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Johann Wolfgang von Goethe
Gedichte . 1825



An Lottchen

Mitten im Getümmel mancher Freuden,
Mancher Sorgen, mancher Herzensnoth,
Denk' ich dein, o Lottchen, denken dein die Beiden,
Wie beim stillen Abendroth
Du die Hand uns freundlich reichtest,
Da du uns auf reich bebauter Flur,
In dem Schooße herrlicher Natur,
Manche leicht verhüllte Spur
Einer lieben Seele zeigtest.

Wohl ist mir's, daß ich dich nicht verkannt,
Daß ich gleich dich in der ersten Stunde,
Ganz den Herzensausdruck in dem Munde,
Dich ein wahres gutes Kind genannt.

Still und eng und ruhig auferzogen,
Wirft man uns auf einmal in die Welt;
Uns umspülen hunderttausend Wogen,
Alles reizt uns, Mancherlei gefällt,
Mancherlei verdrießt uns, und von Stund' zu Stunden
Schwankt das leichtunruhige Gefühl;
Wir empfinden, und was wir empfunden,
Spült hinweg das bunte Weltgewühl.

Wohl, ich weiß es, da durchschleicht uns innen
Manche Hoffnung, mancher Schmerz.
Lottchen, wer kennt unsre Sinnen?
Lottchen, wer kennt unser Herz?
Ach! es möchte gern gekannt seyn, überfließen
In das Mitempfinden einer Kreatur,
Und vertrauend zwiefach neu genießen
Alles Leid und Freude der Natur.

Und da sucht das Aug' oft so vergebens
Rings umher, und findet Alles zu;
So vertaumelt sich der schönste Theil des Lebens
Ohne Sturm und ohne Ruh;
Und zu deinem ew'gen Unbehagen
Stößt dich heute, was dich gestern zog.
Kannst du zu der Welt nur Neigung tragen,
Die so oft dich trog,
Und bei deinem Weh, bei deinem Glücke,
Blieb in eigenwill'ger starrer Ruh?
Sieh, da tritt der Geist in sich zurücke,
Und das Herz - es schließt sich zu.

So fand ich dich und ging dir frei entgegen.
O ist sie werth zu seyn geliebt!
Rief' ich, erflehte dir des Himmels reinsten Segen,
Den er dir nun in deiner Freundin gibt.


  Johann Wolfgang von Goethe . 1749 - 1832






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An Lottchen, Johann Wolfgang von Goethe