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Franz Grillparzer
Gedichte
. 1872
Das Spiegelbild
Ich lag im grünen Laubgezelt,
Die Stirn in heißer Hand,
Verbaut von Zweigen Flur und Feld,
An eines Brunnens Rand.
Und als ich, so am Rand gelegt,
Mein Bild im Quell gewahrt',
Fühlt' ich mich wunderbar bewegt,
Vergaß des Wassers Art,
Und rief: So hegest du mein Bild,
Du Bächlein, still und rein,
Des Herzens Sehnen, ungestillt,
Soll d'rum dein eigen sein.
An deinem Ufer will ich ruhn,
Will mir ein Laubdach bau'n,
Matt von des Lebens Müh'n und Thun,
In deine Wellen schau'n.
Da, neben meinem, in dem Quell
Gewahr' ich noch ein Haupt;
Es ist mein Freund, erkenn' ich schnell,
Den ich entfernt geglaubt.
Und wie er schalkhaft lächelnd, froh,
Sich über mich gebeugt,
Mit ems'ger Treue, eben so
Der Spiegelquell ihn zeigt.
Da war ich schnell vom Traum erwacht,
Doch zürnt' ich nicht dem Quell;
Ich zürnte, daß ich nicht bedacht,
Was doch vom Anfang hell:
Des Wassers Art ist eben so,
Zeigt nicht nur Ein Gesicht,
Die ganze Welt ist dessen froh,
Und ich auch grolle nicht.
Auch in der Folge will ich gern
An deinem Ufer gehn,
Recht innig froh, auch mich von fern
In deinem Selbst zu sehn;
Doch wohnen hier, mich dir vertrau'n? -
Laß fahren das, mein Sinn!
Wer wird sein Glück auf Wasser bau'n? -
Und also ging ich hin.
Franz
Grillparzer . 1791 - 1872
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