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Gedichte, Lyrik, Poesie

Gedichte
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Franz Grillparzer
Gedichte . 1872



Rechtfertigung

Als Antwort auf ein Gedicht, das mir meine Unthätigkeit zum Vorwurf machte.

Was schiltst du mich? Und wenn auch noch so leise,
Und wenn auch noch so schön in Ton und Wort,
Doch schiltst du mich, und tadelst meine Gleise,
Und wünschtest mich an einen andern Ort.
Allein zugleich so freundlich ist die Weise,
Daß sie den Geist mir zieht, den Willen fort,
Und, was sonst lästig mir in Red' und Liedern,
Ich fühle mich gedrängt, dir zu erwiedern.

Es rinnt der Bach, wie schlammig die Gestade,
Allein der schöpft, prüft wohl, was er erhält;
Der Waldbaum streut den Samen auf die Pfade,
Der Ackersmann sucht ein gepflügtes Feld;
Der dunkle Trieb strebt, daß er sich entlade,
Ein zwingend Muß ist ihm als Ziel gestellt;
Der Menschengeist in sonnigern Bezirken,
Will nicht nur thätig sein, er will bewirken.

Glaubst du, des Liedes Ahn', der Mäonide,
Er sang den Winden seine Rhythmen vor?
Der ihm zunächst kommt im erhabnen Liede,
Sah still geneigt der Britten stolzes Ohr;
Und Tasso'n, Goethen, wenn vom Schaffen müde,
Hört zu Amalia, lauscht Leonor'.
Die Welt ist da, weil Menschen sind, die sehen;
Was Niemand weiß, ist Niemand auch geschehen.

Es war die Zeit, da noch im Heiligthume
Germania gern den eignen Sohn empfing,
Da Jung und Alt umherstand um die Blume,
Die frisch hervor aus Hölty's Garten ging,
Des Strengen Hand, so schwer erborgtem Ruhme,
Leicht mahnend nur ob Weißens Haupte hing;
Da der Genuß noch froh war zu genießen,
Das Aug' bereit, ins Anschaun zu zerfließen.

Allein da kam das Paar der Herben, Düstern,
Zwar Brüder, doch in Einem nur sich gleich,
Die Ersten sie der Zweiten, aber lüstern
Nach höherm Ruhm, der Vordersten Bereich;
Und da die eigne That nur leises Flüstern,
Nicht Jubelruf erweckt und Glockenstreich,
Da alle Tempel Andern schon gehören,
Dünkt's ihnen gut, statt bauen, zu zerstören.

Und Schanzen bilden sie von luft'gen Worten,
Mißbrauchter Scharfsinn beut die Waffen dar;
Was wahr, beschränkt auf Zeiten, und an Orten,
Wird ausgedehnt, und aller Zukunft wahr.
Der Ahnung Lauschen an der Geister Pforten,
Ist ihnen wie des Dreiecks Winkel klar,
Und was veränderlich wie Wind und Wolke,
Wird festgeballt und dargestellt dem Volke.

Des Sanges Helden, die die Zeiten krönen,
Stehn eingesargt in Fächer mancherlei;
Weil sie der alten Fesseln spottend höhnen,
So dünken sie sich selber fesselfrei;
Die Enkelnamen, die nach Schule tönen,
Sie wuchern fort in neuem Feldgeschrei,
Und brüstend glauben sie sich frisch beritten,
Weil sie das alte Thier verkehrt beschritten.

Und froh empfängt der Troß die kühnen Leiter,
Er sammelt sich um's flatternde Panier;
Was sie begonnen, führt er täppisch weiter,
Der Stifter Wort, vergessen ist es schier;
Des Einzeln Ohnmacht deckt die Zahl der Streiter,
Es wächst die Schaar, kein Heil mehr außer ihr, -
Und mit den Formeln der vergess'nen Meister
Bewerfen sie die einzeln steh'nden Geister.

Es thut so wohl, der Ehrfurcht sich entringen,
Die fremden Werth dem Menschen nicht erläßt;
Den weiten Raum vom Wissen zum Vollbringen
Rasch zu durchfliegen wie der leichte West;
Verkehrt die ew'ge Ordnung in den Dingen,
Der Staub erhöht, im Staub, was hoch und fest,
Der Schalk im Amtskleid seines Richters Richter,
Der Dilettant ein Mann, ein Nichts der Dichter.

Der Fremde Völker, die nach manchem Jahre
Ihr habt erkannt, was Deutschlands Volk gethan,
Und borgend nach es ahmt, das Schöne, Wahre,
Nehmt euch in Acht, und schaut auf eure Bahn!
Das Opferfleisch, genommen vom Altare, -
Die Kohle hängt, die glühende, daran
Und wird entzünden sich, entflammen, mitten
Im Kreise eurer streitverschonten Hütten!

Doch nicht an Mustern soll es drum uns fehlen,
Weil eigne Thaten uns ihr Witz geraubt;
Aus von den Großen aller Zeiten wählen
Sie Einzelne, die Alter schon bestaubt,
Wo zu ergänzen, sichten, zu erzählen,
Der Preisende sich selbst gepriesen glaubt,
Wo Raums genug ist zwischen breiten Stegen,
Für den Erklärer, sich mit drein zu legen.

So fährt der Priester in demselben Nachen
Mit seinem Götzen zur Unsterblichkeit;
Ja selbst dem formlos Neuen, haltlos Schwachen
Wird noch vielleicht ein dürftig Lob gestreut;
Wenn nur nicht fertig, wenn noch dran zu machen,
Wenn's lüftet durch die Fugen schlaff und weit,
Doch Weh' dem Werk, das, streng geschloss'ner Seiten,
Sich selber stützt und ausschließt jeden Zweiten.

So strebt das Volk! Was sonst noch mag bedrängen,
Das weißt du selbst, und ich - ich weiß es auch;
Nicht darf sich Groll in goldne Lieder mengen,
Schon riß zu weit mich fort sein scharfer Hauch.
Und ich will ruh'n; nicht wehren den Gesängen,
Doch auch nicht rufen sie nach früherm Brauch.
Man lobt ja wer der Zeit sich weiß zu schicken,
Mag sich der Pöbel an sich selbst erquicken!


  Franz Grillparzer . 1791 - 1872






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