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Ferdinand Freiligrath
Gedichte . 1848



Meerfahrt

Da schwimm ich allein auf dem stillen Meer:
Keine Welle rauscht, es ist eben und glatt.
Auf dem sandigen Grunde prächtig und hehr
Glänzt die alte versunkene Stadt.

In alter verschollener Mährchenzeit
Verstieß ein König sein Töchterlein;
Da lebt' es über den Bergen weit
Im Walde bei sieben Zwergen klein.

Und als es starb durch des Giftes Kraft,
Ihm eingeflößt von der Mutter arg,
Da legt' es die kleine Genossenschaft
In einen krystallenen Sarg.

Da lag es in seinem weißen Kleid,
Bekränzt mit Blumen, duftend und schön;
Da lag es in seiner Lieblichkeit,
Und sie konnten es immer sehn.

So liegst du in deinem Sarg von Krystall,
Du geschmückte Leiche, versunknes Julin!
Der spielenden Fluth durchsichtiger Schwall
Zeigt deiner Palläste Glühn!

Die Thürme ragen düster empor,
Und geben schweigend ihr Trauern kund;
Die Mauer durchbricht das gewölbte Thor,
Es schimmern die Kirchenfenster bunt.

Doch in der schauerlich stillen Pracht
Keines Menschen Tritt, keine Lust, kein Spiel:
Auf Straßen und Märkten ungeschlacht
Treibt sich der Fische Gewühl.

Sie glotzen mit glasigen Augen dumm
In die Fenster und in die Thüren hinein;
Sie sehn die Bewohner schläfrig und stumm
In ihren Häusern von Stein.

Ich will hinunter! ich will erneun
Die versunkne Pracht, die ertrunkne Lust!
Die Zauber des Todes will ich zerstreun
Mit dem Odem meiner lebendigen Brust!

Er füll' aufs Neue zu Kampf und Kauf
Die Säulenhallen, des Marktes Raum!
Ihr Mädchen, schlaget die Augen auf,
Und preiset den langen Traum!

Hinab! - Nicht rudert er fürder! Schlaff
Und reglos sinken ihm Arm und Fuß;
Ueber seinem Haupte schließt sich das Haff;
Er entbietet der Stadt seinen Gruß.

Er lebt in den Häusern der alten Zeit,
Wo die Muschel blitzt, wo der Bernstein glüht.
Unten die alte Herrlichkeit,
Oben ein Fischerlied.


  Ferdinand Freiligrath . 1810 - 1876






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