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Ferdinand Freiligrath
Gedichte . 1848



Im Herbst

1836.

Und wieder ist es Herbst! - entblättert stehn die Bäume;
Dem dürren Laube gleich, verwehen meine Träume;
Aus Norden braus't es hohl!
Es ziehn die Kraniche nach wärm'rer Meere Borden;
Erschrocken fahr' ich auf! ja, es ist Herbst geworden -
So war's auch Sommer wohl?

Und wieder ist es Herbst! - die alten Thürme trauern
Befeuchtet hat der Hauch des Nebels ihre Mauern
Und ihrer Dächer Blei.
Der Nordwind rüttelt sie, die Wetterfahnen klirren;
Um die verwitternden sieht man die Dohle schwirren
Mit winterlichem Schrei.

Und wieder ist es Herbst! - Der Sommer ist vergangen;
Umsäuselt hat das Wehn des Lenzes meine Wangen -
Ich hab' es nicht gewußt!
Auf's Neue ließ ein Jahr ich ungenossen fliehen;
Und, ach! ich merk' es erst, da jetzo sein Verziehen
Mir schauert durch die Brust.

Und wo denn wieder war's, daß träumerisch indessen
Die Monden ich verpaßt; daß ich den Lenz vergessen,
Und Seufzer eingethan? -
Durchirrt hab' ich den Sand, ein Quell- und Schattenspürer;
Ich watete durch Blut; die Sonne war mein Führer,
Mein Roß der Ocean.

Ich sah der Wüste Brand und ihrer Körner Dürsten.
Versprengt von ihrer Schaar sah ich Nomadenfürsten;
Am Boden lag ihr Pferd.
Sie schauten grimmig aus nach einer Karavane;
An ihrem prächt'gen Gurt hing wimmernd die Sultane,
Nachschleifend wie ein Schwert.

Zur Fehde zog ich aus mit Rittern und Baronen;
Den Flamberg in der Faust, erstürmt' ich Mauerkronen -
Gewieher und Geschnauf!
Die Leitern legt' ich an, ich klomm hinan die Scharten,
Ich pflanzte blutbefleckt die flatternden Standarten
Auf Feindesleichen auf.

Schlachtbanner, schwärzliche, zerschoss'ne sah ich fliegen;
Erschlagne Krieger starr am Boden sah ich liegen
Mit blut'gem Angesicht.
Es neigten Jungfrau'n sich hernieder zu den Todten -
Ach, ob sie Becher auch den kalten Lippen boten,
Sie weckten Jene nicht!

Und Flotten sah ich ziehn mit weißen Segelschwingen;
Ich sah sie rüsten sich zum Kampf; ich sah sie ringen,
Entmastet und entmarst.
Ich sah sie bäumen sich, geschaukelt auf dem Rachen
Des alten Oceans; - ich sah es, wie mit Krachen
Ein Admiralschiff barst.

Von hoher Berge Stirn schaut' ich nach zweien Landen; -
Tief unten, wo der Schlucht bereifte Tannen standen,
Ein bunter Maulthier-Zug!
Ich sah auf ihrem Haupt die weiß und rothe Feder; -
Voran ein brausend Paar von Zeltern, deren jeder
Ein schwärzlich Mädchen trug.

Zigeuner waren es! - Geklirr von Tambourinen! -
Sie zogen über's Joch des Berges in die grünen
Jenseit'gen Thalesau'n!
Den Schwalben gleicht dies Volk; es flieht des Winters Grenze;
Es sucht im Herbst ein Land, auf welches ew'ge Lenze
Vom Himmel niederthau'n!

Die Lenze sah ich wohl! doch den, der mich umgeben,
Ich ließ ihn achtlos fliehn! Ich träumte, statt zu leben!
Die Schwalben sammeln sich!
Ja, wieder ist es Herbst; er klirrt um meine Klause;
Er rüttelt mich: "Wach' auf! kehr' ein im eignen Hause!
Du Sinnender, besinne dich!"


  Ferdinand Freiligrath . 1810 - 1876






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Im Herbst, Ferdinand Freiligrath