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Gedichte, Lyrik, Poesie

Gedichte
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Ferdinand Freiligrath
Gedichte . 1848



Der Reiter

Er lenkte schweigend durch die Schlucht sein Roß;
Bleich war sein Antlitz, lang und lockig floß
Ihm Bart und Haar auf Brust und Achsel nieder.
Er ließ dem müden Thiere das Gebiß;
Er seufzte düster durch die Finsterniß
Der Föhren: "Gott, warum gabst du mir Lieder?

Sie schliefen Jahre lang in meiner Brust,
Wie Erz im Schacht; - ich habe nicht gewußt,
Daß Lieder tief mir in der Seele ruhten.
Weh mir, zu öffnen ihr verborgen Thor!
Wie kochend Herzblut brechen sie hervor,
Unhemmbar! ach, und ich - ich muß verbluten!

Und Keiner weiß es! Alle stellen sie
Sich vor mich hin, und sagen lächelnd: Sieh'!
Das ist ein lustig und ein kräftig Springen!
Das ist ein frischer und ein tücht'ger Strahl!
Ein mäß'ger Strom kann dieser Quell einmal,
So Gott der Herr will, durch die Lande dringen.

Sie aber wissen nicht, daß er schon bald
Versiegen muß, daß ebbend schon er wallt;
Sie wissen nicht, daß vor der Thür mein Sterben;
Daß mit dem Blut nur, das bis jetzt mir quoll,
Wenn in der Gruft ich einen tragen soll,
Ich meinen Liederpurpur mir muß färben.

Doch murr' ich nicht, ich sage: sehet da,
Ich bin ergeben, ich bin Seneca,
Als in die Wanne rauschten seine Adern!
Die Dichtkunst sagt zu meinem Leben: flieh!
Mein Nero, weh' mir! ist die Poesie -
Doch will ich nicht mit meinem Schicksal hadern.

O, hielten sie mich nur nicht am Gewand,
Und brächten, diese Balsam und Verband,
Und die, mein Blut zu sammeln, Kelch und Schale!
O, könnt' ich still zu Tode bluten mich,
Gleichwie, die Brust von eines Fängers Stich
Durchbohrt, ein Hirsch in einem dunkeln Thale.

O, gönnten sie dem Sterbenden die Ruh'!
O, drückten sie nur grausam oft nicht zu
Die Wunde mir, am Herd und auf den Gassen;
Und lehrten mich, daß den gewalt'gen Fluß
Verschließen, eher noch mich tödten muß,
Als ihn, bei pochenden Schläfen, rieseln lassen.

O, ließen gehn mich meine Wege sie,
Und fragten nicht: Sprich, was ist Poesie?
O Gott, wie oft vernahm ich schon die Frage!
O, lächelten und lachten sie nur nicht,
Wenn träumerisch, mit glühendem Gesicht
Und eine Thrän' im Aug' ich ihnen sage:

Wenn man im Forst auf einen Eichbaum steigt,
Und sich zum Sitze wählt sein weit verzweigt
Und rauschend Haupt mit herbe duftendem Laube,
Und sinnend dann, die Arme stumm verschränkt,
An die Geliebte, welche fern ist, denkt,
Und in das Nest schaut einer Turteltaube;

Wenn man am Meer, von seinem Schaum benetzt,
Sich einem Fischer auf die Schultern setzt,
Und sich hinein läßt tragen in die Wellen,
Die Odyssee legt auf sein struppig Haar,
Und singt und jubelt, daß er denkt: fürwahr,
Das heiß' ich einen närrischen Gesellen!

Und wenn auf muth'gen Rossen man zu Dritt
Macht oder Vieren einen wilden Ritt -
Sieh' da! die lang gestreckten Renner schnauben,
Ihr beugt euch spornend vor, ohn Unterlaß
Wehn euch die Mähnen in das Antlitz! - das
Ist Poesie, doch wollt ihr es nicht glauben.

Und wenn man Nachts auf langen Brücken fährt,
Und dumpf ihr Holz vom Hufschlag murren hört,
Bis das Gespann urplötzlich wieder seinen
Huf klirrend auf das Pflaster setzt, daß glüh
Die Funken fliegen, dann ist Poesie
Der erste Ton des Eisens auf den Steinen.

Und Poesie auch ist's, wenn, wie ein Schwan,
Man in der Dämmerung in einem Kahn
Langsam durchfurchet eines Hafens Mitte,
Und es gestattet, daß der Kahn sich schmiegt
An irgend ein gewaltig Schiff; - so liegt
Oft neben einem Palast eine Hütte.

Und Poesie dann, wenn in Gummischuhn
Man einen Neger sieht im Tauwerk ruhn,
Des Abends Kühle schwebend einzusaugen;
Er schaukelt lässig sich und singt ein Lied,
Und schaut ihr ihm in's Angesicht, so glüht
Euch wie ein Stern das Weiße seiner Augen.

Und Poesie auch würd' es sein, wenn jetzt
Dies schwarze Roß von Dänenzucht, entsetzt,
Sich bäumete auf dieser düstern Stelle,
Mich schleuderte an dieses Felsenstück,
Daß plötzlich Nacht umflorte meinen Blick,
Und meiner Stirne dunkel Blut entquölle.

Und wenn alsdann, wenn ich zum letzten Mal,
Beschienen von der Abendsonne Strahl,
Das matte Aug', die müde Wimper höbe,
Das treue Thier, als klagt' es um mein Weh',
Gesenkten Halses auf mich niedersäh',
Und warm in mein erkaltend Antlitz schnöbe."


  Ferdinand Freiligrath . 1810 - 1876






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Der Reiter, Ferdinand Freiligrath