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Friedrich von Bodenstedt
Aus
der Heimat und Fremde . 1856/1859
Lied und Leben
Als noch die Pracht des Morgenlandes
In lichter Fülle mich umfloß,
Erwog kein Grübeln des Verstandes,
Was ich gelebt, was ich genoß -
Ob mich's betrübte, ob erfreute,
Lebendig faßt ich ganz das Heute,
Ließ ohne Noth mich Nichts verdrießen,
That ohne Noth auf Nichts Verzicht -
Ich mußte Alles ganz genießen,
Zerlegen, grübeln konnt' ich nicht.
Jetzt, wo nach langer Zeit der Trauer,
Mir neue, stille Freuden blühn,
Fühl' ich es oft, wie süße Schauer
Der Jugendzeit, die Brust durchglühn,
Und rufe gern im heim'schen Glück
Des Südens Drang und Glut zurück,
Daß neu die Blumen sich erschließen,
Das Bild sich forme zum Gedicht -
Einst konnt' ich immer nur genießen,
Zerlegen, grübeln konnt ich nicht.
Ob auch der Jugend Sturmeszeit
Verging mit der Vergangenheit:
Noch fühl' ich es in warmer Fülle
Und klar in der Erinnrung leben,
Dem Geiste brauch ich nur die Hülle,
Dem Sinne nur das Wort zu geben,
In Formen nur den Stoff zu gießen,
Lebendig wächst es zum Gedicht -
Einst konnt' ich immer nur genießen,
Zerlegen, grübeln konnt' ich nicht.
Veredelnd zeigen ferne Bilder
Uns Schönes reiner, Grauses milder.
Das Schneegebirg', davor uns graut
Im Dräun der Schlünde und Gesteine:
Wie es, von ferne angeschaut,
Erglänzt in Diamantenreine!
So mag sich auch im Lied erschließen
Nur was erfreulich dem Gesicht -
Einst mußt' ich Alles ganz genießen,
Zerlegen, grübeln konnt' ich nicht.
Hoch in des Himmels Blau, mit seinen
Schneekuppen, ragt der Kaukasus,
In's Kaspimeer stemmt er den einen,
In's Schwarze Meer den andern Fuß;
Er blickt herab auf reiche Auen,
Sieht starke Männer, schöne Frauen
Wie Blumen seinem Schoß entsprießen,
Durchglühet von des Ostens Licht -
Einst konnt' ich Alles nur genießen,
Zerlegen, grübeln konnt' ich nicht.
Und wie die Blicke weiter schweifen
Zum Süd, mit der Aragwa Lauf,
Umrahmt von lichter Berge Streifen
Thut eine schöne Stadt sich auf.
Und von den weißen Häusern allen
Mit ihren gastlich offnen Hallen,
Seh ich mir Eins sich traut erschließen,
Drin ein besel'gend Angesicht -
Einst konnt' ich Alles nur genießen,
Zerlegen, grübeln konnt' ich nicht:
Wenn in der abendlichen Kühle
Wir auf dem Dach des Hauses saßen,
Auf Markt und Straßen das Gewühle,
Und Alles rings, uns selbst vergaßen -
Vom Himmel hoch der Sterne Grüßen,
Die ganze Welt zu unsern Füßen -
Da mochte Herz in Herz zerfließen -
Gesicht sich schmiegen an Gesicht -
Einst konnt' ich Alles nur genießen,
Zerlegen, grübeln konnt' ich nicht.
Noch einmal soll die Glut aus Osten
Zündend durch meine Lieder gehn,
Noch einmal will ich Alles kosten,
Noch einmal Alles wiedersehn -
Und aus den Blumen soll ein Kranz,
Voll Duft und zartem Farbenglanz,
Für Dich, Edlitam, bunt sich schließen,
Ein Kranz, den Dir die Liebe flicht -
Einst konnt' ich Alles nur genießen,
Wie Dich so lieben konnt' ich nicht!
Friedrich
von Bodenstedt . 1819 - 1892
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