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Ferdinand Freiligrath
Gedichte . 1848



Henry

Ein öd' und trüb' Gemach; der Abendsonne Schein
Bricht durch's vergilbte Glas der Fenster fahl herein!
Matt durch die matten Scheiben bricht er.
Ein Feldbett und ein Tisch; ein Sessel auch; und hier
Ein Sarg - was zitterst du? sei stark, und folge mir!
Laß uns betrachten zwei Gesichter.

Sieh' auf dem Tisch dies Bild! - ein Mädchen! - o wie hold!
Dies Auge! dieser Mund! und dieser Locken Gold!
O, dieser Liebreiz, diese Milde!
Ein himmelblaues Band umfängt den schlanken Leib;
Die jungfräuliche Brust ...... Liebt mich einmal ein Weib,
O Gott, so gleich' es diesem Bilde!

Nun aber wende dich! Sieh' da den Todtenschrein!
Ein Jüngling ruht in ihm; - aus weißen Laken dräu'n
Die starren, gramzerrißnen Züge.
Ein tiefer, stiller Schmerz umzuckt den bleichen Mund;
Doch gab den innern Sturm nie diese Lippe kund -
Er wollte, daß sie ewig schwiege.

Zurück das Leichentuch! - Siehst du in seiner Hand
Den blut'gen Dolch? - Sei Mann! entferne das Gewand! -
Sein Herz die Scheide dieses Dolches!
Einmal betrachte noch dies lächelnde Gesicht,
Und dann dies schmerzliche! - Nun komm! doch frage nicht:
Um solch ein Angesicht, o Gott, warum ein solches?


  Ferdinand Freiligrath . 1810 - 1876






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