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Johann Wolfgang von Goethe
Gedichte . 1825



Künstlers Fug und Recht

Ein frommer Maler mit vielem Fleiß
Hatte manchmal gewonnen den Preis,
Und manchmal ließ er's auch geschehn,
Daß er einem Bessern nach mußt' stehn;
Hatte seine Tafeln fortgemalt,
Wie man sie lobt, wie man sie bezahlt.
Da kamen einige gut hinaus;
Man baut ihn'n sogar ein Heiligenhaus.

Nun fand er Gelegenheit einmal,
Zu malen eine Wand im Saal;
Mit emsigen Zügen er staffirt,
Was öfters in der Welt passirt;
Zog seinen Umriß leicht und klar,
Man konnte sehn, was gemeint da war.
Mit wenig Farben er colorirt,
Doch so, daß er das Aug frappirt.
Er glaubt es für den Platz gerecht
Und nicht zu gut und nicht zu schlecht,
Daß es versammelte Herr'n und Frau'n
Möchten einmal mit Lust beschaun;
Zugleich er auch noch wünscht' und wollt'.
Daß man dabei was denken sollt'.

Als nun die Arbeit fertig war,
Da trat herein manch Freundespaar,
Das unsers Künstlers Werke liebt,
Und darum desto mehr betrübt,
Daß an der losen, leidigen Wand
Nicht auch ein Götterbildniß stand.
Die setzten ihn sogleich zur Red',
Warum er so was malen thät,
Da doch der Saal und seine Wänd'
Gehörten nur für Narrenhänd';
Er sollte sich nicht lassen verführen
Und nun auch Bänk und Tische beschmieren;
Er sollte bei seinen Tafeln bleiben
Und hübsch mit seinem Pinsel schreiben;
Und sagten ihm von dieser Art
Noch viel Verbindlichs in den Bart.

Er sprach darauf bescheidentlich:
Eure gute Meinung beschämet mich.
Es freut mich mehr nichts auf der Welt
Als wenn euch je mein Werk gefällt.
Da aber aus eigenem Beruf
Gott der Herr allerlei Thier' erschuf,
Daß auch sogar das wüste Schwein,
Kröten und Schlangen vom Herren seyn,
Und er auch manches nur ebauchirt,
Und gerade nicht alles ausgeführt,
(Wie man den Menschen denn selbst nicht scharf
Und nur en gros betrachten darf:)
So hab' ich als ein armer Knecht
Vom sündlich menschlichen Geschlecht,
Von Jugend auf allerlei Lust gespürt
Und mich in Allerlei exercirt,
Und so durch Uebung und durch Glück
Gelang mir, sagt ihr, manches Stück.
Nun dächt' ich, nach vielem Rennen und Laufen
Dürft' einer auch einmal verschnaufen,
Ohne daß jeder gleich, der wohl ihm wollt',
Ihn 'nen faulen Bengel heißen sollt'.

Drum ist mein Wort zu dieser Frist
Wie's allezeit gewesen ist:
Mit keiner Arbeit hab' ich geprahlt
Und was ich gemalt hab', hab' ich gemalt.


  Johann Wolfgang von Goethe . 1749 - 1832






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