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Friedrich von Bodenstedt
Aus
der Heimat und Fremde . 1856/1859
Warum die Juden kein Schweinefleisch essen
(Flandrische Volkssage.)
Es geht eine alte Sage schon viele hundert Jahr:
Als unser Herr und Heiland noch auf der Erde war,
Das Gotteswort zu predigen, kam er auf seinem Wandern
Durch vieler Könige Länder eines Tages auch nach Flandern.
Die Juden höhnten den Heiland, da sie ihn kommen sah'n,
Sie wollten dem Volke zeigen, seine Weisheit sei ein Wahn;
Es sollte ein Jude heimlich sich unter ein Faß verstecken
Und Jesus Christus sollte durch ein Wunder ihn entdecken.
Drauf Einer von den Juden trat heran zum Herrn:
Wir hörten von Deinen Wundern und sähen sie selber gern:
Kannst Du, wer unter dem Fasse verborgen sitzt, errathen,
So glauben wir an Deine Lehren und all' Deine Wunderthaten.
Sie wähnten, um die Antwort würd' er sehr in Nöthen sein,
Doch lächelnd sprach Herr Jesus: Unter dem Fasse sitzt ein Schwein! -
Da verhöhnten ihn die Juden, als er das Wort gesprochen,
Doch grunzend unter dem Fasse kam ein Schwein hervorgekrochen.
Der Jude an der Stelle war nicht mehr zu sehn;
Unmaßen staunten Alle ob dem Wunder das geschehn,
Derweil das Schwein in Sprüngen seinen Weg genommen
Zu einer Heerde Säue, die eben vom Felde gekommen.
Die Juden, drauf zu fahnden, liefen hinterdrein,
Wähnend, der Verlor'ne sei gefahren in das Schwein;
Doch fahndeten sie vergebens, denn dazumal in Flandern
Schwer zu unterscheiden war, sagt man, ein Schwein vom andern.
Drum hüten sich die Juden bis zum heutigen Tag
Schweinefleisch zu essen, weil Niemand sagen mag,
In welches Schwein gefahren der arme Jud' aus Flandern,
Und es möchte doch kein Jude gern aufessen einen andern.
Friedrich
von Bodenstedt . 1819 - 1892
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