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162 Bücher



Ferdinand Freiligrath
Gedichte . 1848



Der Blumen Rache

Auf des Lagers weichem Kissen
Ruht die Jungfrau, schlafbefangen,
Tiefgesenkt die braune Wimper,
Purpur auf den heißen Wangen,

Schimmernd auf dem Binsenstuhle
Steht der Kelch, der reichgeschmückte,
Und im Kelche prangen Blumen,
Duft'ge, bunte, frischgepflückte.

Brütend hat sich dumpfe Schwüle
Durch das Kämmerlein ergossen,
Denn der Sommer scheucht die Kühle,
Und die Fenster sind verschlossen.

Stille rings und tiefes Schweigen!
Plötzlich, horch! ein leises Flüstern!
In den Blumen, in den Zweigen
Lispelt es und rauscht es lüstern.

Aus den Blüthenkelchen schweben
Geistergleiche Duftgebilde;
Ihre Kleider zarte Nebel,
Kronen tragen sie und Schilde.

Aus dem Purpurschooß der Rose
Hebt sich eine schlanke Frau;
Ihre Locken flattern lose,
Perlen blitzen drin, wie Thau.

Aus dem Helm des Eisenhutes
Mit dem dunkelgrünen Laube
Tritt ein Ritter kecken Muthes;
Schwert erglänzt und Pickelhaube.

Auf der Haube nickt die Feder
Von dem silbergrauen Reiher.
Aus der Lilie schwankt ein Mädchen;
Dünn, wie Spinnweb, ist ihr Schleier.

Aus dem Kelch des Türkenbundes
Kommt ein Neger stolz gezogen;
Licht auf seinem grünen Turban
Glüht des Halbmonds goldner Bogen.

Prangend aus der Kaiserkrone
Schreitet kühn ein Scepterträger;
Aus der blauen Iris folgen
Schwerbewaffnet seine Jäger.

Aus den Blättern der Narcisse
Schwebt ein Knab' mit düstern Blicken,
Tritt ans Bett, um heiße Küsse
Auf des Mädchens Mund zu drücken.

Doch ums Lager drehn und schwingen
Sich die andern wild im Kreise;
Drehn und schwingen sich, und singen
Der Entschlafnen diese Weise:

"Mädchen, Mädchen! von der Erde
Hast du grausam uns gerissen,
Daß wir in der bunten Scherbe
Schmachten, welken, sterben müssen!

O, wie ruhten wir so selig
An der Erde Mutterbrüsten,
Wo, durch grüne Wipfel brechend,
Sonnenstrahlen heiß uns küßten;

Wo uns Lenzeslüfte kühlten,
Unsre schwanken Stengel beugend;
Wo wir Nachts als Elfen spielten,
Unserm Blätterhaus entsteigend.

Hell umfloß uns Thau und Regen;
Jetzt umfließt uns trübe Lache;
Wir verblühn, doch eh' wir sterben,
Mädchen! trifft dich unsre Rache!"

Der Gesang verstummt; sie neigen
Sich zu der Entschlafnen nieder.
Mit dem alten dumpfen Schweigen
Kehrt das leise Flüstern wieder.

Welch ein Rauschen, welch ein Raunen!
Wie des Mädchens Wangen glühen!
Wie die Geister es anhauchen!
Wie die Düfte wallend ziehen!

Da begrüßt der Sonne Funkeln
Das Gemach; die Schemen weichen.
Auf des Lagers Kissen schlummert
Kalt die Lieblichste der Leichen.

Eine welke Blume selber,
Noch die Wange sanft geröthet,
Ruht sie bei den welken Schwestern, -
Blumenduft hat sie getödtet!


  Ferdinand Freiligrath . 1810 - 1876






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