162 Bücher
|
Ferdinand Freiligrath
Gedichte
. 1848
Odysseus
März 1836.
Sei gegrüßt, o südlich Fahrzeug, sei gegrüßt mir
hoch im Norden!
Bärt'ge Männer, fremd gekleidet, stehn auf deinen hohen Borden.
Und der Sprache, die sie reden, goldgeschriebne Zeichen melden
Ueber den Kajütenluken mir den Namen eines Helden;
Jenes Dulders, welchen lange Sturm und Götterzorn verschlugen,
Bis ihn im Fäakenschiffe heim zuletzt die Wogen trugen.
Bärt'ge Männer, schlanke Rudrer, seid denn ihr auch nicht
Fäaken?
Holz von Corfu dieser Mastbaum! Lein von Scheria dies Laken!
Dieses Segel sah von ferne Neriton's belaubte Gipfel;
Rauschten, waldige Zakynthos, ihm nicht Fahrwind deine Wipfel?
Sahen es, geschaart am Ufer, schimmern nicht die Lotofagen?
Wer, an diesen Mast gebunden, hörte die Sirenen klagen?
Klar in meiner Seele wieder läßt, was ich von jenem alten
Irrenden Odysseus hörte, dieser neue sich gestalten.
Doch nicht will ich in Homeros reiche Welt mich jetzt versenken,
Nicht des Dulders Fahrten folgen, oder etwa dies bedenken:
Wie, da längst der Griechen Schriftthum mir verschließt ein dreifach
Siegel;
Heut ein Griechisch Wort ich wieder las - auf eines Schiffes Spiegel;
Wie mir, ach! das Buch des Wissens dunkel blieb auf vielen Blättern,
Aber wie das Buch des Lebens vor mir liegt mit farb'gen Lettern;
Dies, und was daran sich knüpfet, will ich jetzo nicht erwägen;
Denn die Brigg erschallt von Liedern, und die Flut von Ruderschlägen,
Die mir sagen: mache diesen Inselfürsten dir zum Boten! -
Wohl, Odysseus, sei mein Bote! sei gesandt an einen Todten!
Aber such' ihn nicht, wie Jener, an des Schattenreiches Pforten!
Schrägen Masts vorübersause jenen schauerlichen Orten!
Wo Trinakrias Gestade sich erheben aus der Welle,
Dort, nicht fern von den Kyklopen, ist am Ufer eine Stelle.
Dort, von Blumen leis umflüstert und von immergrünen Zweigen,
Wird ein frisches Grab, Odysseus, deinen Wimpeln bald sich zeigen!
Diesem - hört es, ihr im Tauwerk, braune trotzige Gesichter! -
Diesem gelten meine Grüße: in ihm ruht ein deutscher Dichter!
Ruht ein Dichter, dem, wie Wen'gen, Dichterfeu'r im Herzen brannte.
Wehe, daß mit seinem Volke hadernd, er sich von ihm wandte!
Weh' - doch nein, in deinem Grabe schlummre jetzo du in Frieden!
Seiner Muse letzte Boten, seid ihm Wächter, Abbassiden!
Und ins Klirren eurer Schwerter, Abbas kriegerische Söhne,
Lasset Theokritos Hirten mischen ihrer Flöten Töne!
Daß er süß und ruhig schlumm're, dem dies frühe Grab
geworden!
Dieses ferne! Tief im Süden schwieg, deß Lied erfüllt den
Norden.
Laute Trauer bei der Botschaft hat das Deutsche Land durchzittert.
Einer Aeolsharfe glich es, die ein Windstoß jäh erschüttert.
Und wie sonst auch man gerichtet, Alles jetzt wich diesem Einen:
Seinem Irren zu vergeben, sein Verstummen zu beweinen.
Wüßt' er es! und, o vernähm' er übers Meer auch meine
Klagen!
Fangt sie auf, ihr falt'gen Segel, gen Sicilien sie zu tragen!
Dort am Ufer laßt sie tönen; meldet euch mit leisem Rauschen!
Der Verbannte dem Verbannten; gern wird euch der Todte lauschen!
Bläht euch denn! mir aber meldet, wenn ihr kehrt, vom West
gekräuselt,
Ob, als ew'ge Kron', ein Lorbeer über diesem Grabe säuselt!
Eil', Odysseus! Aufgewunden deine Anker! frisch von hinnen!
Fliege, bis du schimmern stehest Syracusa's goldne Zinnen!
Ferdinand
Freiligrath . 1810 - 1876
|
|