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Karl Stamm
Der
Aufbruch des Herzens . 1. Auflage 1919
Aufschrei
Du heißes, ungeschriebenes Buch,
das ich nicht schaffen kann.
Seit Knabenzeiten ewiglich verworfener Versuch,
die Welt zu zwingen, Gott und Mensch.
Das Wort zu finden, das uns keiner noch gesagt,
das mehr als liebt und haßt und bebt und klagt -
Denn Ohnmacht ist die Liebe, die ich kenne.
Vermauert hämmert das Gehirn die Wand,
die mich vom Diesseits trennt.
Denn ich bin jenseits.
Bin verstrickt in Wahnsinnshaß,
trage die Kuppeln düsterer Nächte,
bin ein Fremdling unter den andern,
will Brücken hinüberschlagen,
will sie empfinden, und als mich empfinden,
will mich selber finden. Lebe, glühe,
zurückgewirbelt vom trügerischen Morgenlicht.
Denn all mein Licht ist noch Finsternis.
Will die Binde von meinen Augen reißen -
Ach, sie fiel schon längst, bin sehend blind.
O Sturz ins Leben! Irrfahrten des Gefühls,
des Bluts Verwirrung. Nackte Not schreit
millionenfachen Ruf der Schwachen in mein Herz.
Aber meine weiche Sehnsuchtsseele dichtet
Gesang der Ferne, süßestes Verlorensein.
Das will ich nicht!
Seit Knabentagen bin ich auf der Flucht
von Tag zu Nacht, vom Schlaf zum Traum. -
O heißes Wort, das noch nicht Wort geworden,
gebier dich doch! O werde Schicksal, Gott, Geschehnis!
Gleichviel, werde! Wenn nicht, erwürge mich mit deinem Nicht-Sein,
zerstäube meines Herzens Schmerzenwasserfall! Ermorde mich,
der ich zersplittert bin in abertausend Wesen,
fiebre in jeder Krankheit, mitwelke jedes Sterben.
Der ich mich ganz verloren und mich suche
Der ich in Nacht noch und Verworfenheit das Reine suche.
Der ich schwelge in Erniedrigung Und stürze von
Sündenfall zu Sünde. Der Abend werden will. Der Spötter ist.
Unreife Spätherbstfrucht. Der betet. Der zum Kinde wird.
Der untergeht. Der brennt.
Der blutet.
Der an sich verblutet.
Karl
Stamm . 1890 - 1919
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