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Gedichte, Lyrik, Poesie

Gedichte
162 Bücher



Ferdinand Freiligrath
Gedichte . 1848



Landrinette

1.

1824.

Noch Knabe war ich, als Trompetenklang
Früh Morgens einst zu meinen Ohren drang -
Hinaus, hinaus, das sind Husaren!
Kommt! Um die Ecke! Dort hat es geschallt!
Fort auf den Markt! - Da sah'n wir freilich bald,
Daß die Trompeter keine Krieger waren.

Berittne zwar, phantastisch angethan!
Zuerst ein Neger mit gestickter Fahn',
Darnach ein Mädchen, steh'nd auf stolzem Pferde!
Sechs, sieben Jahr' alt! Mit der kleinen Hand
Den Braunen zügelnd! Schimmernd im Gewand
Der Amoretten! Lächelnd von Geberde!

Dann Frau'n und Männer, sitzend hoch zu Roß!
Weh'n seidner Mäntel! Ritterlich Geschoß!
Horn, Trommel, Federn und Barette!
Und, o, der Renner und Geschirre Pracht! -
Doch dachten wir bei Tag und auch bei Nacht
Zumeist nur an die Amorette. -

Bereiter waren's! Andern Tags erhob
Sich schon ihr Zelt, und wälzte sich ihr Lob
Von Mund zu Munde durch die Straßen.
Was Curtius! Was Verba gar auf Mi!
Was Odyssee! Wir dachten nur an Sie,
Bis endlich wir im Circus saßen!

Da sahn wir denn, das wir bisher gekannt
Aus Büchern nur, der Wunder altes Land!
Bei'm Himmel, dieser Rennbahn Räume
Umfaßten es : Helmzierden, Hermelin,
Speerschwinger, Türken, schwarzer Augen Glühn,
Wiehernde Rappen und verhängte Zäume!

Und über allem sie, die kleine Fee
Des über Nacht erstandnen Mährchens! - Seh
Ich sie nicht heute noch, jetzt fächelnd
Ihr schnaubend Thier, jetzt mit holdsel'gem Gruß
Die Bahn durchsprengend, jetzt den kleinen Fuß
Der Kreide bietend, immer lächelnd!

Wir zählten dreizehn, höchstens vierzehn Jahr';
Die Kleine sieben! - Bei den Göttern, war
Es zu verwundern, wenn wir gerne
Das Aug' erhoben zu der wilden Brut,
Mit Kennermiene sagten: "Die wird gut!"
Und scheu sie grüßten aus der Ferne? -

Du Meteor aus unsrer Knabenzeit,
Es war uns wahrlich kein geringes Leid,
Als du nun schiedest, Landrinette! -
Und, o, der Thränen erst, als alle Welt
Bald d'rauf erzählte, daß in Bielefeld
Das Hälschen sie gebrochen hätte!


2.

1835.

Kennt ihr die Leere, kennt den Ekel ihr? -
Verdrossen durch die Gassen gingen wir;
Das Wort ließ ich die Andern führen.
Bei Gott, es war ein wichtiges Gespräch:
Sie unterhielten sich den ganzen Weg
Von Dirnen und von Staatspapieren.

Auf einer Ecke d'rauf ward Halt gemacht.
Es war noch früh. "Was treibt ihr diese Nacht?" -
Gegähne durch die ganze Gruppe.
"Nun denn! Theater, Cafeé, Karoussel?" -
""Pah, seh'n wir lieber noch die Kenebel!
Baptiste ist da mit seiner Truppe!"" -

So ging es denn zur Bude Loisset's; -
Wie sprudelte, ein übervoll Gefäß,
Vom Schaum des Volks der luft'ge Kasten!
Trompetentusch! die Pforte thut sich auf!
Staub, Hufgestampf, ein ganzer Reiterhauf'!
Entblößte Säbel, weh'nde Quasten!

Sechs Türken und sechs Amazonen! - Ha,
Sieh' den Piqueur der Reiter! Jenen da!
Den Schnurrbart mit den prallen Schenkeln!
Das ist Baptiste! Sieh', wie den Gaul er hetzt!
Sieh', mit den üpp'gen Reiterinnen jetzt
Beginnt er frisch ein lustig Plänkeln!

Und wer führt die? Doch nicht die Kenebel? -
"Die," sagt man, "hat ein lüsterner Gesell
Beschwatzt, daß sie mit ihm entrinne.
Sei's! bald von selber trifft sie wieder ein!" -
Wer aber mag die Amazone sein? -
"Nun, wer denn anders, als die Hinne?" -

Was, Hinne?....Teufel, doch dieselbe nicht,
Die....Und wie Schuppen fiel's mir vom Gesicht!
'S war Minna Hinne! Landrinette!
Zur prächt'gen Ros' erschloß die Knospe sich;
Das Kind ward Weib, und einer Venus glich
Heut' jenes Tages Amorette!

O, seltsam Treffen nach so langer Zeit!
Damals ein Städtchen tief im Lande - heut'
Die Weltstadt dicht am Meeresstrande!
Elf Jahre, Mädchen, sind seitdem entflohn!
Da strahlst und blühst - ich aber stehe schon
An meiner spät'sten Jugend Rande!

Du hast seitdem geritten und geschwärmt; -
Du Wilde, sprich, hast du dich auch gehärmt?
Hast du gelitten und gejammert?
O, sprich, floh dieses süße Lächeln nie?
Hast du, wie Mignon, eines Meisters Knie,
Stillweinend, niemals denn umklammert? -

Ich? - Einerlei? - Frisch, Mädchen zieh' dein Schwert!
Vorwärts! Laß sausen durch die Bahn dein Pferd!
Laß fliegen seines Schaumes Flocken!
Laß weh'n dein Kleid! laß pochen deine Brust!
Halt! So, nun ordne, deines Siegs bewußt,
Dir lächelnd deine schwarzen Locken!

Mich aber laß, o schöne Reiterin,
Düster und ernst, wie ich es meistens bin,
Verschränkten Armes vor dir stehen!
Elf Jahre flohen - dir, mein Kind, wie mir!
Komm', lasse mich mit trübem Lächeln dir
In dein verzehrend Auge sehen!


  Ferdinand Freiligrath . 1810 - 1876






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