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Friedrich von Bodenstedt
Aus
der Heimat und Fremde . 1856/1859
Ein Blick vom Kreml
Zum höchsten Thurm stieg ich hinauf
Des Kreml, in der Mosquastadt,
Die manchen Thurm mit goldnem Knauf,
Viel Tempel und Paläste hat.
Ich stieg hinauf wo vielbethürmt
Sich rings die weiße Mauer zog,
Dran mancher Held schon angestürmt,
Schon manches Haupt vom Rumpfe flog.
Und als ich auf Palast und Dom
Hinab sah von dem hohen Thurm,
Krümmt' unten sich der Mosquastrom
Zu meinen Füßen wie ein Wurm;
Und wie ein Wurm in meinem Geist
Nagt das Gedächtniß alter Zeit,
Und vor mir schwebt und mich umkreist
Manch Nachtbild der Vergangenheit.
Die Glocke schlägt vom hohen Thurm,
Daß Alles ringsum bebt und dröhnt,
Als ob von altem Kriegessturm
Ein Nachhall aus dem Erze tönt' -
Als ob der Thurm mit Glockenmund
In feierlichem Donnerlaut
Erzählt', was ihm von Alters kund,
Der Stadt auf die er niederschaut.
Nicht, was die Zaren einst gethan
In machtvollkommnem Blutgelüst -
Nicht, wie sie dem Mongolenchan
Feig des Gewandes Saum geküßt -
Vor mir ersteht ein andrer Held
Aus blutgetränktem Schlachtgefild -
Der Mächtige, der die ganze Welt
Erschütterte mit Schwert und Schild.
Wie eine Sonne sah man ihn
Einst aus dem Meere auferstehn,
Wie eine Sonne sah man ihn
Im Meere wieder untergehn.
Sein Haupt umschlang ein Strahlenkranz,
Doch streng und kalt war sein Gesicht -
Er hatte all der Sonne Glanz:
Nur ihre Wärme hatt' er nicht!
Hier auf demselben Thurme stand
Auch Er gedankenvoll allein,
Und sah hinab auf Stadt und Land,
Und Alles, was er sah, war sein.
Noch schwillt sein Herz vor Uebermuth,
Noch ist er großer Dinge voll:
Da züngelt schon die rothe Glut
Des Brands, der ihn verderben soll.
Er sieht's nicht, schließt sein Auge zu -
Und das Gericht nimmt seinen Lauf.
Als Herr der Welt ging er zur Ruh,
Als armer Flüchtling wacht' er auf.
Wild prasselt's rings im Flammenschein,
Der Kreml ist kein gastlich Haus:
Schon Manchen ließ er glorreich ein,
Und stieß ihn elend wieder aus.
Wo blieb des Weltbeherrschers Macht?
Wo blieb er selbst, der stolze Held?
Der Sieger in so mancher Schlacht
Eilt jetzt in wilder Flucht durch's Feld -
Und die im Unglück wie im Glück
Voll Treue folgten seiner Spur:
Jetzt elend ließ er sie zurück,
Bedacht auf eigne Rettung nur.
Des großen Kaisers Ruhm ward stumm,
Die Herrlichkeit schwand wie ein Traum.
Ein Windhauch blies sein Weltreich um,
In Rußland ist für Todte Raum.
Da lagen Völker hingestreckt
In einem einzigen Grab von Schnee;
Jede verstummte Lippe weckt
In ferner Heimat jammernd Weh.
Um Frankreich's Söhne klag' ich nicht -
Sie theilten Ehre und Gewinn
Des Kaisers wie sein Strafgericht -
Sie haben ihren Lohn dahin.
Doch daß auch soviel deutsches Blut
Hier ward zum Opfer dargebracht
Des fremden Kriegsherrn Uebermuth:
Das ist es, was mich traurig macht.
Deutschland, mein Heimatland, du warst
Dem eignen Volk kein gastlich Haus;
Der Besten viel die du gebarst,
Stießest du herzlos von dir aus!
Sie dienten fremdem Herrscherthum
Und folgten Feindesfahnen nach;
Ihr Ruhm vermehrte fremden Ruhm;
Doch ihre Schmach ward deine Schmach!
Die Glocke schlägt vom hohen Thurm,
Daß Alles ringsum bebt und dröhnt,
Als ob von altem Kriegessturm
Ein Nachhall aus dem Erze tönt', -
Ein Ton, der tief in's Herz mir scholl,
Daß es mich nicht mehr oben litt -
Ich stieg hinab gedankenvoll,
Und lenkte heimwärts meinen Schritt.
Friedrich
von Bodenstedt . 1819 - 1892
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