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Ferdinand Freiligrath
Gedichte
. 1848
Sandlieder
1835.
1.
Ich meine nicht den Wüstensand,
Den Tummelplatz des wilden Hirschen;
Die Körner mein' ich, die am Strand
Des Meeres unter mir erknirschen.
Denn jener ist ein weh'nder Fluch,
Der Wüste rastlos irrende Seele.
Er legt, ein brennend Leichentuch,
Sich über Reiter und Kameele.
Der Sand des Meeres ist kühl und frisch,
Und feucht von Furchen und von Gleisen,
Ein allezeit gedeckter Tisch,
Auf dem die Möven Fische speisen.
2.
Vom Meere fährt heran der Wind;
Die Körner wehn, Meergräser schwanken.
Auf flücht'gem Meeressande sind
Unstet und flüchtig die Gedanken.
Wie dieser Sand vor Wind und Fluth
Sich jagt in wirbelnden Gestalten,
So fährt und schweift mein irrer Muth,
Und keine Stätte kann ihn halten.
3.
O, welch ein wunderbarer Grund!
Ich kann sein Treiben nicht verstehen:
Er lässet Schiffe scheitern, und
Er lässet sie vor Anker gehen.
Dem Raben ist er ewig frisch,
Und dürr des Seegewürmes Zungen;
Verschmachten lässet er den Fisch,
Und ätzt die Möv' und ihre Jungen.
Auch hab' ich einen Mann gesehn,
Der wandt' ihm satt und kalt den Rücken;
Ich aber blieb im Sande stehn,
Und baute Schiffe mir und Brücken.
4.
Der Dünen schwach begraster Wall
Behindert landwärts meine Blicke.
Gleichviel! rundspähend auf dem Schwall
Der Wasser, schau ich nicht zurücke.
Ich weiß nicht, daß noch Land besteht.
Die Wellen hier sprühn Schaum und Funken!
Doch Berg und Wald und Wiese - geht!
Das Alles ist im Meer versunken.
Nur dieser schmale gelbe Streif
Ist übrig von der Welt geblieben.
Drauf irr' ich, wie ohn' Stab und Reif
Ein König, welchen man vertrieben.
Ich kann es nicht begreifen, daß
Ich einst durch Wälder bin geschritten,
Daß ich auf Bergesgipfeln saß,
Und über Heiden bin geritten.
Sie ruhn im Meer; im Meere ruht
Mein Lieb', mein Hoffen und mein Sehnen;
Und wie heran jetzt schießt die Fluth,
So schießen mir ins Auge Thränen.
5.
Gleich' ich dem Strome, welcher, tief
In einem Waldgebirg entsprungen,
Durch Länder und durch Reiche lief
Und bis zum Meere vorgedrungen? -
O, thät ich's! - Mann geworden jetzt,
Begrüßt den Braus des Meers der seine
Und doch in ew'ger Jugend netzt
Sein Quell die Wurzeln heil'ger Haine.
6.
Ob meinem Haupte ziehn
Drei Möven, schwer und träg.
Ich schaue nicht empor,
Doch kenn' ich ihren Weg.
Denn auf den Körnern, die
Im Sonnenscheine glühn,
Fließt flügelausgespannt
Ihr schwarzer Schatten hin.
Und eine Feder fällt
Herab, daß diesen Tag
Ich Sand und Mövenflug
Damit beschreiben mag.
Ferdinand
Freiligrath . 1810 - 1876
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