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Friedrich von Bodenstedt
Aus
der Heimat und Fremde . 1856/1859
Belsazar's Vision
Der König sitzt auf dem Thron,
Die Satrapen füllen den Saal;
Hell tausend Lampen loh'n
Zum hehren Festesmahl.
In tausend Bechern von Gold
- In Juda heilig und rein -
Die Jehovah dienen gesollt,
Schäumt gottloser Heiden Wein.
Da zeigten mit Einem Mal
Die Finger einer Hand
Sich an der Wand im Saal,
Und schrieben wie auf Sand
Worte von dunklem Sinn -
Vereinzelt eine Hand
Lief zwischen den Worten hin,
Sie festigend an der Wand.
Der König bebt und starrt,
Es schwieg Lärm und Gesang -
Ganz bleich sein Antlitz ward,
Hohl seiner Stimme Klang:
"Ruft weise Männer herbei,
Die weisesten der Welt,
Zu deuten, was es sei,
Das unsre Freude vergällt!"
Chaldäa's Seher fand
Man immer sonst bewährt,
Doch die Worte an der Wand
Hat keiner von ihnen erklärt.
Und Babels Aelt'ste sonst
Rühmt man in Weisheit sehr -
Hier war ihre Kunst umsonst,
Sie sahen - und nichts mehr.
Ein Jüngling, der im Land
Fremd und gefangen war,
Las die Worte an der Wand,
Ihr Sinn ward offenbar.
Bei der Lampen Flammenpracht
Die Schrift stand wie verklärt,
Und was er las zur Nacht,
Der Morgen hat's bewährt.
Belsazar's Grab ist gemacht,
Sein Reich der Feinde Raub,
Er auf die Wage gebracht,
Ist jetzt werthloser Staub -
Ein Grabtuch sein Gewand,
Ein Grabstein seine Kron';
Der Meder ist im Land,
Der Perser auf dem Thron.
Friedrich
von Bodenstedt . 1819 - 1892
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