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Friedrich von Bodenstedt
Aus
der Heimat und Fremde . 1856/1859
Der Kasbék
Am Kasbék, dem mächtigen, stand ich
Spät in mondenheller Nacht,
Und empor die Blicke wandt' ich
Zu des Berges hoher Pracht.
Sah den Wind die Wolken jagen
Von den Höhn, den eisig nackten,
Sah die steilen Felsen ragen,
Die des Berges Leib umzackten.
Sah des Terek's Fluten brausen
Unter wildem Schaumgeleck -
Und verwundert und voll Grausen
Sprach ich also zum Kasbék:
"Bergesgreis! hoch wie die Sterne
Schaut dein leuchtend Haupt gen Morgen,
Dem Geräusch der Erde ferne,
Ferne auch von ihren Sorgen.
Sieh, dich trifft der Sonne letzter,
Und der Sonne erster Gruß,
Und auf deine Höhen setzt der
Adler nur den kühnen Fuß.
Schätze füllen deine Speicher,
Geister dienen deiner Macht;
Und so stehst du da in reicher
Angestaunter Wunderpracht!
Prangst in schimmerndem Geschmeide,
Von Demant ist deine Kron';
Schaust mit stolzer Vaterfreude
Terek, deinen wilden Sohn.
Der in's Thal fliegt, wellbefiedert,
Dir stets fern und doch stets nah -
Mit dem Meere dich verbrüdert,
Das du nie, das dich nie sah!
Deines Haupts ein leises Schütteln
Dröhnt bis tief zur Erde Schooß,
Macht die starren Felsen rütteln,
Reißt die Schneelawine los:
Daß sie unter Sturmesrollen,
Selbst ein Berg, vom Berge springt,
Und auf ihrem schreckensvollen
Laufe Tod und Wehe bringt."
Und ich schwieg. Ein schaurig Bangen
Faßte mich im nächtigen Graus;
Der Kasbék streckt seine langen
Schattenarme nach mir aus.
Geisterhaft im Schneegeglimme
Sich der Schein des Mondes brach ...
Sieh, da klang's wie eine Stimme,
Die herab vom Berge sprach:
"Kleiner Mensch! mit deinen kleinen
Sorgen, und der großen Angst!
Der du staunst ob meinen Steinen,
Und vor meinem Schnee erbangst,
Wende ruhig heimwärts deine
Schritte in des Thales Schoß;
Glücklicher als du das meine,
Preise ich dein Erdenloos!
Unten freut ihr euch gemeinsam,
Tragt gemeinsam Leid und Weh -
Während ich hier kalt und einsam
Zwischen Erd und Himmel steh.
Kalt und einsam muß ich stehen,
Mir und Andern zum Verderben;
Muß die Menschen sterben sehen,
Und ich selber kann nicht sterben!
Wohl zuerst, zuletzt mir kehret
Sich die Sonne zu, die heiße -
Doch nur mich allein nicht nähret
Ihre Strahlenmilch, die weiße!
Sehe gern das bunte Treiben
In der schönen Menschenwelt -
Aber fern muß ich ihr bleiben,
Denn mich flieht was mir gefällt!
Selbst der Strom, den ich gezeugt:
Sieh, wie er die Wellenschwingen
Rauschend hebt, und mir entfleucht,
Um in's Thal hinabzuspringen!
Und zuweilen, unaufhaltsam
Faßt mich Zorn ob dem Geschicke,
Das mich festgebannt, gewaltsam
Einzwängt in die Eisesdicke.
Und dann rüttl' ich meine Glieder,
Reiße meinen Panzer los,
Schleudre Schnee und Felsen nieder
In des Thales grünen Schoß.
Krachend rollen die Lawinen
Ihren Schreckenspfad hinab,
Machen Häuser zu Ruinen,
Werden Tausenden zum Grab.
Aber ich, in froher Blöße,
Freue mich voll grimmer Lust,
Labe gierig meine Größe
An der heißen Himmelsbrust ..."
Also sprach Kasbék, der mächtige,
Und ich stand in tiefem Sinnen;
Durch das öde Graun, das nächtige,
Hört ich's, einem Strom gleich, rinnen.
Immer dunkler von den Gletschern,
Von den hohen, rauscht' und schwoll es,
Und in immer lauterm Plätschern
Schäumend mir zu Füßen quoll es ...
Seltsam wilde Regung fühlt' ich,
Als ich stumm von dannen schlich -
Schöner Terek! nimmer hielt ich
Für ein Kind des Schmerzes dich!
Friedrich
von Bodenstedt . 1819 - 1892
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