162 Bücher
|
Friedrich von Bodenstedt
Aus
der Heimat und Fremde . 1856/1859
Die ersten Waräger in Rußland
(Nach einer alten Sage.)
"Hat uns das Volk in's Land gerufen,
Doch öd' ist hier der Aufenthalt -
Die Steppe dröhnt von Rosseshufen,
Viel schlanke Bäume stehn im Wald:
Laßt Rosse fangen, Bäume hauen,
Zur Heerfahrt rüsten, Flotten bauen,
Wir ziehn in schön're Lande bald!"
"Wir hörten Wundermäre sagen
Von einer Kaiserstadt Byzanz,
Wo marmorne Paläste ragen
Und Kuppeln glühn, von Golde ganz,
Umflutet von zwei mächt'gen Meeren -
Dahin ziehn wir mit unsern Heeren,
Zu herrschen dort in Macht und Glanz,"
Schon harrt des Heers die Ruderflotte,
Gerüstet steht die Reiterschaar -
Im Hain bringt man dem Meeresgotte
Morán sein blutig Opfer dar:
Zwei Christen, in der Schlacht gefangen -
Der Holzstoß glüht', die Priester sangen
Und tanzten um den Glutaltar.
Da plötzlich hebt das Meer die Wogen,
Zerstreut die Schiffe, heult und zischt,
Schwarz ist der Himmel jäh umzogen,
Als ob sich Luft und Meer gemischt;
Dumpf rollt der Donner durch die Räume,
Wie Röhricht zittern alle Bäume,
Das Feuer des Altars verlischt.
Zum Führer fleh'n die Priester brünstig:
Laßt ab von Eurer Meerfahrt heut!
Laßt ab! Der Gott ist Euch nicht günstig,
Da er in Sturm und Wettern dräut, -
Der Führer ruft in grimmem Spotte:
Mir bangt vor keinem Slavengotte -
Vorwärts, zum Kampf, den er uns beut!
Kaum hat der Fürst das Wort gesprochen,
Verstummt des Sturms, des Donners Mund,
Die Wogen sanken und verkrochen
Sich ruhig in den Meeresgrund;
Wie Rauch war das Gewölk zerstoben,
Strahlend wölbt sich der Himmel oben,
Verklärend Meer und Erdenrund.
Zur Meerfahrt rüsteten die Mannen,
Die Ruderflotte lag am Strand,
Schnell wie im Fluge ging's von dannen,
Bald aus dem Blick verschwand das Land.
Es saßen fürstliche Waräger
Mit in den Reih'n der Ruderschläger,
Der Führer selbst am Steuer stand.
Still lag das Meer, als ob es schliefe
In seiner grausenvollen Gruft -
Selbst kein Delphin taucht aus der Tiefe,
Kein Vogelflug durchschwirrt die Luft.
Schon fernher, von des Meeres Gränzen
Sieht man die goldnen Kuppeln glänzen
Der Kaiserstadt im Morgenduft.
Da rühmte laut sich seiner Heerfahrt
Der Fürst und sprach dem Gotte Hohn:
Wir sind am Ziele unsrer Meerfahrt,
Morán, ohnmächtig war Dein Droh'n! -
Die Schiffe nah'n sich schon den Küsten -
Jetzt, Brüder, laßt zum Kampf uns rüsten!
Hier winkt uns Ruhm und goldner Lohn.
Plötzlich entsteigt dem Wasserschlunde
Des Meergotts schreckliche Gestalt;
Wolken entschweben seinem Munde,
Sein langes Haar wie Meerflut wallt;
Wie Nacht um ihn begann's zu dunkeln,
Wie Blitze seine Augen funkeln,
Wie Donner seine Stimme schallt.
Rings ward ein Stürmen, Wimmern, Heulen,
Wie Spreu zerstoben Schiff und Heer,
Zum Himmel stiegen Wassersäulen,
Und Wolken stürzten sich in's Meer.
Was auf der Flut war, ging zu Grunde, -
Lebend entkam dem Wasserschlunde
Der Fürst nur, ohne Schutz und Wehr.
Den Fürsten ließ der Gott nicht sterben,
Ihn straft' er schlimmer als durch Tod,
Da er ihm zürnend das Verderben
Des mächt'gen Heers zum Schauspiel bot,
Daß er bereue seine Sünde,
Dem Volk der Götter Macht verkünde,
Und wie ihr Zorn den Spöttern droht.
Friedrich
von Bodenstedt . 1819 - 1892
|
|