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Ferdinand Freiligrath
Gedichte
. 1848
Der alte Matrose
nach
Samuel Taylor Toleridge
Ein Romanzencyklus.
Facile credo, plures esse naturas invisibiles quam visibiles in
rerum universitate. Sed horum omnium familiam quis nobis enarrabit?
et gradus et cognationes et discrimina et singulorum munera?
Quid agunt? quae loca habitant? Harum rerum notitiam semper
ambivit ingenium humanum, nunquam attigit. Juvat, interea, non
diffiteor, quandoque in animo, tanquam in tabula, majoris et melioris
mundi imaginem contemplari: ne mens assuefacta hodiernae
vitae minutiis se contrahat nimis, et tota subsidat in pusillas
cogitationes. Sed veritati interea invigilandum est, modusque
servandus, ut certa ab incertis, diem a nocte, distinguamus.
T.
Burnet, Archaeolog. Phil. p. 68.
1.
Einen alten Seemann gibt's, der hält
Von Dreien Einen an.
Was will dein glühend Aug' von mir,
Graubärt'ger alter Mann?
Macht Hochzeit doch der Bräutigam;
Nah sind verwandt wir beide!
Das Fest beginnt; versammelt sind
Die Gäste; ringsum Freude!
Er hält ihn mit der dürren Hand:
War stattlich einst und groß
Ein Schiff - Laß los, du alter Narr!
Stracks ließ die Hand er los.
Er hält ihn mit dem glühen Blick;
Der Hochzeitgast steht stille,
Und horcht ihm wie ein kleines Kind:
So war's des Seemanns Wille.
Setzt sich auf einen Stein der Gast;
Er kann nicht von der Stelle.
Und so begann der alte Mann,
Der graue Schiffsgeselle:
Die Anker hoch! die Barke flog!
Frisch ging es durch die Bai,
Vorbei die Kirch', vorbei den Berg,
Den Feuerthurm vorbei.
Die Sonn' erhob sich aus der See;
Zur Linken ging sie auf.
Und sie schien hell, senkt' in die Well'
Zur Rechten dann den Lauf.
Und höher, höher jeden Tag,
Bis Mittags überm Mast -
Da tönt von Ferne das Fagott:
Vom Sitz fährt auf der Gast.
Die Braut betritt den Hochzeitsaal!
Der Rose gleich glüht sie;
Und vor ihr geh'n mit nickendem Haupt
Die lust'gen Musici.
Der Hochzeitgast fährt auf in Hast,
Er kann nicht von der Stelle;
Und so sprach dann der alte Mann,
Der graue Schiffsgeselle:
Da kam der Sturmwind; der war stark,
Und groß war seine Wuth.
Und seine Schwingen trieben uns
Fern nach des Südens Flut.
Das Bugspriet tief, die Masten schief,
Wie wer, verfolgt, mit raschem Schritt
Noch seines Feindes Schatten tritt,
Mit vorgebeugtem Haupt:
So auf gut Glück stürmte die Brick
Südwärts, vom Nord umschnaubt.
Und Schnee und Nebel kamen jetzt,
Die haben's kalt gemacht,
Und mastenhoch vorüberzog
Eis, grünlich, wie Smaragd.
Und trüben Schein durchs Eis herein
Warf eine schnee'ge Spalte:
Nichts sahen wir, nicht Mensch noch Thier -
Die Treibeismauer hallte.
Das Eis war hier, das Eis war dort,
Das Eis war überall;
Es thürmte sich, und fürchterlich
Dröhnt' übers Meer sein Schall.
Doch endlich schoß ein Albatros
Durch den Nebel und den Regen;
Als wär's 'ne Christenseel', so tönt
Ihm unser Gruß entgegen.
Der Vogel fraß aus unsrer Hand,
Flog auf dem Deck umher:
Das Eis zerbrach mit dumpfem Krach:
Wir sind auf offnem Meer!
Und ein guter Südwind thut sich auf;
Hoch folgt uns durch die Luft
Der Vogel treu, und schwebt herbei,
Wenn der Matrose ruft.
Auf Tau und Mast, da hält er Rast
Der wolk'gen Nächte neun:
Und alle Nacht durch Nebel lacht
Des Mondes weißer Schein. -
Vor bösen Geistern schütz' dich Gott,
Du alter Schiffsgenoß!
Was stierst du? - mit der Armbrust mein
Schoß ich den Albatros!
2.
Die Sonn' erhob sich aus der See,
Ging nun zur Rechten auf.
Von Nebeln noch verschleiert, senkt
Sie links ins Meer den Lauf.
Und der gute Südwind blieb am Wehn;
Doch nicht folgt durch die Luft
Der Vogel treu, und schwebt herbei,
Wenn der Matrose ruft.
Ich hatt' ein übel Ding gethan;
Das brachte nimmer Segen.
Sie sagten: kühn erschlugst du ihn,
Der sich den Süd ließ regen!
Sie alle sprechen: welch ein Verbrechen,
Der sich den Süd ließ regen!
Herrlich, wie Gottes eignes Haupt,
Ging auf die Sonn' und lachte!
Sie sagten: kühn erschlugst du ihn,
Der uns den Nebel brachte!
Den Vogel traf gerechte Straf',
Der uns den Nebel brachte.
Der Wind bläs't gut, weiß schäumt die Flut;
Wir furchen rasch die Wogen.
Wir waren sicher die ersten Schiffer,
Die diese See durchzogen.
Der Wind läßt nach! rings hangen schlaff
Die Segel an den Raa'n;
Nur sprechen Alle, daß Etwas schalle
Doch auf dem Ocean.
Am heißen Kupferfirmament,
Hoch überm Maste, thront
Die blut'ge Sonn' zur Mittagszeit,
Nicht größer, als der Mond.
Wir lagen Tage, Tage lang;
Kein Lüftchen rings umher!
Wie ein gemaltes Schiff so träg,
Auf einem gemalten Meer.
Wasser, Wasser überall!
Doch jede Fuge klafft;
Wasser, Wasser überall!
Nur was zu trinken schafft!
Die Tiefe selbst verfaulte. - Gott
Im Himmel, gib uns Muth!
Schlammthiere krabbeln zahllos rings
Auf schlamm'ger Moderflut.
Und jede Nacht sahn wirbelnd wir
Die Todtenfeuer glühn;
Wie Hexenöl, so flackerte
Die Flut blau, weiß und grün.
Und Manchem sagt' im Traum der Geist,
Der uns gesandt solch Weh:
Neun Faden tief verfolgt' er uns
Von jenes Landes Schnee.
Und jede Zunge war verdorrt,
War trocken bis zum Schlunde;
Wir konnten All' nicht sprechen, grad'
Als wär uns Ruß im Munde.
Und Alt und Jung mit finsterm Blick
Kam auf mich zugegangen;
Den Albatros, den ich erschoß,
Hat man mir umgehangen.
3.
Und lange Zeit verfloß. Verdorrt
War jeder Gaum. Wie Glas
Die Augen! Lange, lange Zeit!
Die Augen all', wie Glas!
Da blickt' ich seitwärts - schau! da sah
Am Horizont ich 'was!
Zuerst war es ein kleiner Fleck;
Der ward zum Nebel bald,
Und regte und bewegte sich,
Und wurde zur Gestalt.
Ein Fleck, ein Nebel, dann Gestalt,
Und näher kommt es stets;
Als neckt' es einen Wassergeist,
So schießt es und so dreht's.
Mit trocknem Gaum, die Lippen kaum
Noch roth, stehn wir; kein Laut
Erschallt - sind stumm; hin ist der Muth!
Da biß den Arm ich, saugte Blut,
Und rief: ein Segel! schaut!
Mit trocknem Gaum, die Lippen kaum
Noch roth, sehn sie mein Winken;
Vor Freude weinte Groß und Klein,
Und Alles zog den Athem ein,
Als ob sie wollten trinken.
Seht! rief ich, seht! es dreht nicht mehr!
Es naht uns, bringt uns Heil!
Und ohne Flut und ohne Wind
Schwimmt's auf uns zu in Eil'.
Des Westens Flut war Eine Glut;
Der Tag war bald verronnen!
Und sinkend ruht auf Westens Flut
Das breite Rund der Sonnen;
Und die Gestalt stellt zwischen uns
Sich und das Rund der Sonnen.
Und schwarze Streifen treten stracks
Vor des Oceans goldne Braut;
Und glüh'nd, wie durch ein Kerkerthor,
Ihr brennend Antlitz schaut.
Ach, dacht' ich, und mein Herz schlug laut,
Denn näher kam es immer;
Das seine Segel, blitzend hell,
Wie Mettenfädenschimmer?
Das seine Rippen, so die Sonn'
Durchscheint so feuerroth?
Und ist nur jenes Weib am Bord?
Ist das ein Tod? sind zweie dort?
Ist ihr Gemahl der Tod?
Roth ist ihr Mund; frei her sie schaut;
Ihr Haupthaar golden wallt;
Weiß ist, wie Aussatz, ihre Haut;
Die Nachtmahr ist's, die Todtenbraut,
Macht Menschenblut so kalt!
Der Schiffsrumpf kommt, legt Bord an Bord;
Da würfelten die Zwei;
Der Würfel fiel! Gewonnen Spiel!
Spricht sie, und pfeift dabei.
Die Sonne sinkt, die Sterne glühn,
Die Nacht kommt stracks heran;
Mit leisem Flüstern übers Meer
Schießt fort der Geisterkahn.
Wir horchen, sehn ihn seitwärts fliehn;
Die Furcht aus meinem Herzen schien
Das Lebensblut zu trinken.
Die Nacht dick, trüb der Sterne Kreis;
Des Steurers Antlitz stier und weiß
Bei seiner Lamp'; - es sinken
Vom Segel Tropfen Thaues; fern
Im Osten steht der Mond; ein Stern
Schimmernd zu seiner Linken.
Und Alle, bei des Mondes Schein,
Mit stierem, gräßlichem Blick,
Sehn grinsend mich und klagend an:
Mir flucht ihr Schmerzensblick!
Viermal fünfzig Menschen wohl,
Sie sinken leblos nieder.
Sie stöhnen nicht, sie seufzen nicht;
Auf stehn sie nimmer wieder.
Die Seelen fliehn der Leiber Haft;
Glück harrt auf sie und Grausen;
Und jede mir vorüberschwirrt,
Wie meiner Armbrust Sausen.
4.
Ich fürcht' dich alter Schiffsgesell!
Fürcht' deine dürre Hand;
Und du bist lang, und schlank, und braun,
Wie des Meers gerippter Sand!
Ich fürcht' dich und dein glühes Aug'!
Ich fürchte dich so sehr! -
Fürcht' nicht, fürcht' nicht, du Hochzeitgast!
Ich starb nicht auf dem Meer!
Allein, allein, und ganz allein
Auf weiter, weiter See!
Nicht lindert meine Todesangst
Ein Heil'ger in der Höh'!
So viele Menschen, schön und stark!
Und keiner rührte sich:
Und tausend Thier' im Moderschlamm,
Sie lebten; und auch ich!
Ich blickte auf die faule See,
Und wandte die Augen fort!
Ich blickte auf das faule Deck:
Die Todten lagen dort!
Ich blick' empor, will beten dann;
Doch meiner Lipp' mit Stocken
Entfließt nur gottlos Flüstern, macht
Mein Herz wie Staub so trocken.
Ich schließ' das Aug'; gleich Pulsen pocht
Des Auges Stern beim Schließen;
Des Himmels Höh', die blaue See
Thun lastend meinen Augen weh,
Und die Todten mir zu Füßen!
Auf ihren Gliedern kalter Schweiß;
Nicht faul ward ihr Gebein.
Und immer sah ihr Aug' mich an
Mit geisterhaftem Schein.
Zur Hölle schleppen kann der Fluch,
Den eine Waise spricht;
Doch schreckenvoller ist der Fluch
Auf Todter Angesicht;
Ich sah ihn sieben Tage lang,
Doch sterben konnt' ich nicht.
Und wiederum ging auf der Mond,
Zur Seit' ihm wen'ge Sterne;
Er schwebte klar und mildiglich
Durch die blaue Himmelsferne.
Sein Strahl beschien die schwüle Flut,
Als ob sie Reif bedeckte;
Doch, wo des Schiffes Schatten lag,
Da, vor wie nach, so Nacht, wie Tag,
Die rothe Flamme leckte.
Und in des Schiffes Schatten sah
Ich große Wasserschlangen;
Sie schlängeln sich in weißer Spur;
Wenn sie sich bäumen, sind sie nur
Mit flockigem Feu'r umhangen.
Und in des Schiffes Schatten gern
Sah ich ihr blitzend Fell;
Wie Sammet schwarz, und blau, und grün;
Sie schwimmen her, sie schwimmen hin,
Die Spur, wie Gold so hell.
O, glücklich ihr! wie schön ihr seid,
Sagt eine Zunge nie!
Und Liebe quoll im Busen mir,
Und glücklich pries ich sie;
Mein Heiliger erbarmte sich,
Und glücklich pries ich sie;
Zur Stunde konnt' ich beten dann!
Von meinem Halse frei
Fiel da der Albatros, und sank
Ins Meer, so schwer, wie Blei.
5.
O Schlaf, du bist so süß, so süß!
Geliebt von Pol zu Pol!
Maria! Dir sei Preis und Dank,
Daß Schlaf auf meine Wimpern sank!
Du gabst ihn mir ja wohl!
Mir träumte: alle Eimer rings
Auf des Verdeckes Feld,
Sie wären kühlen Thaues voll.
Wach werd' ich! - Regen fällt!
Die Lippen naß, der Gaumen naß,
Die Kleider - wahr ist's doch!
Im Traume trank ich sicherlich,
Und trinke, trinke noch.
Ich geh' und fühl' die Glieder kaum,
Heb' mich so leicht empor!
Bin ich im Schlaf gestorben denn,
Und in der Sel'gen Chor?
Und einen Wind drauf hört' ich wehn,
Doch ferne blieb sein Brausen;
Die Raa'n und Taue regen sich,
Die dürren Segel sausen.
Lebendig wird die obere Luft,
Und Feuerflaggen zischen.
Sie zischen auf und ab, voll Graus,
Und aus und ein, und ein und aus:
Die Sterne glüh'n dazwischen.
Und näher drauf erbraus't der Wind;
Wie Binsen seufzen welk
Die Segel; Regen strömt herab
Aus donnerndem Gewölk.
Geborsten klafft's mit weitem Spalt
Des Mondes finstrer Sitz;
Und wie ein Fluß in Thales Schooß
Vom Felsen stürzt, fällt zackenlos,
Ein Glutstrom, Blitz auf Blitz.
Nicht kommt der laute Wind ans Schiff;
Doch vorwärts geht es immer;
Die todten Menschen stöhnen dumpf
Bei des Blitzes fahlem Schimmer.
Sie stöhnen, regen, heben sich,
Doch blicken, reden nicht!
Wie seltsam, Todte leben seh'n,
Selbst wär's ein Traumgesicht!
Und weiter zieht das Schiff, bewegt
Von keines Windes Kraft;
Die Mannschaft klimmt im Takelwerk,
Treibt, was sie sonst geschafft.
Sie regen, gleich Maschinen, sich;
O, schrecklich, schauderhaft!
Der Leib von meines Bruders Sohn,
Knie an Knie, stand neben mir dort;
Wir zogen beid' an Einem Seil,
Doch sagt' er mir kein Wort. -
Ich fürcht' dich, alter Schiffsgesell!
Gast, ruhig immerdar!
Denn nicht Verdammter Seele nahm
Den Körper wieder ein; nur kam
Beglückter Geister Schaar!
Beim Morgengrau'n sinkt schlaff ihr Arm;
Den Mast umringen sie;
Und von der Todten Lippen süß
Tönt Himmelsmelodie.
Die Töne ziehn zur Sonn' empor,
Die licht im Osten flammt;
Dann kehren langsam sie zurück,
Bald einzeln, bald gesammt.
Bald war es mir, als zwitscherte
Die Lerche auf dem Meer;
Dann glaubt' ich, alle Vögelein,
Die es nur gibt, so groß wie klein,
Sie sängen rings umher.
Jetzt klingt es süß, wie Flötenlaut,
Jetzt, wie Orchesterrauschen;
Jetzt ist es eines Engels Lied,
Dem selbst die Himmel lauschen.
Es schweigt; doch tönt das Segelwerk
Bis Mittag säuselnd nach;
Wie in dem laub'gen Junimond
Ein grasversteckter Bach,
Der die ganze Nacht dem schlafenden Wald
Ein Lied singt, selbst noch wach.
Und ruhig segelte das Schiff -
Kein Lüftchen trieb's im Lauf -
Bis Mittag, denn getrieben ward's,
Bewegt von unten auf.
Neun Faden tief wohl unterm Kiel
Vom Schnee- und Nebelland
Folgt uns der Geist, und treibt das Schiff
Mit unsichtbarer Hand;
Das Schiff steht still; bis Mittag nur
Säuselt die Leinewand.
Die Sonne, lothrecht überm Mast,
Schaut meerwärts ohne Regung;
Doch plötzlich rührt und regt sie sich
Mit zitternder Bewegung;
Schießt vorwärts, rückwärts unruhvoll
Mit zitternder Bewegung.
Dann plötzlich, wie ein scheuend Roß,
Prallt sie zur Seite wieder!
Das Blut schoß mir ins Angesicht;
In Ohnmacht sank ich nieder.
Ich weiß es nicht, wie lang ich dort
Gelegen ohne Leben;
Doch, als noch Dunkel mich umzog,
Da hört' ich in den Lüften hoch
Zwei Stimmen sich erheben.
Sagt eine: Sprich, bei Christi Blut,
Ist dies der Schiffsgenoß?
Harmlosen Vogels Herzblut trank
Sein grausam Pfeilgeschoß.
Der Geist in Schnee- und Nebelland
War hold dem Albatros,
Und auch der Vogel liebte den,
Der grausam ihn erschoß.
Die andre Stimm' ist sanft und süß;
Wie Honigthau so süß;
Sie spricht: der Mann that Buße schon,
Und büßt noch mehr gewiß!
6.
Erste Stimme.
Doch nun sprich weiter! rede fort,
Daß deine Stimm' ich hör'!
Wer treibt gen Norden jenes Schiff?
Was macht das blaue Meer?
Zweite Stimme.
Noch wie ein Sklav' vor seinem Herrn
Liegt still der Ocean;
Mit seinem großen Auge steht
Schweigend den Mond er an -
Ob er auch wisse, wohin er fließe;
Das Meer ja lenkt er immer!
Sieh', Bruder! sieh' doch, wie das Meer
So milde grüßt sein Schimmer!
Erste Stimme.
Doch wie eilt ohne Flut und Wind
Das Schiff durchs blaue Meer?
Zweite Stimme.
Die Lüfte schließen sich hinter ihm,
Sind vor ihm nimmermehr!
Fleuch, Bruder! kommen sonst zu spät!
Fleuch, höher, höher, Lieber!
Nur träg zum Ziel schwimmt jener Kiel,
Wenn des Seemanns Traum vorüber!
Ich wurde wach; wir segelten;
Nichts hemmte des Schiffes Lauf,
Die Nacht war still, der Mond stand hoch,
Die Todten standen zuhauf.
Die lägen besser auch im Sarg,
Umstehn mich allzumal,
Und sehn mit glas'gem Aug' mich an;
Drin blitzt des Mondes Strahl.
Der Fluch, mit dem sie starben, zuckt
Noch auf dem Angesicht;
Mein Auge sah das ihre an,
Doch beten konnt' ich nicht.
Und wieder schaut' ich hin aufs Meer,
Auf seine Flut, so grün;
Und spähete, doch sah ich Nichts,
Als was ich sah vorhin.
Ich stand, wie Einer, dem im Wald
Auf dunklem Pfade graut;
Der immer, immer vorwärts eilt,
Und nimmer rückwärts schaut;
Er weiß, ein Feind ist hinter ihm;
Sein Herz schlägt bang und laut.
Da rauschte Windeswehn mich an;
Es wehte leise her;
Ich wußte nicht, woher es kam,
Nicht kräuselt' es das Meer.
Es hob mein Haar; wie Lenzeshauch
Umspielt' es meine Wangen.
Mir war so bang; doch kühlt' es mich,
Als wollt's mich froh empfangen.
Schnell wohl, schnell wohl flog das Schiff,
Und doch so sanft, so leicht!
Leise, leise blies der Wind -
Nur mich sein Weh'n erreicht.
O Freudentraum! ist dies fürwahr
Des Leuchtthurms graue Wand?
Ist dies die Kirch', ist dies der Berg?
Ist dies mein Heimathland?
Und schluchzend fleht' ich, als wir nun
Durchsegelten den Hafen;
O, laß mich bald erwachen, Gott!
Sonst laß mich immer schlafen!
Hell war, wie Glas, des Hafens Bucht,
Und klar die Flut des glatten;
Und auf der Bucht lag Mondenschein,
Und auch des Mondes Schatten.
Der Fels schien hell, die Kirche hell,
Die sich auf ihm erhebt;
Der Mond beschien den Wetterhahn,
Der auf der Kirche schwebt.
Ein schweigend Licht umfloß die Bucht;
Da hoben sich Gestalten!
Es waren Schatten allzumal;
Roth ihre Kleider wallten.
Nicht fern von Gallione war's,
Wo ich die Schatten sah;
Da schaut' ich wieder aufs Verdeck -
O Gott, was sah ich da!
Am Boden flach lag jeder Leib,
Und, bei des Kreuzes Zeichen!
Hellleuchtend standen Seraphim
Rings auf den blassen Leichen.
Sie winken mir wohl für und für;
O, himmlisches Gesicht!
Sie leuchten weit aufs Ufer hin,
Umstrahlt von süßem Licht.
Sie winken mir wohl für und für;
Sie sprechen nicht - o Lust!
Ihr Schweigen sinkt wie Melodie
Mir in die wunde Brust.
Und bald vernehm ich Ruderschlag;
Horch, des Piloten Gruß!
Von selber wendet sich mein Haupt -
Ein Boot an Schiffes Fuß!
Der Lootse und des Lootsen Sohn,
Sie rühren sich im Boote;
Gott! welche Freude! großer Gott!
Die stören doch nicht Todte!
Ein Dritter noch: der Siedler ist's!
Horch, seine Stimme schallt!
Laut singt er seinen Lobgesang,
Den er gemacht im Wald.
Des Vogels rothes Blut wäscht er
Von meinen Händen bald.
7.
Der Siedler lebt im grünen Wald,
Im Walde dort am Meer.
Mit lauter Stimme lobt den Herrn
Sein Mund; mit Schiffern spricht er gern,
Die ferne kommen her.
Auf hartem Kissen kniet er Nachts,
Am Mittag und am Morgen;
Das Kissen ist ein Eichenstumpf,
Der ganz in Moos verborgen.
Das Boot kommt nah; sie sprechen laut:
Beim Himmel, wunderbar!
Wo ist der Feuerzeichen Glut,
Die hell hier leuchtend war?
Der Siedler sagte: seltsam, traun!
Nicht tönt mit frohem Schall
Ihr Gruß zurück; die Planken dürr,
Und dürr die Segel all;
Sie scheinen Laubgerippen gleich,
Die an des Bergstroms Fall
Runzlich um meine Klause weh'n,
Wenn der Sturm am Brausen ist;
Wenn unter'm Schnee die Waldung ächzt,
Wenn die Eul' zu des Wolfes Heulen krächzt,
Der der Wölfin Junge frißt.
Der Lootse sagte: wie das Schiff
So schrecklich uns ansieht!
Ich fürchte mich! - Frisch, rudre zu!
Sprach froh der Eremit.
Und näher, näher kam das Boot;
Still war ich, sprach kein Wort.
Das Boot kam dicht ans Schiff heran -
Da, welch ein Ton schallt dort!
Unter dem Wasser rollt es dumpf;
Donnernd durchzieht's die Bai;
Es kommt ans Schiff, es spaltet die Bucht;
Das Schiff geht unter wie Blei.
Vom fürchterlichen Schall betäubt,
Dem Erd' und Himmel krachen,
Trieb schwimmend auf den Wellen ich,
Starr, zwischen Schlaf und Wachen;
Drauf, wie im Traume, fand ich mich
In des Piloten Nachen.
Und auf dem Strudel, wo das Schiff
Versank, kreis't ungestüm
Das Boot; verklungen ist der Ton;
Der Berg nur spricht von ihm.
Die Lippen rührt' ich; der Pilot
Schrie auf, und sank zurück;
Der fromme Siedler betete,
Und hub empor den Blick.
Ich ruderte; des Lootsen Sohn -
Noch wandelt er im Wahn
Des Irrseins - lachte, sah mich stier
Mit wilden Augen an;
Ha, ha! sprach er, nun seh' ich, wie
Der Teufel rudern kann!
Und jetzt in meinem Heimathland
Betret' ich Strandes Höh'n;
Der Siedler aus dem Nachen steigt,
Kann kaum noch aufrecht steh'n.
Entsünd'ge mich! entsünd'ge mich!
Trat ich den Siedler an;
Der schlug des Kreuzes Zeichen erst;
Was bist du für ein Mann?
Da bebte Angst durch mein Gebein,
Angst, fürchterlich und groß;
Was mir begegnet, sagt' ich ihm,
Da ließ die Angst mich los.
Und oft noch kehrt seit jener Zeit
Zurück die Angst, der Schmerz;
Eh' ich das Gräßliche gesagt,
Brennt in der Brust mein Herz.
Und wie die finstre schwarze Nacht
Eil' ich landaus, landein;
Und am Gesicht kenn' ich den Mann,
Der meine Mähr' vernehmen kann;
Er muß mein Hörer sein.
Welch ein Tumult erhebt sich dort?
Die Gäste sind dort all'!
Und, horch! im Garten singt die Braut
Und ihre Mädchen all'!
Und, wieder horch! zum Beten ruft
Der Abendglocke Schall!
O Hochzeitgast, ich war allein
Auf weiter, weiter See!
So einsam war's, ich fühlte kaum
Des guten Gottes Näh'!
Und süßer, glaub', als Hochzeit ist's,
Kann besser mir gefallen,
Kann ich an guter Leute Hand
Zu Gottes Kirche wallen!
Kann ich zu Gottes Kirche geh'n
Zum brünstigen Gebet;
Wo Alles, Kind, und Mann, und Greis,
Wo Jüngling, Mädchen, Ihm zum Preis,
Zu Ihm, dem Vater, fleht.
Leb' wohl, leb' wohl, du Hochzeitgast!
Doch dieses sag' ich dir:
Der betet gut, wer Liebe hegt
Für Vogel, Mensch und Thier!
Der betet gut, wer Liebe hegt
Für Alle, groß und klein;
Gott, der uns schuf, der liebt uns All
Will Allen Vater sein.
Der Seemann mit dem grauen Bart
Und mit dem hellen Blick,
Er geht; und auch der Hochzeitgast
Kehrt ernst nach Haus zurück.
Er ging, wie ein Betäubter geht,
Als drückten schwere Sorgen
Sein Herz, und weiser, trauriger
Erhob er sich am Morgen.
Ferdinand
Freiligrath . 1810 - 1876
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