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Friedrich von Bodenstedt
Aus
der Heimat und Fremde . 1856/1859
Iwan,
der Sohn des Starost.
Poetische Farbenskizze aus Rußland.
1.
Berühmt im Lied sind Kiew's Eichen,
Die hoch des Dnjepr's Bord umsäumen,
Dran sich die Woge schäumend bricht -
Doch mag ihr Wuchs an Stärke nicht,
Und nicht an Alter sich vergleichen
Den stammeshohen Eichenbäumen
Des Wolgastroms, des fischereichen.
Von Kastroma, der Stadt, daraus
Zur Mosqua weißem Zarenhaus
Der Erste der Romanow kam,
Und - eines armen Priesters Sohn -
Zu seinem Sitz des Kremlin Thron,
Zu seinem Kleid den Purpur nahm;
Von Kastroma in wenig Meilen
Magst Du ein altes Schloß ereilen,
Das halb vom Wolgaarm umschmiegt,
Auf breitem Hügelsrücken liegt;
Am Fuß ein Dorf; daneben Felder;
Im Hintergrunde Eichenwälder...
Schon kam der Fischer heim vom Strome,
Kaum noch erspäht im nächt'gen Graus
Am sternbesäten Himmelsdome
Der Blick die windgescheuchten Wölkchen;
In seinen Hütten ruht das Völkchen
Des Dorfs von Tagesmühen aus.
Und Dunkel rings und Schweigen graut;
Nur hoch im Schlosse ist's noch laut
Und hell, und lärmt in frohen Reihn:
Graf Büstrow kehrt' von langer Reise,
Heut' lud er alle Nachbarn ein,
Zu feiern in vertrautem Kreise
Und seiner Heimkehr sich zu freun.
An langer Tafel schwelgt die Zahl
Der Gäste - hell erglänzt der Saal,
Und hinter jedem Gaste steht
Ein Diener, wartend mit dem Teller -
Das geht und kommt und kommt und geht
Herauf, hinunter Küch' und Keller;
Der Wein entfesselt alle Zungen,
Hier wird gescherzt und dort gesungen;
Der Graf erzählt von fremden Landen,
Was er auf seinen Reisen sah,
Was er gelebt und ausgestanden,
Was Wundersames ihm geschah -
Rühmt sich als Mädchenunschuldräuber,
Spricht von der Schönheit deutscher Weiber,
Von Frankreichs Töchtern leicht von Sinn,
Vom Füßchen der Pariserin....
"Graf Büstrow! - fiel ein Freund ihm ein -
Kannst Dich auch hier der Weiber freun!
Zwar selten blüht die Schönheit nur
Bei uns, denn hier macht die Natur
Tausend unglückliche Versuche,
Und zeichnet sich in groben Zügen,
Eh's ihr gelingt, dem Schönheitsbuche
Ein neues Bildniß einzufügen;
Doch, ist einmal ein Wurf gelungen
Und eine Knospe schön gesprungen,
Dann mag sich wohl in fremdem Land
Der Russenschönheit nichts vergleichen,
Dem reinen Aug; der feinen Hand,
Dem vollen Wuchs, dem anmuthreichen;
Und Graf! wie Deiner Dirnen Eine
Sahst Du in Deutschland's Gau'n wohl keine:
Mascha, des Iwan Paulitsch Braut,
Die schönste Blume auf der Flur,
Ein Meisterstückchen der Natur!
Doch scheint's, daß ihr vor Männern graut;
Ich habe oftmals schon beim Jagen
Den Weg durchs Dörfchen eingeschlagen;
Ist's bei ihr Dummheit, ist sie blöde:
Mir wollte nichts bei ihr gelingen,
Zu keinem Kuß konnt' ich sie bringen!
Bei Dir thut sie wohl minder spröde....."
Graf Büstrow lacht voll Herzlichkeit
Ob seiner spröden Bauernmaid:
"Wer weiß, noch kommen mag die Zeit
Wo sie die Köpfe höher tragen -
Doch jetzt sind wir noch nicht so weit!
Ist uns're Macht aus alten Tagen
Uns auch durch Zarenhand genommen,
Und unser Recht nur eitel Dunst:
So schlimm wird's lange noch nicht kommen,
Daß uns're Landesdirnen wagen
Den eignen Herren ihre Gunst
Und den Gehorsam zu versagen!
Sonst bleibt heut nichts dem Edelmann,
Als sein Besitzthum auszupressen,
Und in der Fremde dann und wann
Der Heimat Elend zu vergessen.
Im Ausland hat das Russenthum
Gewicht'gen Klang und großen Ruhm;
Ein Schreckwort ist dort unser Reich;
An Wuth sind wir den Wölfen gleich,
An Schlauheit gleichen wir den Füchsen.
Mit Rußland drohn die Potentaten
Dem Volk, als ob uns die Soldaten
Wie Halme aus der Erde wüchsen
Und jeder Russe Bajonnette
Statt Nägeln an den Fingern hätte.
Das muß man unserm Kaiser lassen,
Er weiß sich in die Zeit zu schicken,
Er weiß nach Außen gut zu blenden,
Und giebt es draußen was zu flicken,
Gleich ist er da mit rührigen Händen!"
- Wohl besser - rief ein alter Mann -
Wär's, wollt' er sich nach Innen wenden
Und sich mit uns'rer Noth befassen!
Wir müssen's baar und schwer bezahlen,
Daß er mit falschem Ruhme prahlen,
Und Diplomaten und Soldaten
Nach Ost und Westen schicken kann!
Dort streut er Gold mit vollen Händen,
Man fürchtet und lobhudelt ihn,
Das treibt ihn immer weiter fort,
Derweil die Heimat in Ruin
Zu sinken droht an allen Enden.
Er wirft die Schätze über Bord,
Derweil wir hier für schweres Geld
Kaum haben, was der Aermste dort
Genießt, für unentbehrlich hält!
Ich liebe die Romanow nicht.....-
"Bedenk, was Deine Zunge spricht,
- Raunt warnend ihm ein Freund in's Ohr -
Ein Wort hat Manchen schon verloren,
Bedenk, die Wände haben Ohren!
Sprich nicht im Wein, und sieh Dich vor....
Hast Du bei Hof nicht mehr gelernt?
Ist Dir die Lust so schnell entschwunden
Der Freiheit, die wir hier gefunden,
Seit wir von Petersburg entfernt,
Um uns an Landluft zu gewöhnen,
Und nicht mit reichen Kaufmannssöhnen,
Die adlig jetzt den Thron umwedeln,
Des Kaisers Garde zu veredeln!"
Sie brachen auf, die Andern nach.
Leer ward's und wüst im Festgemach,
Wie meist am Tag nach solchem Feste
Im eignen Geist und Leib der Gäste.....
2.
Derweil im Schloß der Gäste Schwarm
Noch trunken liegt in Schlafes Arm,
Tönt unten sonntäglich Geläute.
Geputzt zur Kirche gehn die Leute,
Um sich von Sünden zu befrei'n
Und Gottes Wort ihr Ohr zu leih'n.
Von Hoffen und Versöhnen geht
Sein Klang so wundersam,
Und aus den heiligen Tönen weht
Genesung jedem Gram.
Inmitten grüner Ufer zieht
Die Wolga hin, und merkt und lauscht
Mit krausem Wellenohr dem Lied
Der Christen, die zum Heiland beten;
Sie hört auch, wie sie weiter rauscht,
Das Fleh'n der Gläubigen des Propheten -
Der Heiden auch, die in den Steppen
Noch ihre Götzen mit sich schleppen.
Es spiegeln sich in gleicher Schöne
Kirch' und Moschee in ihrem Schooß;
Ihr gilt es gleich, ob Christensöhne,
Ob Moslem rufen: "Gott ist groß!"
Sie sieht's und hört's mit gleicher Ruh'
Und rauscht es Einem Meere zu.....
3.
Seht die Dirnen, zum Stromesrand gingen sie,
Dort im Tanzreih'n, im bunten, sich schlingen sie:
Eine Jungfrau dreht trippelnd im Kreise sich,
Rührt nach des Tanzes, des heimischen, Weise sich:
Jetzt die Arme gestemmt, jetzt die Kniee gebeugt,
Mit den Füßchen gestampft und das Köpfchen geneigt.
Das zertretene Gras, neu belebt es sich,
Und neugierig lugend bang hebt es sich,
Und die Blümlein im Grase mit klugem Aug'
Heben neidisch die Köpfchen und lugen auch.
Immerfort tanzt die Schöne, drehend und schwingend sich,
Um die Eine drehn die Andern alle singend sich.
Doch was wirft links zur Linde die Tänzerin
Wohl so zärtlich liebäugelnde Blicke hin?
Dort steht Iwan der junge, des Starost Sohn,
Ich zeig' ihn Euch nicht, Ihr erkennt ihn schon,
An dem stämmigen Wuchse, dem Auge kühn,
Am Kaftane, dem blauen, erkennt Ihr ihn.
Jung Iwan will Mascha, die schlanke, frein;
Schon am Sonntag, am nächsten soll Hochzeit sein...
Lustig fort tanzt die Schöne im Tanzesreihn,
Jung Iwan schaut schmunzelnden Blickes drein.
4.
Iwan, des Starosten Sohn -
Den der Mädchen Blicke suchen,
Dem die Burschen heimlich fluchen
Den die blonde Mascha liebt.
Schlank wie einer Eiche Stamm -
Dunkle Augen kühn und bieder,
Edle, kraftgedrungne Glieder,
Dichtgekräuselt schwarzen Bart.
Und besteigt der Bursch sein Roß,
Seiner Schenkel Wucht umschmiegt es:
Wie gepeitscht vom Sturmwind fliegt es
Hin, gelenkt von seiner Hand!
Weh! wer seine Fäuste fühlt -
Doch nicht leicht wird er zum Feinde,
Treuer Freund ist seinem Freunde,
Iwan, des Starosten Sohn.
5.
Graf Büstrow mit den Gästen war
Hinaus durch Park und Hain gegangen,
Zum Ufer, wo in bunter Schaar,
Die Mädchen froh im Tanz sich schlangen:
"Das ist sie!" - flüstert ihm der Eine -
Die dort im Kreise tanzt alleine.
Und wie sie merkte, daß der Graf
So scharf auf sie die Blicke wandte,
Wie forschend sie sein Auge traf,
Erröthen durch ihr Antlitz brannte;
Doch mit dem Flammenroth der Wangen
Sind neue Reize aufgegangen.
Und wie sie tanzend weiter hüpft,
Schlägt sie verschämt das Auge nieder,
Doch insgeheim manch Blick entschlüpft....
Ja, ja! es ist derselbe wieder,
Der sie als Kind so freundlich herzte,
Deß Abschied so die Kleine schmerzte...
Er hatte so die Kleine lieb -
Sie brachte Blumen auf sein Zimmer,
Und wenn sie Morgens kam, so blieb
Sie bei ihm bis zum Mittag immer,
Er ließ sie auf dem Schooße reiten,
Sie mußte ihn zum Park begleiten.
Und als der Graf auf Reisen ging,
Hat er sie auf den Arm genommen,
Und wie sie weinend an ihm hing,
Sagt' er, bald werd' er wiederkommen.....
Schon manches Jahr verschwand indessen,
Hat er die Kleine nicht vergessen?
Doch sieh', er naht, mit einem Blicke
So freundlich wie in alter Zeit -
Sie faßt sich kaum in ihrem Glücke,
Er spricht mit ihr voll Herzlichkeit,
Ihr Herz wallt auf in froher Regung,
Vergangner Tage denkt ihr Sinn -
Da fällt ihr Blick auf Iwan hin,
Ein Blick voll stürmischer Bewegung.....
Der Graf reicht ihr zum Kuß die Hand
Und mahnt sie, ihm doch jeden Morgen,
Wie früher, Blumen zu besorgen,
Dann grüßt' er freundlich und verschwand...
6.
Wohl noch Abends die Mächen zum Strome gehn
Und nach heimischer Art sich im Tanze drehn,
Doch der Graf kommt nicht ihnen zuzusehn -
Ob sie singend sich schwingen im Ringeltanz,
Es fehlt ja die schönste Blume im Kranz!
"Wo bleibt nur Mascha?" So frägt man umher,
"Warum kommt sie nicht Abends zum Spielen mehr?
Warum hält sie sich seit der Rückkehr des Herrn
Von allen Menschen im Dorfe fern?"
Sonst tändelte sie mit den Nachbarskindern,
Sang ihnen vor, spielte Babki mit ihnen;
Gab's wo zu helfen, Noth zu lindern:
Mascha half immer mit freundlichen Mienen.
Und niemals sah man sie müßig gehn,
Es war eine Lust ihre Wirthschaft zu sehn -
In Küche und Stube, in Kammer und Schrank
War immer Alles sauber und blank.
Sie gab den Hühnern und Enten ihr Futter,
Half bleichen und trocknen auf der Au,
Half emsig beim Waschen und Kochen der Mutter,
Und pflegte sie wie eine Priestersfrau.
Jetzt sieht man sie nicht im Dorfe mehr,
Und im Hause geht sie so trüb umher,
Oder lehnt Nachts im Fenster und summt ein Lied
Wie sie hinaus ins Weite sieht:
"Wie
der Wolga Wogen
Vor dem
Winde fliehn!
Kommen
ferngezogen,
Ferne
weiterziehn -
Ach so
gern, so gerne
Zög'
ich mit zur Ferne;...
Seh'
die Wellen treiben,
Hör'
die Winde wehn,
Aber
ich muß bleiben,
Kann
nicht fürbaß gehn!
"Bei
der Lampe Schimmer
Vor dem
Heiligenschrein.
Sitz'
ich Nachts im Zimmer
Traurig
und allein -
Draußen
locken die Sterne
Mich
hinaus zur Ferne -
Seh'
die Wolken eilen,
Hör'
die Winde wehn,
Aber
ich muß weilen,
Kann
nicht fürbaß gehn!"
7.
"O Gott! wer hätte das geglaubt,
Ich glaub's noch nicht, - es ist ein Wahn...."
Er warf den Hut vom lockigen Haupt,
Riß seinen Gürtel vom Kaftan,
Ihm war's zu dumpf in seinem Sinn,
Zu eng war's ihm um seine Glieder;
Laut sprach und flucht' er vor sich hin,
Schritt wild im Zimmer auf und nieder:
"Sie bebt bei meinem Händedruck,
Und schluchzt und sinkt erschöpft auf's Bette -
Auf ihrem Tische liegt ein Schmuck
Und eine Uhr mit goldner Kette.
Ich frage sie - sie sieht mich an
Und weiß sich nicht herauszuwinden....
Hat ihr's der Teufel angethan?
O Iwan! Sklave! armer Mann!
Und mußt Du so Dein Mädchen finden!
Da sitzt sie mit verweintem Aug'
Und seufzt und schluchzt, und ringt die Hände,
Krankhaft glüht ihres Mundes Hauch:
"Es ist mit meinem Glück zu Ende,
Iwan!" Das waren ihre Worte.
"Ja, ja, wo man so adlig streichelt,
Wo Rang und Gold um Einlaß schmeichelt,
Da springt von selbst des Herzens Pforte.
Was bin ich auch? ein armer Mann,
Ein Sklav bin ich, ein Wurm, ein Nichts!
Zwar ist mein Arm voll Mark und Kraft,
Doch Gut und Blut gehört dem Grafen.
Nichts nenn' ich mein, was ich geschafft
Im Schweiße meines Angesichts -
Und gern will ich ihm Alles geben,
Und mich mit Grübeln nicht befassen,
Doch Eines soll er ganz mir lassen:
Mein Herz und meines Herzens Leben,
Mein Hirn, mein Lieben und mein Hassen!"
"Noch ist die Sünde nicht vollbracht;
Doch, Graf, nimm Dich vor mir in Acht!
Du treibst mit mir nicht leichten Spott:
Drum hüt' Dich! Nicht umsonst hat Gott
Die Kraft in meine Hand gegeben,
Und diesem Haupt Verstand gegeben!"
8.
Weit über das Feld, durch die Lüfte hoch,
Nach Beute ein mächtiger Geier flog.
Am Stromesrande, im frischen Gras,
Eine junge, weißflüglige Taube saß.
O, verstecke Dich, Täubchen, im grünen Wald!
Sonst verschlingt Dich der lüsterne Geier bald!
Eine Möve hoch über der Wolga fliegt,
Und Beute spähend im Kreis sich wiegt.
O, halte Dich, Fischlein, im Wasser versteckt,
Daß Dich nicht die spähende Möve entdeckt!
Und steigst Du herauf, so steigt sie herab,
Und macht Dich zur Beute und führt Dich zum Grab'!
9.
"Ach, du grünende, feuchte Erde du!
Thu' dich auf, leg' mein stürmisches Herz zur Ruh!
Blaues Himmelstuch mit der Sternlein Zier,
O trockne vom Auge die Thräne mir!
Hilf Himmel der armen, der duldenden Maid!
Es bricht mir das Herze vor Weh und Leid!"
Sitzt klagend Mascha im Kämmerlein,
Tritt tröstend die alte Mutter herein:
"Ach Du Töchterchen mein, helles Täubchen Du,
Klage nicht, weine nicht, mein geliebtes Kind!
Lasse nicht Dein rosiges Köpfchen so hängen,
Halt' die Thräne zurück in dem blauen Aug',
Kämme, glätte das flatternde blonde Haar!
Ach, es hilft ja kein Schrei, den Niemand hört,
Der die Thräne im Auge zu trocknen
Und den Kummer im Busen zu lindern vermag.
Groß, groß ist das heilige Russenland,
Und der Himmel ist hoch und der Zar ist weit,
Und ein Hilfloses Kind weiß nicht aus noch ein....
Wenn Du thust, was Dein Herr Dir auf Erden befiehlt,
So wird Dir's der Herrgott im Himmel verzeihn!"
- O laß Deine Rede, lieb Mütterlein!
Dein Wort hält die rinnende Thräne nicht auf,
Und kühlt meine glühende Wange nicht ab!
So lange das Veilchen im Grase steht,
Mag es duften und blühn im Verborgenen;
Doch wird es bemerkt, so wird es gepflückt,
Und wird es gepflückt, so verblühet es schnell:
Nur Einmal brecht man die Blume ab....
O Mutter! ich möchte nicht gebrochen sein,
Als durch ihn, dem ich Treue und Liebe geschworen,
Den ich mehr als mein eigenes Leben liebe!
Ich will fliehen mit Iwan in fremdes Land,
Er ist stark von Körper und reif an Verstand,
Er wird uns schon Obdach und Nahrung finden. -
"O des thörichten Sinns und des thörichten
Worts!
Und was sollte aus Deiner armen Mutter werden?
Was solch Kind doch für Mittel und Wege hat!
Und weiß nicht, daß das heilige Russenland
Weit reicht, so weit wie die Erde reicht,
Und so weit wie der wahre Christenglaube.
Und ein schönes Gesicht lieben allerwärts
Auch Männer denen es nicht gehört,
Und auch allerwärts giebt es schöne Frau'n,
Die der Männer Begehren zu Willen sind!
's ist wohl schlimm, weil Keiner es ändern kann,
Doch wenn's Sünde ist, giebts viele Sünderinnen!
Gott! ich kenne das ja, bin so manches Jahr
In der Stadt bei vornehmer Herrschaft gewesen,
Und was sieht man nicht Alles, was hört man nicht!
Und was die Großen thun aus eigener Lust,
Das mag wohl den Kleinen verziehen werden,
Wenn der Zwang und der Wille der Herrschaft sie treibt.
Dein Vater war ein freier Mann,
Gott hab' ihn selig! er starb zu früh
Für Dich, Du armes, verwais'tes Kind!
Doch Iwan ist ein Leibeigener;
Er hat keinen Willen als den des Herrn,
Kein Hab und Gut, denn was des Herrn.
Der Herr kann ihm sagen: Komm her! Geh hin!
Laß dieses! Thu' das! Gieb her, was Du hast!
Er muß es thun, darf nicht widersprechen.
Ein trotziger Kopf thut nicht gut im Land,
Ihn trifft seine Strafe mit sicherm Schlag,
Denn der Wille des Herrn hat größere Kraft
Als der Widerstand des Widerständigen...."
- Ach, wär ich doch häßlich! und
hätt' ein Gesicht,
Das nur Iwan, nicht Andern gefallen möchte. -
"Kind sündige nicht! Schönheit ist
Gottesgabe,
Und wohl manch große Dame beneidet Dich
Um Dein Auge, Dein Haar, Deine Wohlgestalt!
Sieh, Mascha, ich hab' es Dir niemals gesagt:
Dein Vater war selbst ein vornehmer Herr,
Hoch von Rang, reich an Gut, und von Körper schön...
War ich auch einst ein hübsches, unschuldiges Ding,
War ein blühendes, rosiges Mädchen wie Du!
Meine Mutter war arm und der Vater war blind,
Und mein einziger Bruder wurde von mir genommen,
Mußte fort als Soldat, ist nie wiedergekommen....
Ach, der Hunger thut weh und die häusliche Noth!
Das Gold wiegt schwer und das Herz ist leicht,
Großer Name, süße Rede hat schon Manche bethört.
Unser Aug' ist so blind, wo es aufschaun sollte,
Und es sieht so hell, wo es blind sein möchte....
Ein junges Herz ist gar leicht verführt!
Und der mich verführt und Dein Vater war
- Jetzt liegt er schon lange im feuchten Grab! -
Und ich liebe ihn immer und immer noch,
Und die Thräne fließt, wenn ich sein gedenke....
Ach, es giebt ja noch Schmerzen, die größer sind!
Sieh, was Dich zu Jammer und Elend treibt:
Alle Bauernfrauen rechnen's als Glück Dir an,
Die schon glücklich sind, überglücklich sind,
Wenn sie nothdürftig Essen und Trinken haben.
Ach, wie gern möchte jede der Bauerdirnen,
Jede Frau dazu an Deiner Stelle sein!
Leichte Arbeit thun, schöne Kleider tragen...
Es ist einmal Brauch so aus alter Zeit:
Was dem Manne gehört, ist des Gutsherrn auch,
Dafür hat uns Gott ihn zum Herrn gesetzt!
Du könntest ja Iwans Hausfrau sein
Und Dich doch dem Wunsche des Grafen fügen....
Doch er will es nicht - ist ein trotziger Kopf.
Siehe, Du wärest jetzt selbst nichts als Bäuerin
Und müßtest die gröbste Feldarbeit thun,
Hätte die selige Gräfin, die gute Frau,
Dich nicht aus dem Dunkel an's Licht gezogen,
Dich gepflegt, Dich lesen und schreiben gelehrt,
Unterrichtet im heiligen Gotteswort!
Und der Graf hat Dir auch viel Gutes gethan...
Wenn das Vöglein fein ruhig im Käfig sitzt,
Wird's gekos't, wird ihm Speise und Trank gegeben -
Doch will sich's befrein in ohnmächtiger Wuth:
So wird es sich elend das Köpfchen zerschlagen!
Die Priester verzeihen dem Reichen gern,
Wer viel Fürsprecher hat, mag viel Gnade finden -
Doch der Arme, was bleibt ihm, wenn er nicht
Die Gabe nimmt, die ihm geboten wird?
Das Leben ist schwer und der Hunger thut weh...."
10.
Hat ein schwerer Fisch in die Angel gebissen,
Ist dem Knaben die Schnur von der Angel gerissen,
Und er hascht mit der Hand nach dem köstlichen Fang,
Und hascht bis ihn selber die Flut verschlang....
Nicht frohlocke, Du mächtiger Geier so bald,
Daß sicher die Krallen das Täubchen umkrallt!
Sieh, schon lauert der Jäger im grünen Wald,
Und es trifft Dich sein Schuß aus dem Hinterhalt....
11.
Graf Büstrow sitzt in seinem Zimmer,
Liest einen Brief beim Kerzenschimmer:
"Was schreibt die Kleine; Pflicht - Gewissen -
Kein Stelldichein - das Band zerrissen -
Nichts, das sie ferner noch bethöre,
Und sie von ihrem Iwan trennt,
Dem sie als Weib bald angehöre....
Das nenn' ich eine freche Stirne!
Bei Gott! ein köstlich Dokument
Der Ehre einer Bauerndirne!
Hat doch im Dorf seit meiner Jugend
Kein hübsches Bauerweib gefreit,
Das ich nicht selbst erst eingeweiht,
Und die spricht mir von ihrer Tugend!
Und schreibt mir solchen Brief, - das ist die Frucht,
Wenn man die Bauern aufzuklären sucht,
Sie lesen lernen läßt und schreiben!
Man wird es bald noch weiter treiben....
Weil ich sie mehr als Andre schonte,
Weil ich wie ein verliebter Knabe
Mit ihr geflirrt, getändelt habe,
Sanft bat, wo ich befehlen konnte:
Vergißt sie darum, daß sie mein,
Ich mit ihr machen kann, was mir gelaunt!
Auch kommt das nicht von ihr allein,
Das hat ihr Iwan eingeraunt....
Der Kerl ist mir schon längst verhaßt,
Wie er auf meine Schritte paßt, -
Hab ich's nicht neulich selbst gesehn
Wie grimm sein dunkles Auge rollte,
Als ob es mich durchbohren sollte -
Darf sich ein Sklav das unterstehn!
Wart' Bursch! Du sollst gehorchen lernen!
Für heute muß ich ihn entfernen,
Denn bleibt er Mascha im Gesicht,
Gelingt mein Abenteuer nicht.
Doch, was jetzt thun mit ihm? Halt, so wird's glücken:
Ich werd' ihn nach Wologda schicken
Mit einem Brief, das hält ihn ab für morgen;
Nachher werd' ich schon anders für ihn sorgen!"
12.
Einsam im Dorfe schreitet Iwan: Zweimal schon
Hat er den Schritt nach Mascha's Haus gelenkt,
Und zweimal kehrt er wieder um, und senkt
Gedankenvoll das Haupt, und wirr blickt er umher;
Bald geht er, bald auf seinen Stock gestemmt
Bleibt er erschrocken stehn. Was drückt sein Herz so schwer?
Was ist's, das so des Burschen Schritte hemmt?
Was hält ihn ab, wie sonst zur Abendstunde
Beschwingten Laufs zu Mascha hinzufliegen,
Sie an sein liebefrohes Herz zu schmiegen,
In ihrem Arm, von ihrem süßen Munde
Erquickung nach des Tages Müh'n zu schlürfen?
Als ob sie heute sich nicht nahen dürfen,
Schwankt er hin und zurück; etwas ihn plagt
Was er sich selbst nicht zu gestehen wagt;
Ein Schreckgebilde glaubt sein Geist zu sehn,
Und bange Zweifel seine Brust zerfleischen;
Er sucht und forscht, die Wahrheit zu erspähn,
Er sucht - doch heimlich wünschend sich zu täuschen.
Und sein Verstand sich und sein Herz entzwein;
Es ist! sagt der Verstand - das Herz: es kann nicht sein!
Es birgt sich selbst, was dem Verstande klar ist,
Und zweifelnd immer sagt's: es kann nicht sein!
Denn wenn es wäre, wenn es wirklich wahr ist -
Ein gräßlicher Gedanke! - s' kann nicht sein!....
Und doch ist mir's, als ob ich ihn noch seh'
Wie sie ihn heimlich aus der Pforte ließ,
Er drückte ihre Hand und grinzte süß,
Und küßte sie und nannt' sie: liebe Mascha!
Sie sah sich spähend um, und sprach: nun geh,
Mich schreckt so, daß uns Iwan überrasche,"
- Bis morgen denn, sprach er, Du weißt noch Ort und Stunde?
Um Zwölf, im Pavillon am Wolgastrand,
Im dritten Bogengang, zur rechten Hand
Vom Schloß. - "Ich weiß, "entklang es ihrem Munde....
So schieden sie, derweil ich zitternd stand.
"Mich schreckt so, daß uns Iwan überrasche!"
Und das aus Deinem Mund? O, Mascha, Mascha!
Ward Dir doch sonst nicht bang, kam ich am Abend
Durch's Gärtchen, vor der Thür Dich überraschend,
In Deinen Armen Müh und Leid begrabend,
Von Deinen Lippen süße Küsse naschend -
Und jetzt!... Doch nein!... mein Aug' hat mich getäuscht,
Dem Ohre hat's der Böse zugekreischt.....
Um Zwölf, im Pavillon am Wolgastrand,
Im dritten Bogengang, zur rechten Hand
Vom Schloß.... Ich komme, aber Wehe! Wehe!
Seh' ich, was ich nicht wünsche, daß ich's sehe!"
13.
Es trabt ein stattlicher Reitersmann
Vom Schlosse das Dorf entlang,
Um den schlanken Leib, um den blauen Kaftan
Ein blutrother Gürtel sich schlang.
Und rechts und links
Grüßt er
freundlichen Winks,
Doch runzelt sich trüb seine Stirn.
Der Reitersmann reitet ein schwarzes Roß,
Rückstiebt's von der Hufen Schlag;
Und die Mädchen im Dorf und der Knaben Troß,
Sie schaun ihm verwundert nach.
Und rechts und links
Grüßt er
freundlichen Winks,
Und weiter spornt er sein Thier.
Und weit von dem Dorf gelangt er bald
In dunkeles Waldrevier;
Dort steigt er vom Pferd, doch macht er Halt,
Läßt weiden im Grase sein Thier.
Und den Weg zurück
Wirft er forschend den Blick,
Zu spähn, ob ihm Keiner gefolgt.
Den blutrothen Gürtel löst er in Eil,
Der den blauen Kaftan umschlang,
Darunter weg zieht er ein starkes Beil,
Ein Beil gewetzt und blank.
Er nahm's und sprach:
Hier weil ich den Tag,
Bis die Mitternachtsstunde mich ruft.
Mit der Botschaft des Grafen hat's immer noch Zeit -
Heut feiert mein gutes Roß;
Der Tag ist kurz und Wologda ist weit,
Doch nah ist der Weg zum Schloß -
Und find' ich sie dort,
Und brach sie ihr Wort,
Dann wehe dem Grafen und ihr!
14.
Hell singen beim Schlosse, im duftenden Haine,
Die Vögel ihr Lied;
Bang schauern die Bäume im Mondenscheine,
Kein Lüftchen zieht.
Laut klingt's im Haine, und leise die Menge
Der Blumen lauscht -
Derweilen hell plätschernd im Wellgedränge
Die Wolga rauscht.
In schläfernde Ruhe ist Alles gesungen
Und athmet warm;
Weich liegt, wie ein Bräut'gam, der Hain umschlungen,
Vom Wolgaarm.
15.
Vom Schlosse rechts, den Strom entlang
Ein dichtbelaubter Bogengang
Sich hinzieht, und am End' davon
Beim Ufer steht ein Pavillon.
Es ruht auf weißen Säulen
Ein Dächlein rund und grün
Und obenhin und rund umher
Sich Schlinggewächse ziehn.
Es sind drin keine Fenster,
Nur Gitter fein und dicht,
Durch die der Strahl des Mondenlichts
Sich hundertfältig bricht.
Süß duftet's durch die Gitter,
Die Luft ist warm und rein -
Ein Divan steht im Pavillon,
Zur Ruhe läd't er ein.
16.
Im dunkeln Gange auf und ab
Graf Büstrow geht - sie kommt noch nicht,
Bald schlägt es zwölf vom Thurm herab -
Doch kommt sie ganz gewiß - man bricht
Nicht leicht, was man uns so verspricht.....
Hat mir das Müh gekostet, heut die Kleine
Herauszukirren aus Furcht und Zweifel,
Als ging mit ihrer jungfräulichen Reine
Ein ganzes Königreich zum Teufel!
Fast reut mich's jetzt, daß ich's so weit getrieben,
Doch, wo das Herz verlangt, schweigt der Verstand - -
Mir war kein anders Mittel mehr geblieben,
Und wahrlich, was ich heut' für sie empfand
War mehr als roh Gelüsten - Sonderbar!
Erst heute ward mir dies Gefühl ganz klar....
Wie seltsam ist der Mensch, daß er mehr liebt
Was Liebe ihm versagt, als was sie giebt!
Wie's heiß verlangend meine Brust durchzittert....
Und doch ist was in mir, ich weiß nicht was?
Das drohend mir den süßen Traum verbittert,
Mich quält und ängstigt ohne Unterlaß.
Ein Glück, daß Iwan heut nicht in der Nähe -
Wie lang sie weilt - schon zwölf vom Thurme schallt -
Was schimmert dort? Sie ist's! Ich seh sie kommen....
Der Pavillon hat beide aufgenommen
Eh' noch der Glocke dumpfer Ton verhallt.
17.
Zuneben dem Gang,
Den Strom entlang,
Da rauscht es und regt sich's
Im dichten Gesträuche -
Und weiter bewegt sich's,
Als ob Jemand dort schleiche -
Jetzt duckt sich's nieder,
Dann hebt sich's wieder,
Und verschwindet zwischen
Den hohen Gebüschen.
Und wieder ist es still im Hain,
Nur Nachtigall und Liebe spricht -
Es hüllt der Mond sein keusch Gesicht
In dunkle Wolkenschleier ein.
18.
Ein Wehgeschrei wird laut am Wolgastrand,
Und Todesröcheln schallt - dann schweigt es wieder -
Sieh, durch die Nacht winkt zitternd eine Hand -
Im Rasen wälzt der Graf die blut'gen Glieder....
"Iwan - Verruchter! - Du hier! - Gott - Verderben!"
- Erkennst Du mich? Ich bin's, Iwan, Dein Sklav!
Doch Sklav nicht mehr, Dein Herr jetzt - Du mußt sterben,
's ist meine Hand, die Dich vernichtend traf;
Ein Ohrenschmaus ist mir Dein Todesstöhnen!
Schickst Du mich fort, um frecher Lust zu fröhnen?
Jetzt kommt die Reih' an mich, jetzt schick' ich Dich,
Doch einen weitern Weg hin, als Du mich! - -
.....Fort falsche Schlange! laß Dein flehend Jammern,
Laß ab, die Knie mir winselnd zu umklammern,
Mit meinem Herzen treibst Du nicht mehr Spott,
Es ist zu spät - knie betend hin vor Gott! -
Und wiederum zuckt's grausig durch die Nacht,
Und röchelnd stürzt sie hin - es ist vollbracht.....
Mit starkem Arm hält Iwan sie umfaßt,
Und hin zum Strom trägt er die blut'ge Last,
Und es plätschert und rauscht von des Körpers Schlag,
Und er wirft der Buhlin den Buhlen nach.....
19.
Bald im Schlosse wird's wach auf das wilde Geschrei,
Schlaftrunken stürzen die Diener herbei.
Hell auf der Wolga das Mondlicht glimmt,
Unten eine Leiche neben der andern schwimmt.
Aber Iwan, des Starosten Sohn,
Ist rasch auf heimlichen Wegen entflohn.
Rausche Eichwald! thue Dich gastlich auf,
Hemme schützend des flüchtigen Burschen Lauf!
Seine Liebe ist hin und sein Herz ist todt -
Doch sein Arm ist noch stark und die Wange roth,
Und er schlüge gern Alles was lebt jetzt todt.
Wohl im Dickicht wartet sein schwarzes Roß,
Und schafft er sich bald auch zum Beil ein Geschoß;
Und findet sich bald auch manch starker Genoß.
Und mit Schrecken und Grauen im Wolgaland
Wird Iwan, der Sohn des Starosten, genannt.
Friedrich
von Bodenstedt . 1819 - 1892
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