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Johann Wolfgang von Goethe
Gedichte
. 1825
Parabel
In
einer Stadt, wo Parität
Noch in der alten Ordnung steht,
Da, wo sich nämlich Catholiken
Und Protestanten in einander schicken,
Und, wie's von Vätern war erprobt,
Jeder Gott auf seine Weise lobt;
Da lebten wir Kinder Lutheraner
Von etwas Predigt und Gesang,
Waren aber dem Kling und Klang
Der Catholiken nur zugethaner:
Denn alles war doch gar zu schön,
Bunter und lustiger anzusehn.
Dieweil nun Affe, Mensch und Kind
Zur Nachahmung geboren sind,
Erfanden wir, die Zeit zu kürzen,
Ein auserles'nes Pfaffenspiel:
Zum Chorrock, der uns wohlgefiel,
Gaben die Schwestern ihre Schürzen;
Handtücher, mit Wirkwerk schön verziert,
Wurden zur Stola travestirt;
Die Mütze mußte den Bischof zieren,
Von Goldpapier mit vielen Thieren.
So zogen wir nun im Ornat
Durch Haus und Garten, früh und spat,
Und wiederholten ohne Schonen
Die sämmtlichen heiligen Functionen;
Doch fehlte noch das beste Stück.
Wir wußten wohl, ein prächtig Läuten
Habe hier am meisten zu bedeuten;
Und nun begünstigt' uns das Glück:
Denn auf dem Boden hing ein Strick.
Wir sind entzückt, und wie wir diesen
Zum Glockenstrang sogleich erkiesen,
Ruht er nicht einen Augenblick:
Denn wechselnd eilten wir Geschwister,
Einer ward um den andern Küster,
Ein Jedes drängte sich hinzu.
Das ging nun allerliebst von statten,
Und weil wir keine Glocken hatten,
So sangen wir Bum Baum dazu.
Vergessen, wie die ältste Sage,
War der unschuld'ge Kinder-Scherz;
Doch g'rade diese letzten Tage
Fiel er mit einmal mir auf's Herz:
Da sind sie ja, nach allen Stücken,
Die neupoetischen Catholiken!
Johann
Wolfgang von Goethe . 1749 - 1832
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