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Ferdinand Freiligrath
Gedichte . 1848



Der Scheik am Sinai

Im Spätjahr 1830.

"Tragt mich vor's Zelt hinaus sammt meiner Ottomane!
Ich will ihn selber sehn! - Heut' kam die Karavane
Aus Afrika, sagt ihr, und mit ihr das Gerücht?
Tragt mich vor's Zelt hinaus! wie an den Wasserbächen
Sich die Gazelle letzt, will ich an seinem Sprechen
Mich letzen, wenn er Wahrheit spricht."

Der Scheik saß vor dem Zelt, und also sprach der Mohre:
""Auf Algiers Thürmen weht, o Greis! die Tricolore,
Auf seinen Zinnen rauscht die Seide von Lyon;
Durch seine Gassen dröhnt früh Morgens die Reveille,
Das Roß geht nach dem Takt des Liedes von Marseille;
Die Franken kamen von Toulon!

Gen Süden rückt das Heer in blitzender Kolonne;
Auf ihre Waffen flammt der Barbaresken Sonne,
Tuneser Sand umweht der Pferde Mähnenhaar.
Mit ihren Weibern fliehn die knirschenden Kabylen;
Der Atlas nimmt sie auf, und mit dem Fuß voll Schwielen
Klimmt durch's Gebirg der Dromedar.

Die Mauren stellen sich; vom Streit gleich einer Esse
Glüht schwül das Defilé, Dampf wirbelt durch die Pässe;
Der Leu verläßt den Rest des halbzerriss'nen Reh's.
Er muß sich für die Nacht ein ander Wild erjagen. -
Allah! - Feu! En avant! - Keck bis zum Gipfel schlagen
Sich durch die Aventuriers.

Der Berg trägt eine Kron' von blanken Bajonetten;
Zu ihren Füßen liegt das Land mit seinen Städten
Vom Atlas bis an's Meer, von Tunis bis nach Fez.
Die Reiter sitzen ab; ihr Arm ruht auf den Croupen;
Ihr Auge schweift umher; aus grünen Myrtengruppen
Schau'n dünn und schlank die Minarets.

Die Mandel blüht im Thal; mit spitzen dunkeln Blättern
Trotzt auf dem kahlen Fels die Aloe den Wettern;
Gesegnet ist das Land des Bey's von Tittery.
Dort glänzt das Meer; dorthin liegt Frankreich. Mit den bunten
Kriegsfahnen buhlt der Wind. Am Zündloch glühn die Lunten;
Die Salve kracht - so grüßen sie!""

"Sie sind es!" ruft der Scheik - "ich focht an ihrer Seite!
O Pyramidenschlacht! o, Tag des Ruhms, der Beute!
Roth, wie dein Turban, war im Nile jede Furt. -
Allein ihr Sultan? sprich!" er faßt des Mohren Rechte;
"Sein Wuchs, sein Gang, sein Aug'? sahst du ihn im Gefechte?
Sein Kleid?" - der Mohr greift in den Gurt.

""Ihr Sultan blieb daheim in seinen Burggemächern;
Ein Feldherr trotzt für ihn den Kugeln und den Köchern;
Ein Aga sprengt für ihn des Atlas Eisenthür.
Doch ihres Sultans Haupt sieh'st du auf diesem blanken
Goldstück von zwanzig Francs. Ein Reiter von den Franken
Gab es beim Pferdehandel mir!"

Der Emir nimmt das Gold, und blickt auf das Gepräge,
Ob dies der Sultan sei, dem er die Wüstenwege
Vor langen Jahren wies; allein er seufzt und spricht:
"Das ist sein Auge nicht, das ist nicht seine Stirne!
Den Mann hier kenn' ich nicht! sein Haupt gleicht einer Birne!
Der, den ich meine, ist es nicht!"


  Ferdinand Freiligrath . 1810 - 1876






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Der Scheik am Sinai, Ferdinand Freiligrath