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Ferdinand Freiligrath
Gedichte
. 1848
Das Mädchen von Toro
nach Walter Scott
O, tief auf dem Torosee ruhte verziehend
Die scheidende Sonne mit purpurner Glut;
Leis rauschte der dunkelnde Wald; da lag knieend
Ein Mädchen am Ufer und weint' in die Flut.
"O, süßeste Jungfrau, und ihr, in den Höhen
Des Himmels, ihr Heil'gen, vernehmt meine Noth!
Erhört meine Bitte, gewähret mein Flehen!
Gebt Heinrich mir wieder, sonst gebt mir den Tod!" -
Es tönte herüber vom waldigen Hügel,
Bald stärker, bald schwächer, des Kampfes Gewirr;
Da plötzlich, getragen vom schwellenden Flügel
Des Windes, scholl Schlachtruf und Waffengeklirr.
Sie horchte, sie blickte zur Ferne, sie lauschte;
Es nahte ein Krieger; wie schlug ihr das Herz!
Sein Schritt war so langsam, sein Leben verrauschte;
Sein Helm war gespalten, sein Antlitz sprach Schmerz.
"O, rette dich, Mädchen! geschlagen die Heere!
O, rette dich, todt dein Beschützer, dein Feund!
Dein Heinrich liegt kalt auf zerbrochenem Speere,
Und rasch durch die Waldungen naht sich der Feind!" -
Kaum, stammelnd, vollbracht' er sein schreckliches: "Rette!"
Verzweifelnd vernahm ihn das Mädchen. - Den Lauf
Versenkte die Sonn' in des Torosee's Bette,
Doch ging sie den Beiden wohl nimmermehr auf!
Ferdinand
Freiligrath . 1810 - 1876
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