162 Bücher
|
Friedrich von Bodenstedt
Aus
der Heimat und Fremde . 1856/1859
Sonne und Wolke
"Sonne, schöne Wasserbuhlerin!
Die in eitel mädchenhaftem Sinn
Sich in jedem kleinen Quell besieht:
Ob ihr Angesicht noch hell und klar,
Keine Runzel ihre Stirn umzieht,
Noch nicht bleicht ihr gold'nes Strahlenhaar
Und die Schönheit nicht vor Alter flieht!"
Also sprach die Wolke zu der Sonne,
Und die Sonne sprach zur Antwort wieder:
- Send' ich aus dem ew'gen Schönheitsbronne
Meines Daseins einen Lichtstrahl nieder,
Ist es nicht aus kleinlicher Begierde,
Nicht aus Eitelkeit und Sucht zu blenden:
Segen streu' ich aus mit meinen Händen,
Und es wird mein Licht der Welt zur Zierde!
Meiner Schönheit brauch' ich keinen Spiegel,
Die sich ewig in sich selber sieht,
Die nicht wechselt mit der Jahre Lauf -
Und wohin ein Lichtstrahl von ihr zieht
In der Welt, drückt Allem sie das Siegel
Ihres eignen sel'gen Glanzes auf.
Nicht mein Antlitz seh' ich in der Welle:
In mir selber sieht die Welle sich;
Wo ich strahle, wird es vor mir helle,
Und was leuchtet, leuchtet nur durch mich!
Aber Du willst vor der Welt verdunkeln
Finstern Neides meiner Schönheit Funkeln -
Sieh, mein Licht soll Dich dafür verderben,
Und in meinem Glanze sollst Du sterben!
Doch ich will, daß auch Dein Tod der Erde,
Sie befruchtend, noch zum Segen werde.
Mich verbergen wolltest Du dem Volke:
Jetzt zum Opfer fallen sollst Du mir! -
Also sprach die Sonne zu der Wolke,
Strahlt' mit ihrer ganzen Glut nach ihr.
Und vor Scham war glühroth übergossen
Erst die Wolke - dann in Nichts zerflossen.
Todt zur Erde träufelt sie - ihr blasser
Sonnenneid ward mit ihr selbst zu Wasser.
Friedrich
von Bodenstedt . 1819 - 1892
|
|