162 Bücher
|
Franz Grillparzer
Gedichte
. 1872
Einleitung
An Ovid.
Du, den in wilde unwirthbare Wüsten,
Wo nie ein Glücklicher sich schauen ließ,
Auf Pontus ferne meerumtobte Küsten
Der Grimm von Roma's tück'schem Herrscher stieß;
Dir, armen Dulder, weih' ich diese Blätter,
Denn gleiches Loos beschieden uns die Götter.
Von Menschen ferne, lieg' ich hier und weine,
Unglücklicher als du, denn mich verbannt
Ein Henker, fürchterlicher als der deine,
Des Schicksals allgewalt'ge Eisenhand.
Zu Menschenohren dringt des Menschen Stimme,
Doch taub ist das Geschick in seinem Grimme.
Weil du zu viel gesehn, zu viel gesprochen,
Traf dich des Kaisers harter Richterspruch,
Doch welch Vergehn wird denn an mir gerochen,
In dessen Herzen Fried' und Unschuld schlug?
Ist mir's bestimmt, so martervoll zu leiden,
So könnt' ich dich um dein Vergehn beneiden.
Für Sünden, lieblich im Begehn, zu büßen,
Das stumpft der grausenvollsten Strafe Qual;
Doch höllisch leiden und sich schuldlos wissen,
Das schneidet tief wie dreigeschliffner Stahl;
Und bei den Göttern, die den Meineid rächen,
Rein ist mein Herz, ich weiß nichts von Verbrechen. -
Sanft trieb des Lebens Nachen; das Gewissen
Schlief drinnen wie ein neugebornes Kind,
Da ward ich plötzlich in die See gerissen,
Ein unglücksel'ges Spiel von Meer und Wind;
Erloschen sind die sichern Leitersterne,
Und meine Heimat birgt die Nebelferne.
Die Hoffnung hat das Steuer aufgegeben,
Und flieht mit scheuem, windesschnellem Fuß;
Sie, die sonst selbst beim Ausgang aus dem Leben
An des Avernus dunklem Schauerfluß
Dem müden Waller tröstend steht zur Seite,
Sie selbst versagt mir Armen ihr Geleite.
Verzweiflung steht an ihrer Statt im Nachen
Und treibt den Kiel vom Lande weiter fort,
Dorthin, wo aus des schwarzen Abgrunds Rachen
Der Jammer grinset und der bleiche Mord,
Und wohin immer meine Blicke schweifen,
Sie können nichts als Schreckliches ergreifen.
Nur Einen Hafen läßt sie mich erschauen,
An dessen Mund in unerforschter Nacht
Der Ewigkeit furchtbare Nebel grauen,
Die bleiche Furcht mit scheuem Zagen wacht,
Die jedem, der sich nähert ihren Thoren,
Das Wort "Vernichtung" flüstert in die Ohren.
"Vernichtung!" - Sei's - Mag, was ich bin, entschweben
Im ew'gen Wirbeltanz der flücht'gen Zeit,
Trotz sei geboten dir! Dieß Blatt soll leben,
Wenn meines Seins Atome längst zerstreut.
Zertritt mich auch der Fuß der nächsten Stunde,
Doch leb' ich ewig in der Nachwelt Munde.
Franz
Grillparzer . 1791 - 1872
|
|