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Ferdinand Freiligrath
Gedichte
. 1848
Der ausgewanderte Dichter
Bruchstücke eines unvollendeten
Cyclus.
Die Tanne fäll' ich, drauf die Adler horsten;
Sie kracht zu Boden, Schnee vom Haupte schüttelnd.
Ich wohne fürder einsam in den Forsten,
Die Menschen fliehend und die Föhren rüttelnd.
Ich habe nicht, da ich mein Haupt hinlege;
Von keinem Herde bin ich dort geschieden.
Mein erstes Haus, mit Hammer und mit Säge,
Bau' ich mir selber bei den Atlantiden,
Kunstlos und rauh; - vom Felsen reiß' ich Farren
Und ander Kraut, daß ich die Fugen stopfe;
Die moos'ge Rinde laß ich an den Sparren;
Dumpf durch die Schlucht dröhnt meiner Art Geklopfe.
Ein leises Wehn spielt mit den dürren Blättern -
Geist dieser Wälder, sei mit meiner Hütte,
Daß sie Orkan und Blitze nicht zerschmettern,
Daß sie der Schnee des Berges nicht verschütte!
Daß ihr Gebälk kein feindlich Beil zerhaue,
Daß lange Zeit die Sonn' ihr Dach vergülde,
Daß sie nicht gleich sei dieser Spur der Klaue
Des Elennthieres auf dem Schneegefilde!
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In einer solchen Werkstatt ist gut zimmern.
Die Waldung funkelt in des Morgens Glanze,
Die Büsche blitzen und die Zweige schimmern,
Und jede Tann' ist eine starre Lanze.
Mit ries'gem Nacken an den Himmel stemmen
Die Berge sich; still, doch belebt, die Auen.
Am Strome drüben, auf den schnee'gen Dämmen,
Seh ich den Biber seine Hütten bauen.
Fern aus dem Dickicht ragt's gleich Renngeweihen,
Der Bison bückt sich, daß den Schnee er lecke;
Das Birkhuhn schwirrt, und von der Hinde scheuen
Fußtritten knarrt des Bodens Flockendecke.
Der bunte Luchs tritt dreist aus seiner Höhle,
Der Trab des Elenns donnert durch die Föhren.
Ein neues Lied geht auf in meiner Seele:
Ich dicht' es hämmernd - doch wer wird es hören?
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Hinaus, hinaus! der Frühling ist gekommen.
Der Schnee des Winters rieselt von den Kuppen,
Der Alligator ist ans Land geschwommen,
Und sonnt am Ufer seine grünen Schuppen.
Die Fische springen und die Vögel schlagen;
Die Knospen bersten und die Kräuter schießen;
Die Wipfel all, auf denen Tauben klagen,
Streu'n ihre Blüthen flüsternd mir zu Füßen.
Die Hirsche wandeln thalwärts mit den Kühen;
Die Auerhähne schütteln ihre Kämme;
Mit ihrem Hofstaat durch die Büsche ziehen
Die Königinnen wilder Bienenstämme.
Wird mir auch Honig von den Bäumen träufen?
Frisch in den Wald, umduftet mich, ihr Ranken,
Und letzet mich! - ein Weisel will ich schweifen,
Umschwärmt von meinem Hofstaat, den Gedanken.
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Oft wandl' ich Abends auf den steilen Höhen,
Einsam mit meiner Lieb' und meinem Grimme,
Zu meinen Füßen die gewalt'gen Seen -
Und dann erheb' ich meine tiefe Stimme.
Die werthen Lieder aus den alten Tagen,
Die ich mit Freunden hundertmal gesungen,
In diese Wälder hab' ich sie getragen,
Drin nie zuvor ein deutsches Lied geklungen.
Wie zitterte, darauf ich lag, der Gipfel,
Wie gab mir jener froh mein Singen wieder,
Wie flüsterten der alten Bäume Wipfel,
Als sie vernahmen Ludwig Uhlands Lieder!
Wie stutzeten und hoben ihre Hörner
Die Hirsch' im Thal, als auf den Bergen oben
Ich Lieder drauf von Kerner und von Körner,
Von Schwab und Arndt und Schenkendorf erhoben!
O, schmerzlich wohl klang manches mir, dem Wandrer!
Hier Heimathlieder! - Dennoch, als sie klangen,
Stand ich ein Orpheus - mit den Liedern Andrer!
Zwar Steine nicht, doch tanzten wilde Schlangen.
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Ich lag heut' Nacht in süßen, stillen Träumen
Von meiner Heimath und von meinen Lieben.
Ich wandelte bei meiner Kindheit Bäumen,
Wo ich wohl wünschte, daß sie mich begrüben.
Der Todten und der Lebenden Gestalten,
Sie traten vor mich. "O, daß Keiner zürne,
Daß ich ihn ließ!" - Da jäh von einer kalten
Hand fühlt' ich leis berühret meine Stirne.
Ich fuhr empor; es war mein Jagdgefährte:
"Du schliefst wohl tief, daß gar nichts du vernommen!
Komm! denn wir sind den Bisons auf der Fährte,
Und durch den Winipeg sind sie geschwommen."
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Im bleichen Osten fing es an zu tagen;
Das Stromthal dampfte, eine Nebelkufe.
Wir ritten aus, das Elennthier zu jagen;
Die Waldung scholl vom Dröhnen unsrer Hufe.
Bald auch gefunden hatten wir die Heerde;
Sie barst durch's Laub, von jäher Furcht ergriffen.
Wir machten Halt, wir zügelten die Pferde,
Wir legten an, und zwanzig Kugeln pfiffen.
Doch keines Hornes schaufelförm'ge Krone
Versank, getroffen, in des Truppes Welle;
Sie schüttelte den Nacken, wie zum Hohne,
Und stürmte fort, verdoppelnd ihre Schnelle.
Im Blättermeere war sie bald verschwunden;
Allein des Grases blut'ger Thau bewährte,
Daß Eine Kugel doch ihr Ziel gefunden,
Drum ging es hitzig weiter auf der Fährte.
Wir folgten ihr auf offnen Waldespfaden;
Dann aber plötzlich theilte sich die frische;
Zum Strome, blutlos, ging der eine Faden,
Der andre, blutig, schlug sich in die Büsche.
Ein einzig Thier nur war hier abgegangen.
Der Führer sann, und sagte drauf den Leuten:
"Folgt ihr der Hauptspur durch das Thal der Schlangen,
Ich will mit diesem auf der Blutspur reiten."
Und so geschah es; - mit einander spornen
Die Rosse wir seitabwärts nach den Gründen;
Geknickte Gräser, blutgefärbte Dornen
Sind uns genug, die rechte Bahn zu finden.
Er sprach indeß: "Empfängt das Elenn Wunden,
Und fühlt es nahn den Tod in seiner Herbe,
Dann flieht es scheu die Heerde der Gesunden,
Und birgt im Forst sich, daß es einsam sterbe.
In abgelegnen, laubverhüllten Schluchten,
Auf einer dunkeln, moosbewachsnen Stätte,
Die Felsenstücke jäh und wild umbuchten,
Da sucht es blutend sich ein Sterbebette.
Siehst du den Geier über jenen Tannen?
Auf unser Wild bald senkt er das Gefieder;
Es lüstet ihn das Elenn der Savannen -
Dort, sollst du sehen, stürzt' es leblos nieder."
Und wahr erwies sich, was er kaum gesprochen;
Wir fanden's liegen, knochig, starkgelendet,
Die braunen Augen glanzlos und gebrochen -
Fern seinen Brüdern war es hier verendet.
In diese Wildniß, die kein Beil gelichtet;
Die nie durchzuckt der Sonne mildes Lächeln,
In diese Wildniß hatt' es sich geflüchtet;
Sie nur vernahm des Elennthieres Röcheln.
Der Führer jetzo ließ zu dreien Malen
Durch die Gebüsche seinen Jagdruf tönen; -
Ich dachte schmerzlich meiner eignen Qualen:
Hier starb das Thier - hier rinnen meine Thränen!
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Ich bin nun lange drüben wohl vergessen;
Wer jetzt noch lauschte meinen ersten Klängen?
Ich wäge sinnend meine Wehr, indessen
Gewappnet Andre in die Rennbahn sprengen.
Im Geist erblick' ich ihrer Rosse Bäumen
Und ihrer Helme Federbuschgezitter;
Es rasselt mich aus meinen tiefsten Träumen
Der Klang des Schwertes, das sie schlägt zum Ritter.
Nehmt hin den Dank! - ich hab' ihn abgeschworen! -
Und doch - beim Blitzen eurer Harnischzierde
Und beim Erklirren eurer goldnen Sporen
Erwacht in mir die alte Kampfbegierde.
Denn nicht verrosten ließ ich meine Waffen;
Ich weiß sie rüst'ger, als vordem, zu schwingen;
Noch einmal möcht' ich mich zusammenraffen,
Und auf dem alten Tummelplatze ringen.
Mein Schwert geschliffen hab' ich in der Oede;
Bewehrt mit Liedern, ballt sich meine Rechte;
Ich bin bereit zu einer Geistesfehde -
Wie, wenn ein Schiffer mein Cartel euch brächte?
Wohlan! zum Wettstreit meine Lenden gürt' ich!
Ihr, in den Schranken, prüfet meine Wehre!
Sprecht zu den Rittern: "er ist ebenbürtig;
Sein Tomahawk ist würdig eurer Speere!"
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Und als wir watend durch die Furt nun setzten,
Voran den Führer, den vorsicht'gen Schreiter,
Da spornte jenseits einen schaumbenetzten,
Langmähn'gen Rappen ein Savannenreiter.
Gedrungne Formen, Glieder wie von Erze,
Lichtblaues Jagdhemd mit scharlachner Franze,
Buntfarb'ges Tüchlein um des Haares Schwärze -
So kam er näher mit gefällter Lanze.
Im Flug nur, schien es, wollt' er uns betrachten;
Umsonst hinüber sandt' ich Ruf und Zeichen.
Er sah mich winken, ohne drauf zu achten,
Wandte sein Roß, und trat es in die Weichen;
Flog dann hinan des Ufers jähe Treppe,
Daß Kies und Mergel dran herunter klirrten.
Es war ein Creek, ein Beduin der Steppe; -
Glück zu! noch heute wirst du dich entgürten!
Dann wird dein Weib dir deine Kinder bringen;
Sie streicheln furchtlos deines Thieres Mähne;
Die Buben sagen: "Vater, laß es springen!"
Und ziehn ihm dreist den Knebel durch die Zähne.
Du aber wirst an deinen Herd dich setzen,
Und deine Gattin mit der Ferne Bildern
Und mit den Wundern deiner Züge letzen,
Vielleicht die Jäger auch im Strome schildern.
Die jetzt erreichen triefend das Gestade: -
Sieh' da die Grasbahn, die dein Roß gegangen!
Wohl find' ich Hütten, folg' ich diesem Pfade -
Doch, ach! wie dich wird keine mich empfangen!
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Ich sonne mich im letzten Abendstrahle,
Und leise säuselt über mir die Rüster.
Du jetzt, mein Leben, wandelst wohl im Saale,
Der Teppich rauscht, und strahlend flammt der Lustre.
Und Alles naht sich, feiernd dich zu grüßen,
Und Alles huldigt deiner milden Schöne;
Sie legen Alles, Herrin, dir zu Füßen,
Auf daß dein Lächeln diesen Abend kröne.
O, laß es dringen auch in diese Wildniß;
Send' es herüber tausende von Meilen!
Vor meine Seele treten laß dein Bildniß;
Zuckt auch mein Herz; - es wird ja doch nicht heilen!
So in des Kreises athemloser Stille
Mit deiner Harfe saßest du vor Zeiten!
Das ist dein Auge! - deiner Locken Fülle
Ergießt sich dunkel auf die lichten Saiten! -
Das ist dein Singen! durch die prächt'gen Räume
Glühend und innig fluthen meine Lieder! -
Im Abendwinde schütteln sich die Bäume;
Schwarz auf den Urwald senkt die Nacht sich nieder.
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Allein, allein! - und so will ich genesen?
Allein, allein! - und das der Wildniß Segen?
Allein, allein! - o Gott, ein einzig Wesen,
Um dieses Haupt an seine Brust zu legen!
In meinem Dünkel hab' ich mich vermessen:
"Ich will sie meiden, die mein Treiben schelten.
Mir selbst genug, will ich dies Volk vergessen;
Fahr' hin, o Welt - im Herzen trag' ich Welten!"
Ein einzig Jahr hat meinen Stolz gebrochen;
Mein Herz ist einsam und mein Aug' ist trübe.
Es reuet mich, was frevelnd ich gesprochen;
Dem Haß entfloh ich, aber auch der Liebe.
Allein, allein! - und so will ich genesen?
Allein, allein! - und das der Wildniß Segen?
Allein, allein! - o Gott, ein einzig Wesen,
Um dieses Haupt an seine Brust zu legen!
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Die Indianer sitzen um die Flamme,
Und schüren düster sie, schweigsame Schürer.
Da plötzlich - wohl der Aelteste vom Stamme -
Spricht zu den Andern also Einer ihrer:
"In Frieden ruh' er, den wir heut' begruben
Dort, wo den Urwald säumet die Savannah!
Nie einem Weißen, diesem gleich, erhuben
Ein Mal vom Lorenz wir zum Susquehannah!
Er war nicht, wie die Andern seiner Farbe;
Drum zu den Rothen hat er sich geschlagen.
In unsern dunkeln Reih'n glich er der Garbe
Des Maiskorns, die zu Tannen man getragen.
Was mocht' ihm sein? - mit seinen Jagdgeräthen
Stand oft er sinnend unter einem Baume,
Und hört' er rufend in das Holz uns treten,
So fuhr er auf, und folgt' uns wie im Traume.
Auch stand er einsam wohl am Strome dorten;
Oft durch die Büsche sahn ihn die Genossen.
Dann war es, daß in fremder Sprache Worten
Ihm lange Reden von den Lippen flossen.
Der Worte keines haben wir verstanden,
Doch hörten gerne wir der Worte Schallen.
Es war ein Takt drin, wie wenn Kriegerbanden
Mit gleichem Schritt auf hartem Schneefeld wallen.
Verstanden haben wir der Worte keines,
Doch hat uns stets zu hören sie verlanget.
Es war ein Klang drin, gleich den Tönen eines
Schilds, der im Wind den Ast schlägt, dran er hanget.
Und um sich schaut' er, war er nun zu Ende,
Und sah erst jetzt, daß Keiner ihn vernommen.
Dann drückt' er stumm sein Antlitz in die Hände,
Und ist zum Wigwam still zurückgekommen.
In Frieden ruh' er, den wir nicht mehr sehen!
Laßt eine Hütt' auf seinem Grab uns bauen.
Sein Haupt liegt westwärts, denn sein letztes Flehen
War: "Krieger, o, nach Morgen laßt mich schauen!"
Ferdinand
Freiligrath . 1810 - 1876
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