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Ferdinand Freiligrath
Gedichte
. 1848
Der Wecker in der Wüste
Am Nilstrom in der Wüstenei
Da steht ein königlicher Leu,
Gelb, wie der Sand, auf dem er steht,
Gelb, wie der Smum, der ihn umweht.
Ein Königsmantel, dicht und schön,
Umwallt des Löwen Brust die Mähn';
Eine Königskrone, wunderbar,
Sträubt sich der Stirne straffes Haar.
Er hebt das Haupt empor und brüllt,
Sein Brüllen tönt so hohl, so wild;
Die Wüstenei durchrollt es dumpf,
Die Fluth vernimmt's in Möris' Sumpf.
Dem Panther starrt das Rosenfell,
Erzitternd flüchtet die Gazell';
Es lauscht Kameel und Krokodill
Des Königs zürnendem Gebrüll.
Es hallt zurück vom Nilesstrand
Und von der Pyramiden Wand;
Die Königsmumie, braun und müde,
Erweckt's im Schooß der Pyramide.
Sie richtet sich im engen Schrein:
"Dank, Löwe, für dein zornig Dräun!
Manch lang Jahrtausend schlief ich schon,
Da weckt mich deiner Stimme Ton!
O, lange Zeit hab' ich verträumt!
Wo seid ihr, Jahre, glanzumsäumt,
Als Siegesbanner mich umflogen,
Als deine Ahnen, Leu, mich zogen?
Da saß ich hoch auf güldnem Wagen;
Die Deichsel war mit Gold beschlagen;
Von Perlen glänzte Speich' und Rad;
Mein war die Hundertpfortenstadt.
Und diese Sohle, schlaff und dürr,
Trat auf des Mohren Haargewirr,
Trat auf die gelbe Stirn der Inder,
Und auf den Nacken der Wüstenkinder.
Und diese Hand bezwang die Welt,
Die jetzt der starre Byssus hält.
Was jene Hieroglyphen sagen,
Hat diese Brust gezeugt, getragen.
Das Grabmal, so mich jetzt beschirmt,
Hab' ich mit eigner Hand gethürmt:
Ich saß auf speerbewachtem Thron:
Die Ziegelbrenner trieb der Frohn:
Mich schaukelte auf schnellem Kiel
Mein Unterthan, der breite Nil.
Der Nil, der fließt noch immer zu;
Ich liege längst in tiefer Ruh',
Und dunkel ist's um mich herum!" -
Da wird der Löwe plötzlich stumm,
Und trüb wird auch des Todten Blick;
Er lehnt zum Schlummer sich zurück.
Ferdinand
Freiligrath . 1810 - 1876
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