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Friedrich von Bodenstedt
Aus
der Heimat und Fremde . 1856/1859
Das Walten des Schicksals
Seh' ich das räthselvolle Walten
Des Schicksals, wie es haßt und liebt,
In seltsam launenhaftem Schalten
Dem Armen nimmt, dem Reichen giebt,
In Willkür seine Gaben theilt,
Die Kleinen trifft, die Großen schont,
An dem Verdienst vorübereilt
Und einkehrt wo das Laster wohnt -
Seh' ich, wie blind sein Würfel fällt
In Ehre, Strafe und Belohnung:
Erscheint mir oft die ganze Welt
Wie eine große Narrenwohnung,
Wo Thorheit sich als Weisheit bläht
Und Ernte hält, wer nicht gesä't.
Doch, hadr' ich dann mit dem Geschicke:
Entschleiert sich's auf Augenblicke -
In mir und um mich wird es helle,
Als ständ ich an des Lichtes Quelle.
Das falsche Glück, die falsche Größe
Seh' ich in hohler, morscher Blöße;
Ich seh' von Herzen und Gewissen
Den goldnen Flitter fortgerissen;
Ich sehe knecht'schen Sinn auf Thronen,
Hoheit in dürftigen Hütten wohnen;
Was wahrhaft groß ist, lern' ich kennen,
Das Aechte von dem Falschen trennen;
Ich seh', daß unverdiente Würde
In dieser Welt die schlimmste Bürde;
Und statt des Neides dann: Erbarmen
Fühl' ich bei Reichen - Neid bei Armen.
Des eignen Unwerths mir bewußt,
Reumüthig schlag' ich an die Brust,
Daß ich mich kindisch unterwand
Zu tadeln was ich nicht verstand,
Und mit den ewigen Schicksalsmächten
Gewagt zu hadern und zu rechten.
Friedrich
von Bodenstedt . 1819 - 1892
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