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Gedichte
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Franz Grillparzer
Gedichte . 1872



Bretterwelt

Komm', Muse, her, du sollst mir vor das Volk!
Mit diesen Stricken bind' ich deine Arme,
Die Glocke, einst der Kuh, die reichlich molk,
Rust zu Gericht, ob dein sich Gott erbarme?
Den Helm von Pappe setz' ich dir aufs Haupt,
Ein hölzern Schwert wankt, wo die Hüften schwellen,
Und daß dein Fuß sich nicht zu viel erlaubt,
Nimm noch von Blech die engen Knöchelschellen.
Auch in dem Umkreis hab' mir sorglich Acht!
Der Baum hier wankt, kann nicht zur Stütze taugen,
Dort die Versenkung führt in Abgrunds Nacht,
Und doch, vor Lichtglanz, hüll' ich deine Augen;
Den Mund allein nur will ich frei dir geben,
Den brauch', wie du's vermagst, wie dir bekannt;
Was sonst noch rührt und überzeugt im Leben,
Ist streng aus dieser zweiten Welt verbannt.
Wie die Musik nicht Formen gibt, nur Töne,
Der Maler Töne nicht, nur Formen malt,
Lebt hier im dürren Wort allein das Schöne,
Von Wohlklang nicht ergänzt, noch von Gestalt.

Nun aber laß uns erst noch Jene schauen,
Die das Geschick zu Richtern uns gesetzt,
Der Vorhang ward zum Glück von art'gen Klauen,
Zu eigner Aussicht, stellenweis zerfetzt.
Du staunst, nicht wahr? und kannst es kaum erwarten?
Ein Anblick bunt und reich, bergan, thalab.
Glaubst du dich nicht versetzt in jenen Garten,
Dem man von Brunn den schönen Namen gab?
Hier das Parterre, voll Rosen, Tulpen, Nelken,
Zwar leeres Gras dazwischen auch genug.
Die Hitze macht die Häupter sichtlich welken,
Doch blühn sie auf, besprengt sie erst dein Krug.
Und weit im Umkreis die geschloß'nen Hallen,
Des Gartens Schmuck, genannt: Menagerie,
Des Städters Lust vor Jeden und vor Allen,
Besetzt mit edlem, schwerbezahltem Vieh.
Ha, wie sie prangen, wie sie grinsen, schnauben,
Mit Fleisch genährt zum Theil, zum Theil mit Aas,
Zwar pflegen sie nicht mehr, wie sonst, zu rauben,
Doch was sie längst geraubt, ist jetzt ihr Fraß.
Der Löwe dort mit etwas kahlen Mähnen,
Dem, was uns groß, ein stolzer Zeitvertreib,
Ein halbes Volk verschlingt sein kleinstes Gähnen,
Ihm steht kein Mann, dir horcht er, weil ein Weib.
Der Eisbär nebenan, vor dem kein Säumen,
Wie dürr und alt, doch immer noch in Brunft,
Zwei Wärter fraß er schon in diesen Räumen,
Doch hat man ihm die Zähne jetzt gestumpft.
Das Zebra schau, den Leib geschmückt mit Bändern,
Man kennt den Stamm trotz der gezierten Brust,
Hier das Kameel aus wüsten Steppenländern,
Das schleppt und trägt und lebt in heißer Luft; -
Dort die Hyäne, die mit leisem Winseln
Im Dunkeln anzeigt, was sie still erlauscht,
Hier Thiere, die das Mundhaar formt zu Pinseln,
Und andre glatt, die Backen nur bebauscht.
Die Löffelgans, vielmehr der Gäns'rich selber,
Der Schnabel nur zeigt dir sein glattes Haupt,
Er schlingt die Nahrung ganz. Hier Lämmer, Kälber
Von seltner Art und theurer, als man glaubt.
Zuletzt der Waschbär noch, er, der vor allen
Den Fraß, als Küchenmeister, selbst sich kocht.
Er wäscht und wäscht, und läßt sich's erst gefallen,
Wenn er den letzten Saft der Fasern ausgepocht.
Nach weiter oben lass' uns nicht mehr blicken,
Ein Schwindel droht. Die höchsten Wipfel sind's,
Die, leicht erregt, verneinen oder nicken,
Je nach des Zufalls Laune und des Winds. -
Die alle nun sind unsres Werkes Richter,
Bezeichnend es mit schwarz, mit rothem Strich,
Das Urtheil sprechen sie dem armen Dichter
Und auch - sie ahnen's ewig nimmer - sich.
Sie sind, wie überall, seit Herzen schlugen,
Und der Verstand Gedanken knüpft und trennt, -
In Zwei getheilt: die Thoren und die Klugen,
Nur freilich ruht auf erstern der Accent.
Die Thoren - ei, was mehr? - sind eben Thoren,
Nur sonst beschränkt, fühlt hier der Troß sich frei;
Den armen Geist im Altern matt verloren,
Strebt Jeder hast'gen Drangs nach dem, was neu.
Den todten Sumpf im Innern ihrer Wesen
Wünscht Jeder durch die Dichtung aufgerührt,
Sie fühlen nur, wenn sie vom Fühlen lesen,
Das Leben lebend, das ein Andrer führt.
Wie sich der Hund an dich drängt, also Jene;
Du sollst ihm klopfen seines Rückens Grat;
Klopfst du zu stark, so weist er dir die Zähne,
Zu schwach, so weiß er kaum, wie man ihm that.
Die sollst du, nicht der Welt, nein sich entreißen,
Sich sucht und flieht ein Jeder eifrig gleich,
Und willst du ihm mit Fug ein Dichter heißen,
Sei unerhört, ein Wunder jeder Streich.
Indeß die Klugen - und das sind die Schurken,
Von Schlechtigkeit bis zum Verstand gebeizt -
Nach Wirklichem verlangt, gewürzt mit Gurken,
Mit Senf und was noch sonst den Hunger reizt.
Die wollen sich, sich selbst lebend'gen Leibes;
Heißt das: wie etwa sie sich einst gedacht,
Eh' Welt und Gier, die Wuth des Zeitvertreibes,
Sie um den Adel ihres Seins gebracht,
Die mußt du nun vor allen reizen können,
Denn, wisse nur, sie sind etwas zerstreut,
Sie wollen gern uns ihren Abend gönnen,
Doch wiederkau'n sie ein geschäftig Heut.
Der Eine zählt im Sack die Groschen, Gulden,
Des schnöden Wuchers schändlichen Gewinnst,
Der Nachbar hört's und denkt mit Schreck der Schulden,
Die morgen fällig, lange nicht verzinst.
Der hat den Feind, und der den Freund verrathen,
Der Seele Schatz verkauft für böses Geld;
Der sieht im Geist die Gattin andrer Gatten,
Die heut' gestrauchelt und wohl morgen fällt.
Dort Einer äugelt auf der Freude Töchter,
Nächst an, ein Dichter ohne Preis und Dank,
Der, selber schlecht, die Andern wünschte schlechter,
Ein Licht, das leuchtet, wenn die Sonne sank. -
Hier grinst der Spott, der Affe des Verstandes,
Hier gähnt die Prosa, die sich selbst genug,
Dort Neid und Haß, lammschürigen Gewandes,
Der Groll, der seinen Wurf seit Monden trug,
Vor diese sollen wir mit unsern Spielen.
Was schauderst du zurück und schlägst die Brust?
Und wäre Tod im Grauen, das wir fühlen,
Es ist ein heilig Amt! - ich soll, du mußt! -
Auch wisse nur: die Schlimmsten von den Schlimmen,
Wie hart ihr Frost, wie fern sie der Natur,
Im Heimlichtiefsten blieb ein Fünkchen glimmen,
Mit Qualm bedeckt und kalter Asche nur.
Erreichst du das mit deines Athems Wehen,
Dann sprüht's und knistert's und ein Flämmchen blinkt,
Zwar bläulich schwach, dem Auge kaum zu sehen,
Doch wärmt's den Pulsschlag, wie er steigt und sinkt.
Am Arme seines Nachbarn im Gedränge
Fühlt Jeder die gesteigert fremde Glut,
Und über sie kommt das Gefühl der Menge,
In dem der Mensch verzehnfacht, schlimm wie gut.
Der weiß, er theilt im Blicke mit sein Wissen,
Der Fühlende im Athem sein Gefühl,
Was Einzeln war, ist seinem Selbst entrissen,
Zählt nur als Woge, schwindend im Gewühl.
Dann sind sie dein. - Darum vom Aug' die Wolke! -
Dann sprechen wir zu Dem und Diesem nicht,
Dann sprechen wir zum Menschengeist, zum Volke,
Und die sind's werth, daß man mit ihnen spricht.


  Franz Grillparzer . 1791 - 1872






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