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Aus der Heimat und Fremde
162 Bücher



Friedrich von Bodenstedt
Aus der Heimat und Fremde . 1856/1859



Der Gesang der Winde

Geschrieben auf dem Schwarzen Meere 1845.

Wir wissen nicht, wer
Uns gezeugt und gesandt,
Irren trostlos umher
Ueber Meer und Land!
Wir haben kein Obdach,
Wir haben kein Haus -
Wohin wir uns wenden
Stößt man uns aus -
Wir wandeln gestaltlos
Himmelauf, Erdenab,
Und finden nicht Ruhe
Und finden kein Grab.
Gieb uns deine Gestalt, Mensch!
Gieb uns deine Geberde,
Daß wir leben und sterben
Wie du auf der Erde!
Wir müssen ewig wehen,
Bringen Tod und Verderben;
Wir müssen sterben sehen,
Und können selbst nicht sterben!

Wir wandeln unsichtbar
Durch endlose Räume,
Vor uns fliehen die Wolken,
Vor uns zittern die Bäume.
Kein Auge sieht uns,
Und Alles doch flieht uns.
Wir klagen und flehen
Um Obdach und Haus,
Doch Himmel und Erde
Stoßen uns aus...

Uns liebt nur das Meer,
Und wir lieben es wieder -
Doch es kann nicht zu uns her,
Und wir nicht zu ihm nieder,
Um dauernd zu weilen -
Da wird zu Heulen
Wohl oft unsre Stimme,
Und das Weh wird zum Grimme!
Und wir zischen und brausen,
Und Schrecken und Grausen
Folgt auf jedem Schritt uns -
Und wir ziehen mit uns
Die Donner und Blitze
Samt wolkigem Sitze,
Und wachsen und schwellen
Zu drohenden Stürmen -
So ziehn wir zum Meer;
Das hebt seine Wellen,
Die bäumen und thürmen
Sich aufwärts, gleich Bergen,
Und greifen und nahn
Mit den Armen, den nassen,
Und wir stürmen heran
Und wollen es fassen
Mit starken Gewalten -
Doch müssen wir's lassen,
Und können's nicht halten...
Da gellen die Wellen
In ohnmächtigem Grimme,
Da heulen die Donner
Mit furchtbarer Stimme,
Aus den Augen der Wolken
Flammt's in zorniger Glut,
Und wir toben und stöhnen
In trostloser Wuth.

Und es heult und zischt,
Und dröhnt und zittert,
Daß es ringsum die Vesten
Der Erde erschüttert.
Und Weh' dann den Menschen,
Die beim Meere zu Gast!
Es verschlingt ihre Schiffe
Mit Segel und Mast,
Und begräbt sie in grimmer Todeslust
In seiner riesigen Wellenbrust!
Aber wir müssen ewig wehen,
Bringen Tod und Verderben,
Müssen sterben sehen,
Und können selbst nicht sterben...


  Friedrich von Bodenstedt . 1819 - 1892






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Der Gesang der Winde, Friedrich von Bodenstedt