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Ferdinand Freiligrath
Gedichte . 1848



Die Todten im Meere

Tief unter grüner Meereswell',
Auf Muschelbank und Kies,
Da schlummert mancher Schiffsgesell,
Der frisch vom Lande stieß.

Die See riß sein gebrechlich Boot
Hinab auf ihren Grund;
Im Sturme fand er frühen Tod,
Und war doch so gesund.

Tief unter grüner Meereswog',
Auf Kies und Muschelbank,
Da schlummert mancher Andre noch,
Der nicht im Sturm ertrank.

Er ward in enger Koje kalt,
Kam nie zurück zum Port.
Man hat ihn auf ein Brett geschnallt,
Und warf ihn über Bord.

Ein großes Grab ist Meeres Grund,
Ein Kirchhof Meeres Spiegel;
Die Wellen, schwellend all und rund,
Das sind die Grabeshügel.

O, könnte man dort unten sein,
Wär' Meeresflut verronnen:
Man säh' der Schläfer lange Reih'n,
Säh' von Polypen ihr Gebein,
Das bleiche, roth umsponnen.

Man säh' ihr Kissen: weiches Moos,
Und Sand und Meereslinsen;
Man säh', wie sie mit Zähnen bloß
Ins Fischgewimmel grinsen.

Man säh', wie ihren Knochenarm
Der Sägefisch polirt;
Wie sie der Meeresfrauen Schwarm
Mit seltnen Gaben ziert.

Die eine salbt, die andre flicht
Ihr Haar, das lang begaffte,
Und schminkt ihr beinern Angesicht
Mit Purpurschneckensafte.

Die eine singt ein traurig Lied
Die kommt mit Muschelschnüren.
Man säh' die todte Schaar umglüht
Von wunderbaren Zieren;

Säh' Hand und Knöchel schön umglänzt
Von gelben Bernsteinschnallen;
Der nackte Schädel wär' bekränzt
Mit krönenden Korallen.

Und theure Perlen, rein und weiß,
Das wären ihre Augen.
Man säh' der Tiefe bunt Geschmeiß
Ihr Beinmark gierig saugen.

Man sähe jeden schlanken Mast,
Den einst die Flut getragen,
Den jetzt ein Meeresfels umfaßt,
Einen Todten überragen;

Säh' ihn, benagt von Fisch und Wurm,
Gewurzelt fest in Torfe;
Der Schläfer meint, es sei der Thurm
Von seinem Heimathdorfe. -

Ja, unter grüner Meereswell',
Bei Perlen silberfarb,
Da liegt manch rüstiger Gesell,
Der in den Wellen starb.

Er schlummert fern von Haus und Hof;
Keine Blume ziert sein Grab,
Und keine Freundesthräne trof
Auf sein Gesicht hinab.

Er schlummert süß; umdüstert auch
Sein Grab kein Rosmarin,
Umsäuselt's auch kein Rosenstrauch,
Keiner Trauerweide Grün,

Was thut's? - und daß sein Angesicht
Kein Thränenregen schlug,
Den Todten im Meere kümmert's nicht!
Er ist ja naß genug!


  Ferdinand Freiligrath . 1810 - 1876






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