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Der Aufbruch des Herzens
162 Bücher



Karl Stamm
Der Aufbruch des Herzens . 1. Auflage 1919



Siehe, ich bin dein Vater.
Geh nicht vorüber! Bin nicht verbotener Weg,
Es ist so lange her, daß ich auf meinen Knieen dich gewiegt.
Es ist so lange her, daß wir die Sonne spielten, den Mond und die Sterne.
Ich habe dir immer größtes Spielzeug gegeben.
Keins war dir groß genug. Und die Sonnenkugel
entglitt deinen Händen. Da wußte ich nichts mehr.
Und dann sind wir uns fremd geworden.
Wir saßen am selben Tische, aber unsere
Augen glitten aneinander vorüber.
Wir saßen Jahr und Tag am selben Tische.
Weißt du's nicht mehr: Wir lachten oft.
O du verstecktest dich in diesem Lachen, denn du littest
dumpf an mir und wußtest's nicht. Ich leide auch.
Du Liebling, einzige ungeheure Klage,
du weißt nicht, wie du deinen Vater in die Kniee zwingst.
Ich lese die Feuerschrift in deinem Auge:
War ich dir nicht verbotene Frucht?
Sieh deines Vaters Last: Unüberwundenheit.
Sieh seinen Spielweg: Ewiger Abendgang an Gräber,
unsere letzten Puppenstuben. O ich weiß:
Du hassest mich! Du hassest den Erzeuger.
Ich bin dein Feind! Ich bin der Mörder,
der die Ungeborenen ins lieben würgt. -
Vielleicht, daß ich so schuldig bin.
Vielleicht warst du es, der uns rief
und uns zusammenführte. Siehe, deine Mutter.
Du Liebling, einzige, ungeheure Klage,
als du uns, Ungeborner, riefest! Uns
in heißer Scham umarmtest! Heilige Heimat!

Du hassest mich? O mildre deinen Blick!
Wir wollen spielen, wie wir ehmals taten.
Wir wollen Sonne, Mond und Sterne spielen.
Erlöse deinen Blick! Wir wollen spielen.
Du zwingst mich härter auf die Kniee.
Es ist unmöglich, daß du mich verwirfst!
Erbarm dich meiner! Werde nicht mein Grab!

O Vater, Vater! Siehe deinen Sohn!


  Karl Stamm . 1890 - 1919






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