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Gedichte, Lyrik, Poesie

Aus der Heimat und Fremde
162 Bücher



Friedrich von Bodenstedt
Aus der Heimat und Fremde . 1856/1859



Epilog

    Die Flur ist reich am Wolgastrand,
Von Korn und Früchten strotzt das Land,
Der Wald von Wildpret und Geflügel;
Und bis wo sich das Ufer weitet
Und fernhin sich die Steppe breitet,
Ziehn Ketten buntbewachs'ner Hügel,
Bald sanftgeschwellt, bald steil von Hang,
Den fischereichen Strom entlang.
Des Fischers leichter Nachen gleitet
Im Fluge durch die Wasserbahn,
Schnell wie die Möve oben fliegt -
Derweil das Schiff mit hohen Masten,
Von Baue schwer und schwer von Lasten,
Mit Takelwerk bunt angethan,
Sich langsam durch die Fluten wiegt...
Es gehen Lieder viel und Sagen
Vom Wolgastrom, aus alten Tagen,
Da noch die große Nowgorod
Als freieste der Städte ragte,
Und von Byzanz der Christengott
Die Slavengötter nicht verjagte:
Perun, vor dem die Lande zittern,
Den Donnrer, der in Glut und Rauch
Einherwallt und in Ungewittern,
Deß Blick ein zündend Blitzgeleucht,
Und der mit seines Mundes Hauch
Die Wetter und den Sturm erzeugt -
Ußlad, den Gott der frohen Zecher,
Der Freude Gott, dem man im Becher
Und Wein die süßen Opfer bringt -
Lado, die Lieb' und Schönheit spendet,
Zu Glück und Weh die Herzen lenkt -
Polélja, die die Blumen sendet,
Die Früchte reift, den Acker tränkt....

    Die alten Götter sind gestorben,
Die alte Zeit ist abgethan,
Doch was man Neues hier erworben
Ist schlimmer als der alte Wahn.
Nicht von dem Bösen zu erlösen
Wies man dem Volk den Heiland hier; -
Man schuf das Alte schlechter um,
Denn besser war es weiland hier...
O, welterlösend Christenthum!
Du freieste der Religionen!
Statt zu befrein aus der Bedrängniß,
Ward hier dein Haus zum Staatsgefängniß,
Zur Hüterin von Millionen!
Zum Kerker ward die heilige Stätte,
Gebrochen ward der freie Sinn;
Es schleppt an eingefleischter Kette
Das Volk ein müdes Dasein hin.
's ist Ein Gefühl, das Alle lenkt,
Ein Kopf ist, der für Alle denkt,
Ein Gott auf Erden der regiert,
Ein mächt'ger Zwang der Alles bindet
Darin sich Glück und Lust verliert,
Und sich als Trauer wiederfindet;
Denn nur der Schmerz, die Trauer nur,
Trägt hier die Farbe der Natur.

     Wohl hallen Sagen viel und Lieder
Die Russenlande auf und nieder,
Doch Wehmuth schleicht durch jede Sage,
Wehmuth durchzittert jeden Sang,
Und macht ein jeglich Lied zur Klage
Und macht zum Angstschrei jeden Klang!

    Der Sänger soll das Bild nicht meiden
Und nicht mit Flitterstaat umkleiden -
Der Sänger soll zu jeder Frist
Der Mitwelt zeigen, wie sie ist.

    Er soll die Gegenwart ergreifen,
Den Schleier ihr vom Antlitz streifen:
Wenn er sie recht, mit ganzer Kraft,
Lebendig denkt und wiederschafft,
Und wir sie wahr im Bilde sehn,
Wird Besseres daraus erstehn.

    Denn ob auch schwer der Zeiten Jammer,
Und ob das Schicksal noch so hart:
Aus keiner alten Rumpelkammer
Blüht Heilung für die Gegenwart.


  Friedrich von Bodenstedt . 1819 - 1892






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