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Ferdinand Freiligrath
Gedichte
. 1848
Nisa
nach Auguste Barbier
Stolz ragt ein Fichtenbaum; und drunter, lau von Fluten,
Empfängt den frischen Quell ein Becken, das die Gluten
Des Sonnenstrahls nicht kennt.
Dort, seit das Morgenroth der Fichte Stamm beschienen,
Hing ihre Tunika nachlässig auf im Grünen
Ein Kind von Agrigent.
Sie ruht und wiegt sich dort, nackt wie sie trat in's Leben!
Das einz'ge Frühgewand, von dem ihr Leib umgeben,
Des Wassers dünner Flor!
Sie ruht auf Moose dort und auf dem feinen Sande,
Wie eine Nymphe schier, die, ledig der Gewande,
Emportaucht aus dem Rohr.
Warum auch flöhe sie, ein Kind von vierzehn Lenzen,
Dem roth die Lippe schwillt, dem blau die Augen glänzen,
Und dessen Zähne Schmelz?
Nach ihrer Mutter Kuß, nach Tanz und Blumenpflücken,
Was könnte Nisa wohl, die Kleine, mehr beglücken,
Als Baden im Gehölz?
Sie schaukelt üppig sich; der Wind des Morgens kühlt sie;
Sie denkt an's Wasser nur, und mit dem Wasser spielt sie;
Mit ihren Händchen schlägt
Und fältelt sie die Flut in tausendfacher Weise,
Wie Abends oft der West in ihrer Schwestern Kreise
Ihr Kleid in Falten legt.
Bald müht sie schäckernd sich, die Schwalben zu ergreifen,
Die den Krystall des Borns mit braunem Flügel streifen,
Und hurtig dann entfliehn.
Bald läßt ein schwimmendes Ameischen sie entrinnen,
Läßt es den Rasensaum des Quellbassins gewinnen,
Und heißt es fürder ziehn.
Jetzt einer Rose Kelch entblättert sie mit Lachen;
Die Quelle wird ein Meer, das duft'ge Blätternachen
Befahren, Bord an Bord.
Da haucht ihr Mündchen Sturm; die Schiffe wehn zur Küste;
Nur wen'ge retten sich an ihre jungen Brüste,
Gleichwie in einen Port.
Dann lauscht sie still und ernst auf das melod'sche Fliegen
Der Biene, die sich dreist auf ihren Honigzügen
An ihr vorüber schwingt;
Und dann dem Frühgesang, dem lieblichen, der Grille,
Der Kleinen, deren Lied durch des Gehölzes Stille
Wie Lied des Himmels klingt.
Dann endlich schläft sie ein! - Auf ihren Armen liegend,
Ruht aus ihr lockig Haupt! - Halb schwimmend und halb fliegend
Entrollt die blonde Flut!
Dem Schwane gleicht sie so, den, unter'm Schilf verborgen,
Ein Mädchen schlummern sieht, wenn er am frühen Morgen
In seinen Federn ruht.
Auf einmal fährt sie auf! - Ein Rascheln und ein Rauschen! -
Ist es ein Menschenfuß? - Sie lauscht mit bangem Lauschen;
Ihr Köpfchen sinkt aufs Knie.
Roth wird sie, wie die Frucht des welschen Maulbeerbaumes;
Sie biegt zusammen sich, und in des Wellenschaumes
Gekräusel zittert sie.
Doch bald verstummt der Lärm; und Nisa, noch erschrocken,
Wagt es, hervorzuspähn aus ihren dichten Locken
Mit feuchtem Augenlied;
Da plötzlich lacht sie auf: - langbärtig aus den Zweigen
Schaut eines Geisbocks Haupt herab mit ernstem Neigen,
Sieht an sie und entflieht.
Ferdinand
Freiligrath . 1810 - 1876
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