das Wasser offenbart sich in Korallen,
Ein Mond im Meer besilbert Stier und Maid;
Das ist kein Reiten, Rasten - sondern Wallen.

Es schleiern Perlen auf Europas Kleid,
Verkrampft sind unter Zeus des Kraken Krallen:
Wie weit bleibt seiner Sternenbraut das Leid!


Es welkt auf Kreta nimmer die Platane,
Wo Zeus die Stierverhüllung fallen ließ,
Europa auf dem Vlies zur Minne wies,
Des Tieres Schwerblut aufwallte zum Wahne

Geschäumter Sprachen überm Ozeane:
Des Abendsterns Atymnos Glanz verhieß
Den Ida-Hängen Hellas' Paradies
Und schwand wie ein enthimmelter Titane.

Nun herrschte Zeus allein auf Klüften,
Wo Amaltheias Euter ihn gesäugt;
Er schlang die Arme um der Jungfrau Hüften,

Der blaue Blick, der sie beim Stier beäugt,
Erwachte wie ein Tag mit Myrten-Düften,
Als sich der Gott zu ihrer Glut gebeugt.


Europas Mondblick fleht um dunkle Stunde,
Und Zeus ergibt sich ihr im Höhlenschoß,
Des Paares Liebe schlingt der Sonnen Los:
Nun küßt von blauem Sterne Zeus die Kunde.

Wie kühlt das Weib ein Meer auf süßem Munde,
Der Hoffnungsmorgen Moos betaut sich bloß:
Zum Gott, o Sonnenkunft, bleib wolkenlos!
Die Weltkluft füllt das Heil der Weibeswunde.

Ein Wonneglück entscheidet Sterngefechte,
Die Himmelsfehde schlichtet Minos' Blut;
Dem Wesen Zeus' entringt sich der Gerechte,

Als Mensch geborner Sohn, in Gottes Hut.
Im Schoß der Mutter glüht er Blitzgeflechte
Der Zukunft Kretas: eignes Krönungsgut.


ZU Knossos konnte Zeus den Ring erneuen,
Aus dem ein Sohn Besonnenheit entlieh,
Damit der Mensch das Götterwerk vollzieh,
Sein Herz vermochte Minos zu erfreuen:

Ersprossen, neunmal frohe Saat zu streuen,
Da achtfach schon der Weltentag gedieh,
Doch Schlaf der Hadernden vollbracht er nie:
Erneunte Neukunft sollte Zwiste scheuen!

Des Stieres Zähmung wurde Minos' Tugend,
Bei Sonnenspiel erheiterte sich Blut:
Sein neuntes Wunder war die Zucht der Jugend.

Von Wald umkränzt, hat gut die Flur geruht.
Gestirne, freundlich durchs Gewölke lugend,
Ereigneten, auf See, dem Süden Hut.


Nun herrschte der Stier, ohne Irrweg am Himmel,
Mit Tänzern bekränzt, wurde Kreta der Sitz,
Ihm folgte die Sonne, gehorchte der Blitz:
Die Jünglinge schwirrten mit Schellengebimmel.

Der Mond blieb sein Diener, auf schillerndem Schimmel
Erraffte er Jungfrauen, raubenden Ritts:
Sie kamen in Seide, mit seitlichem Schlitz,
Und wogten im Winde, wie Wolkengewimmel.

Der Stier war als männliche Gottheit erschienen
Und trug die Umwandung, die Zeus hinterließ;
Nun sollten ihm Kinder in Leibeslust dienen.

Sie legten sich still zu dem blutwarmen Vlies,
Doch spürten die Herzen des Himmels Lawinen,
Als ob sie der Frost von Gestirnen umblies.


Zum Schutze von Kreta ward Talos gestaltet;
Er lief, seinen Sommer lang, strotzend von Erz,
Rund um die Insel, mit eisernem Herz,
Und hat seines Wächtertums hurtig gewaltet.

Er sott in den Adern: die Brust war erkaltet.
Sein Fuß schien metallisch und sprang brandungswärts,
So flügelhaft flugs, als entflöhe er Schmerz.
Der Rücken schwoll glatt, bloß dem Steiß zu gefaltet.

O rastloser Talos, mit gluthafter Ader,
Auf schwärender Ferse, vom Nagel gesperrt,
Dich tötet ein Strahl der Gestirne in Hader:

Durch Machenschaft, schräg in die Steile gezerrt,
Schon traf dich der Pfeil! Kurz reckst du dich grader
Und stirbst, wirr vom Künstler Hephaistos beplärrt.


Zu Knossos ward Katreus dem Minos geboren:
Althaemenes sollte, der eigene Sohn,
Der Weissagung folgsam, Gesittung zum Hohn,
Wie Schauer des Kommenden schaudernd geschworen,

Ihn fällen. Althaemenes, schrecklich erkoren,
Entsetzt sich auf Rhodos und baut seinen Thron.
Ergreist folgt ihm Katreus, um Vaterschafts-Lohn -
Lang wogt er zur Insel, in Wolken verloren.

Auf einmal erstrahlt sie, aus rosigem Morgen.
Phönikische Räuber! Erschrickt, wer dort wohnt.
Althaemenes dünkt sich auf Rhodos geborgen

Und zielt. Sein Erzeuger, in Seenot verschont,
Stürzt um. O Rose im Meere, purpurne Sorgen
Enttrubeln dir flutzu! Der Mord wird gelohnt.


Althaemenes forderte Keuschheit zur Ruße:
Sein Schwesterkind Apemosyne blieb streng,
Doch huschte ihr Hermes ins Sehnsuchtsgemeng
Und lief um die Holde, auf flügelndem Fuße.

Sie hüpfte davon, mit verlegenem Gruße:
Der Gott aber warf frische Felle gelenk
Der Schlüpfenden hin; sein Verführungsgeschenk
Versuchte die Stürzende schnell zum Genusse.

Althaemenes' Wachen gewahrte die Schande,
Der eigenen Sippschaft Gelöbnisses Bruch.
Er legte das stammelnde Mädchen in Bande

Und würgte es tödlich, bei zürnendem Spruch.
Dann fegte er schlaflos, als Traum, durch die Lande,
Erfuhr seinen Irrtum, verschwand bald am Strande.


Dem Minos hat Europa Zeus gespendet,
Einst bat sie ihn: Gemahl, schenk mir ein Kind!
Da ward er ihr gar liebeleicht und lind,
Verlangte kaum - blieb sanft, nach ihr gewendet.

So starken Dank hat drauf ihr Kuß verschwendet,
Daß Zeus Gestirne zugestoben sind,
Doch senkt' er sie zurück, als Angebind
Dem Sohn, den sich ein goldner Schoß vollendet.

So kam des dunklen Rhadamantys Stunde.
Er wuchs geheimnisreich in unsre Welt:
Noch nie entquoll das Wort so süßem Munde,

Des Kindes Lispeln gab dem Sterngezelt
Ersilbte Richtigkeit, der Eignung Kunde:
Auf sie ward unser Augenblick gestellt.


Poseidon mochte mit Europa kosen:
Dem Bruder hätte Zeus sie zugewandt,
Die Gattin aber nie sich umbekannt:
Einmal jedoch, bei Sturm von atemlosen

Umarmungen des Gatten, flog das Tosen
Poseidons auch - in Brunst erwogt - entbrannt
Zur Braut und hat sie brüllend übermannt.
Doch Zeus flog lachend auf zu Eos' Rosen.

Europa sollte Sarpedon gebären!
Ein Sohn von Zeus? Er hatte seinen Blick.
Poseidons Balg mußten die Brüste nähren!

Das Roß, die Wogen schoben sein Geschick.
Europas Mondauge umperlten Zähren:
Dem Wildfang hieb der Hundsstern aufs Genick.


Dem Bruder raubte Sarpedon die Pferde,
Des Minos Weisheit war sein Brausen feind;
Mit Küstenstürmern, Waghälsen vereint,
Verließ er ungestüm der Kreter Erde.

Wo schnob er, mit gestohlner Lämmerherde,
Von seiner Mutter mondelang beweint?
Dem Sommer zu, der goldgeschmückt erscheint!
Er brachte Meer und Eilanden Beschwerde.

Europa sann: hab ich mein Kind verloren?
Da kämpfte Sarpedon mit einem Schiff:
Er hatte gegen Lykien sich verschworen.

Europa ahnte ihn auf spitzem Riff:
Von Nymphen in der Bucht zu Lust erkoren,
Bedacht er, welche sein Gemüt ergriff.


Europa blickt in Zwiste der Gestirne,
Der Mond in ihrer Seele mahnt aufs Meer:
Wo käme Milde für die Menschen her?
Die Milchstraße verschneit der Fernen Firne.

Ihr Mut entwirrt sich Irrwege im Hirne:
Die Welt wird wonnelos, betrauungsleer.
Nun weiß das Weib: der Winter ist Begehr:
Sein Mondscheinwesen birgt geheime Zwirne.

Das Herz beschließt: hinweg von Kretas Blendung,
Hinab in Tiefen, wo der Trug verblaßt:
Erklammre dich am Fels der Weltenwendung!

Ein Dasein, das vertiefte Angst erfaßt,
- Erschrickt das Weib - umfahndet keine Endung,
Doch ich bin Göttin, die Verzweiung haßt!


Zur Mutter regt sich Rhadamantys' Stimme:
Wir sterben nicht, noch weiß ich heilen Weg.
Schon flimmern mir Geweihte im Geheg,
Ergib dich Tränende - bleib bleich - entklimme!

Europa fleht: o Mond im Blut erglimme,
Bespur dem Kind vor mir den Schwebesteg!
Zur Styx bin ich bereit: behutsam leg
Den Fuß in Fluß, wenn ich die Flut beschwimme!

Am Weibgeheimnis lehnt des Sohns Sich-Deuchten.
"Der Mond kommt fromm!" durchmunkelt es die Schlucht.
Nun können stillster Liebe Lilien leuchten.

"O Mutter, pflück mir deiner Güte Frucht,
Wo Tränen der Verklärtheit Baum befeuchten!"
Verlangt der Knabe vor Kokytos' Bucht.


"Erscheine mir, drum sei: im Kreis der Greise,
Des Mondes Mutter mit entzücktem Kind!"
Belebt sich Lethe: "Lange blieb ich blind,
Dann wacht ich auf und sah durch Orpheus' Weise."

"Dein Wesen liebt uns zugestimmt und leise;
Wie hell mein Zwirn sich deinem Seil verspinnt."
Beginnt Europa: "Styx' Gewell gewinnt
Verweilsamkeit durch hergeschwommne Reise."

"Du bist mir nah, ich wähne deine Nässe,
Das Netz, nach dem du haschst, zuckt Zeus' Geschick!"
Winkt Styx dem dunklen Weib, bei Sohnes Blässe:

"Aus Silberlicht blinkt der Beschlingungsstrick
Zur Bucht von Heimsuchung, ohne Erlässe
Der Strafenstrahlen im Erinnyen-Blick."


Amphion sang, als Rhadamantys nahte,
Vom Ruhme Thebens, den sich Zethos baute,
Antíope half sacht mit altem Rate.

Der Knabe grüßte, wo die Stadt ihm blaute:
"Mein Kommen gleicht dem Schwung vom Schwebeschwane,
Ich schwamm beinah zu euch, mir Blaß-Vertraute:

Der Mond ist unsrer Mütter sanfter Ahne,
Drum bleib ich jung und stürze ab zum Greise,
Mein Urteil glüht bedacht im Knabenwahne."

Amphion singt: "Wir loben deine Reise:
Sei frisch bei uns - ein Kind, der Toten Richter,
Asphódelos' so müder Duft dir Speise!"

"Entgeisterte, Gestalt durch Huld der Dichter,
Spielt Meere auf und singt uns Götterkähne!"
Begehrt Europa: "Noch erblick ich leere Trichter."

"O Mutter, sieh den Gott mit goldner Mähne!"
Ruft Rhadamantys zu Apollos Kommen:
"Sein Sang wird Blut, der Hohen Sonnensträhne."

Apollo winkt: "Mein Nahen darf euch frommen!
Ich habe Python mit dem Pfeil getroffen:
Delphine sind um meinen Sang geschwommen.

Ihr sollt auf tiefsten Sieg des Liedes hoffen:
Hyperboräer, euer Gang ist Glasten,
Die Pforten heller Herkunft haltet offen:

Ich mag nach steiler Fahrt bei Schwänen rasten,
Zu euern Schwebeinseln freundlich klimmen,
Mit Flocken Gold den Himmel zart bequasten!"

Europa fleht: "Mein Zeus, die Stimmen
Der Kindlichen umflügeln meine Sinne:
Der Lorbeer ist Gesang und leises Glimmen.

Das Blut Hyákinthos' erblüht wie Minne,
Ich wähne Schwäne und begreife Greife:
Gestalt wird Sang, den ich um Glück beginne.

Ein Sohn von dir sei Spender weicher Reife,
Mein Zeus, wie dürstet mich nach deinem Munde,
Wenn, Küsse wünschend, ich Gewölk durchschweife."

Und Zeus gibt seinem Weibe süße Kunde:
"Empfange deinen Sohn als meine Worte,
Vollendet ward des Stieres Sternenrunde!

Den Widder fordert auf zu hohem Horte!
Sein Priester glüht aus unsers Blutes Trieben,
Karneios heiße er vor jüngster Pforte!

Apollo wird den schönen Jüngling lieben,
Du hörst von ihm: blick auf, er soll dich blenden!
Der Samen sproß: mein Wort ist wahr geblieben."

Das Weib vermag sich stolz emporzuwenden
Und schaut als eignen Sohn, was Zeus gesprochen,
Des Kindes Lippen können Götter spenden:

"O Mutter, horch, des Himmels Herzen pochen,
Den Widder sollen Sterne offenbaren,
Und Phrixos wird sich Jolkos unterjochen!"

Apollo singt: "Ich kann die See gewahren:
Wohl bleibt so mittagshoch und froh mein Wesen,
Daß uns im Hades Wolken unterscharen.

Die Zukunft wettert auf, weil ungewesen.
Begoldet wogt das Meer durch Widderfelle,
Das grellste wird sich Argos' Troß erlesen.

Wie Phrixos springt, von Welle frisch zu Welle,
O Wind der Sterne des Geschickes wehe!
- Ein Wogenschlund: - vom Widder greift er Helle."

"Vollzogen ist die Widderkunft, ich gehe,"
Erschallt Karneios' Lied; "als Phöbos' Seher,
Den Menschen zu, für deren Hut ich flehe."

Der Sterne Umruck kommt. Im Blut gescheh er!


  Theodor Däubler . 1876 - 1934






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