162 Bücher
|
Ferdinand Freiligrath
Gedichte
. 1848
Der Tod des Führers
"Von den Segeln tropft der Nebel,
Auf den Buchten zieht der Duft.
Zündet die Latern' am Maste!
Grau das Wasser, grau die Luft.
Todtenwetter! - zieht die Hüte!
Mit den Kindern kommt und Frau'n!
Betet! denn in der Kajüte
Sollt ihr einen Todten schau'n!"
Und die deutschen Ackersleute
Schreiten dem aus Boston nach,
Treten mit gesenktem Haupte
In das niedre Schiffsgemach.
Die nach einer neuen Heimath
Ferne steuern übers Meer,
Sehn im Todtenhemd den Alten,
Der sie führte bis hieher;
Der aus leichten Tannenbrettern
Zimmerte den Hüttenkahn,
Der vom Neckar sie zum Rheine
Trug, vom Rhein zum Ocean;
Der, ein Greis, sich schweren Herzens,
Losriß vom ererbten Grund;
Der da sagte: "Laßt uns ziehen!
Laßt uns schließen einen Bund!"
Der da sprach: "Brecht auf nach Abend!
Abendwärts glüht Morgenroth!
Dorten laßt uns Hütten bauen,
Wo die Freiheit hält das Loth!
Dort laßt unsern Schweiß uns säen,
Wo kein todtes Korn er liegt!
Dort laßt uns die Scholle wenden,
Wo die Garben holt, wer pflügt!
Lasset unsern Herd uns tragen
In die Wälder tief hinein!
Lasset mich in den Savannen
Euren Patriarchen sein!
Laßt uns leben, wie die Hirten
In dem alten Testament!
Unsres Weges Feuersäule
Sei das Licht, das ewig brennt!
Dieses Lichtes Schein vertrau' ich,
Seine Führung führt uns recht!
Selig in den Enkeln schau' ich
Ein erstandenes Geschlecht!
Sie - ach, diesen Gliedern gönnte
Noch die Heimath wohl ein Grab!
Um der Kinder willen greif' ich
Hoffend noch zu Gurt und Stab.
Auf darum, und folgt aus Gosen
Der Vorangegangnen Spur!" -
Ach, er schauete, gleich Mose'n,
Kanaan von ferne nur.
Auf dem Meer ist er gestorben,
Er und seine Wünsche ruhn;
Der Erfüllung und der Täuschung
Ist er gleich enthoben nun!
Rathlos die verlass'ne Schaar jetzt,
Die den Greis bestatten will.
Scheu verbergen sich die Kinder,
Ihre Mütter weinen still.
Und die Männer schaun beklommen
Nach den fernen Uferhöhn,
Wo sie fürder diesen Frommen
Nicht mehr bei sich wandeln sehn.
"Von den Segeln tropft der Nebel,
Auf den Buchten zieht der Duft!
Betet! laßt die Seile fahren!
Gebt ihn seiner nassen Gruft!"
Thränen fließen, Wellen rauschen,
Grellen Schrei's die Möve fliegt;
In der See ruht, der die Erde
Fünfzig Jahre lang gepflügt.
Ferdinand
Freiligrath . 1810 - 1876
|
|