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Karl Stamm
Der
Aufbruch des Herzens . 1. Auflage 1919
IV
Golgatha überall. Aus Millionen
bin ich ein einzeln Kreuz, von Blut beschmutzt.
Ich kann nicht mehr, ich breche dumpf zusammen.
Es findet sich kein Simon, der es trägt.
Ich bin nur Mensch, du warst des Menschen Sohn.
Ich höre weit im Land, durch alle Mitternacht
hoch überbraust von Blut und Schuld und Not
Unzählige in immer neugefüllten Schüsseln ihre Hände waschen:
Wir sind nicht schuld. Wir schwören euch vor Gott.
Ich groll euch nicht. Ich groll euch allen nicht.
Nur einen Fluch hab ich mir aufgespart.
O stirb, du Fluch, daß ich nicht schuldig werde.
Du ferne Frau im hellbesonnten Hause,
was soll das Weinen, das du für mich weintest?
Was ließest du mich ziehn in dieses Morden!
Du wußtest tief um meine Kreuzigung.
Du schluchztest weh, doch hießest du mich gehen.
Du küßtest mich. Ich starb an diesem Kuß.
Des Vaterlandes Henker klatschten Beifall:
Der ist's! ... Ich ging. Du schwenktest lange mit dem Tuche....
Ich aber habe dreimal mich verleugnet!
Ich lachte, als der Schmerz mich überwand,
ich glaubte deiner gotterfüllten Liebe,
und ich verwarf mich dumpf und heiß vor dir.
Du sandtest mir ins Feld die wundervollsten Briefe,
vom Mut und Heldentod der Kameraden
und vom Triumphgefühl der Heimat, all den klingenden Morgenblättern.
Dann ward'st du reuig, rissest auf in Not:
Vergib! Vergib! Ich habe dich verraten....
Nimm deine dreißig Silberlinge!
Ich fluche nicht, mein ferner, armer Judas.
Heiß brennt dein Kuß -
Daß einer Judas sein muß!
Und jede Scholle Erde Golgatha!
Karl
Stamm . 1890 - 1919
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