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Karl Stamm
Der
Aufbruch des Herzens . 1. Auflage 1919
Immer noch Licht?
Wer reißt aus den erkämpften Frühstillen mich herauf?
Bin ich ewige Glut, die mich versengt
und nie Licht zu werden vermag in meiner Seele?
Nacht, Nacht, warum verstießest du mich?
Warum darf ich nicht ertrinken in deinen Wassern?
Warum treibst du mich auf in den Tag?
Wozu hast du mich aufgespart?
Nenn mich nicht müdes Kind. Ich war nie Kind.
Meine Jugend starb schon in meinen Ahnen,
der Fluch ihrer Lippen war mein Spielball,
ihre Ohnmacht mein Lager. Nichts ließen
sie mir, als ihr Alter und ihre Wunde.
Meine Mutter tötete ich bei meiner Geburt,
ich bin der Mörder meiner ungeborenen Schwester,
bin der jubelnde Mörder ungeborener Enkel.
Daß ewig der Schnee des Nicht-Seins über euch schwebe!
Daß ihr nie vernehmt Gottes Schrei in euch!
Daß ihr bleibet das ungesungene Lied!
Nacht, Nacht, warum verstießest du mich?
Warum soll ich ewig stöhnen die Qual der Ahnen?
Mein Fluch ist des Vaters Fluch. Soll ich selber
Vaterfluch werden? Ist meine Klage dir nicht genug?
Ist dir so unheilig das Kind, daß du mit Wollust
die Tage mir dehnst, um voller dich an Marter und Pein zu weiden?
Sieh, ich war meinem Vater der eingeborene Sohn,
ich war ihm Heiland in meiner Mutter Schoß,
milde Verheißung. Ich war ihm Stern auf nächtlicher Flucht,
Begräbnis seines Schreis.
Doch meinem Vater auferstand ein Sohn, des Blut vergreist.
An meinen Füßen zerrte sein eigenes Gewicht,
aus meinem Mund pfeilt ihm sein eigner Schrei entgegen.
Daß ich in seine Augen blicken muß!
Und daß ich ihn ertrage!
Vater! Vater!
O daß ich mich ertrage!
Nacht, Nacht, warum verstießest du mich?
Nimm mich zurück! Lösche das Licht!
Zeig mir das Licht im Lichte!
Karl
Stamm . 1890 - 1919
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