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Franz Grillparzer
Gedichte . 1872



Beethoven

Abgestreift das Band der Grüfte,
Noch erschreckt, sich findend kaum,
Flog die Seele durch den Raum
Dünn und leicht gespannter Lüfte.
War das Blitzen? - War's ein Laut?
Ach! er hört, er hört den Laut! -
Stürmen jetzt, wie Windesbraut,
Wehen nun, wie Engelsschwingen,
Klänge nun, wie Harfen klingen.
Aufwärts! Aufwärts! - Kreis an Kreis,
Welt an Welt, vom Schwunge heiß,
Und der äußerste der Sterne,
Zeigt noch gleich entfernt die Ferne.
Ward's Genuß schon, ist's noch Qual?
Sinne schwinden, Sinne bersten,
Denn das Letzte wird zum Ersten,
Und des Ganzen keine Zahl. -
Dunkel nun. Ha! Todesnacht,
Uebst du zweimal deine Macht?
Aber nein, es führt nach Oben,
Aus des Dunkels Schooß gehoben,
Strahlt der Tag in neuer Pracht.
Und ein Land streckt seine Weiten,
Gleich Oasen, die sich breiten
In des Sandmeers wüstem Grau'n,
Und durch seine Blumen schreiten
Männer, göttlich anzuschau'n.
Klarheit strahlt aus ihren Zügen,
Lächeln schwebt um ihren Mund,
Ein befriedigtes Genügen
Gibt die Erdentnomm'nen kund.
Doch der Angekomm'ne, düster,
Stehet fern, und blickt nicht um.
Gält' es ihm, ihr leis' Geflüster?
Ihm ihr Winken, still und stumm?
Aber plötzlich fällt's wie Schuppen,
Offnen Sinnes eilt er hin;
Er erkennt die Meistergruppen,
Und die Meister kennen ihn.
Einer aus der Schaar der Sänger
Hebt den Finger, lächelt, droht.
"Bach, ich kenne dich, du Strenger!
Rächst du ein verletzt Gebot?" -
Ritter ohne Furcht und Tadel,
Auf der Stirn den Geisteradel,
Geht vorüber Gluck und weilt,
Nickt im Schreiten und enteilt. -
"Haydn, Haydn! alter Vater!
Sei mein Schützer, mein Berather
In dem neuen, fremden Land!"
Und der Alte faßt die Hand,
Küßt ihn auf die Stirn und weinet,
Doch war fröhlich was er meinet:
"Bravo, Scherzo. Allegretto!
Hie und da hätt' ich ein Veto,
Doch ist's Blut von meinem Blut.
Ach, sie nennen's, glaub' ich, Laune,
Nun, ich war auch heit'rer Laune,
Und das Ganze, wie so gut."
Cimarosa will noch zaudern,
Paesiello wagt sich nicht,
Wenn sie je und dann auch schaudern,
Zeigt doch Neigung ihr Gesicht.
Höher fast um Kopfeslänge
Drängt sich Händel durchs Gedränge; -
Da theilt plötzlich sich die Menge,
Und der Glanz wird doppelt Glanz;
Mozart kommt im Siegeskranz,
Und der Fremdling will entweichen:
"Ach, was soll ich unter euch?
Als ich stand bei meines Gleichen,
Schien ich bis hierher zu reichen,
Aber hier, den Besten gleich?
Wo ich irrte, was ich fehlte,
Bald zu rasch, bald grübelnd wählte,
Kühn gewagt, zu leicht erlaubt,
Hat mir Muth und Kranz geraubt."
Und der Meister wiegt das Haupt:
"Frage hier die Sieg'sgefährten,
Sie auch trog oft rascher Muth;
Doch kein Tadel folgt Verklärten,
Und der letzte Schritt auf Erden
Macht den letzten Fehler gut.
Geister können ja nicht sünd'gen!
Wenn's die Schüler breit verkünd'gen,
Nach es ahmen in Geduld,
Ihnen ist, nicht uns die Schuld.
Knaben lehrt man Sylben scheiden,
Da genügt wohl Meister Duns;
Lernt von Andern Fehler meiden,
Großes schaffen, lernt von uns.
Denn selbst Gift an rechter Stelle,
Wird der Heilung frohe Quelle:
Rechtes, ohne Maß und Wahl,
Zeugt verderbenschwang're Qual.
Wer auch Richter über dir?
Starke Könige der Seelen,
Lassen wir vom Volk uns wählen,
Doch gewählt, gebieten wir.
Und das Kunstwerk, wie der Glauben,
Ob man klügelt, was man lehrt,
Läßt es sich kein Jota rauben,
Hat's durch Wunder sich bewährt.
Drum tritt ein, sei nicht beklommen!
Gleich den Besten sei geehrt!
Es ist dein, was du genommen,
Und dein Wagen ist dein Werth!" -
Ausgesprochen hat der Meister,
Endlos wächst der Chor der Geister;
Um den Aufgenomm'nen her,
Wird's von Grüßenden nicht leer.
Shakespeare winkt ihm mit den Händen,
Zeigt Lope de Vega ihn,
Klopstock, Dante, Tasso wenden
Ihre Blicke freundlich hin. -
Einer nur steht noch im weiten,
Wartet, bis die Fluth verrinnt,
Kommt jetzt näher, hinkt im Schreiten,
Kräftig sonst und hochgesinnt.
Byron ist's, der Feind der Knechte,
Mißt ihn jetzt mit stolzem Blick,
Beut ihm schüttelnd dann die Rechte.
Wirft das Auge scheu zurück:
"Bist du gern in dem Gedränge?
Magst du gern bei Vielen stehn?
Sieh dort dunkle Buchengänge,
Laß uns miteinander gehn!"


  Franz Grillparzer . 1791 - 1872






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