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Aus der Heimat und Fremde
162 Bücher



Friedrich von Bodenstedt
Aus der Heimat und Fremde . 1856/1859



Der Auszug der Tataren aus der Krim

(Im Sommer 1856.)

(Geschrieben unter dem Eindrucke der Nachricht, daß die letzten Trümmer des mächtigen Tatarenvolks, vor welchem einst Europa erzitterte, aus Furcht vor den Russen die Krim verließen, um an der Donau ein Obdach zu suchen.)


Es wiehern die Rosse um Mitternacht,
Die Männer rüsten, doch nicht zur Schlacht:
    Zu flüchten aus den heim'schen Gauen -
Und Wagen knarren, in langer Reih'
Ziehn Maulthiere und Kameele vorbei
    Mit Kindern, weißverhüllten Frauen.

Schon wogt's durch Bergesthal und Schlucht,
Ein ganzes Volk ist auf der Flucht,
    Und weinen hört man, jammern, fluchen;
Die Städte werden, die Dörfer leer,
Und weiter wälzt sich das Menschenmeer,
    Ein neues Heimatland zu suchen.

Allein, an des Pontus felsigem Strand,
Auf steiler Höhe ein Jüngling stand,
    Ließ trüb' umher die Blicke schweifen:
Hier umschäumt mit brandendem Wogenschlag
Die Meerflut den mächtigen Ajudagh,
    Dort blitzt des Salgir Silberstreifen.

Am Salgir steht seiner Väter Haus -
Auch er zog mit den andern aus,
    Ein Fremdling nun im heim'schen Lande,
Aus fürstlichem Geschlecht erzeugt,
Vor dem sich einst dies Land gebeugt
    Bis zu der fernen Steppen Rande.

Und eh' er scheidet vom heimischen Glück,
Noch einmal muß er das Auge zurück
    Auf Tauris sonnige Fluren wenden,
Wo die Rebe schwillt und die Rose glüht,
Das Land in Segen und Schönheit blüht,
    Geschützt von grünen Berggeländen.

Und wie er denkt an die alte Zeit,
Wo die Väter geherrscht in Herrlichkeit
    In der Alhambra der Tataren
Bagtschi-Serai, und hochgemuth
Lorbeer'n erkämpften und Kriegstribut
    Von Polens Königen, Rußlands Zaren -

Da schwillt die Brust ihm unmuthvoll,
Die jüngst noch hoffnungsmuthig schwoll,
    Als er gefolgt den fremden Fahnen,
Mit seinen Reitern in mancher Schlacht
Gekämpft, kühn zu befrei'n gedacht
    Das reiche Erbe seiner Ahnen.

Wie er so finster stand und sann,
Trat mahnend zu ihm ein Greis heran:
    "Schon steigt die Sonne hoch am Himmel,
s' ist Zeit, mein Fürst, wir müssen ziehn!"
Ernst lenkt der Fürst den Blick auf ihn,
    Dann abwärts auf das Volksgewimmel.

- Laß mich zurück! doch Du zieh fort,
Sei dem verwaisten Volk ein Hort!
    Noch Eins! dann zieh in Gottes Namen.
Als unsre Väter in dies Land
Einzogen, sprich, ist Dir bekannt,
    Woher sie und warum sie kamen? -

"Woher sie gekommen, ich weiß es nicht!
Die Sage geht: ein Strafgericht
    Hielt einst der Herr mit unsern Horden,
Daß er sie geführt von Schlacht zu Schlacht,
Die Welt uns unterthan gemacht,
    Daß wir der Völker Geißel worden.

Da warf er die Geißel aus seiner Hand,
Wir wurden zerstreut von Land zu Land.
    Wie eine wetterschwang're Wolke,
Die sich dräuend über die Lande erhob
Und Alles verwüstend selbst zerstob,
    So starb die Macht in unsrem Volke.

Doch wir sind Kinder in Gottes Hand,
Und ob Er uns scheucht von Land zu Land,
    Wer an Ihn glaubt, darf nicht verzagen!
Ob Gott uns groß macht oder klein,
Sein Name soll gepriesen sein
    In trüben wie in heitern Tagen!"

- Wohl Dir, dem Trost wird in der Noth!
Mein Unglück endigt nur der Tod,
    Ich mag nicht leben in der Schande.
Fahr wohl! Glück folge Deinem Fuß,
Bring' meinem Volk den Abschiedsgruß,
    Gott segne Euch im fremden Lande! -

Sprach's, stürzte in die Flut hinab,
Und über ihm schloß sich das Wassergrab,
    Laut plätscherten die grünen Wogen.
Ein leis' Gebet der Alte sprach,
Und die Thräne aus seinem Auge brach,
    Als er zur Fremde fortgezogen.


  Friedrich von Bodenstedt . 1819 - 1892






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