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Franz Grillparzer
Gedichte
. 1872
Die tragische Muse
Vor Vollendung des Trauerspiels Medea
gedichtet.
Halt ein, Unselige! Halt ein!
Wohin verlockst du mich?
Ueber Berge bin ich gekommen,
Durch Schlünde dir gefolgt;
Kein Pfad ist, wo ich trete, keine Spur,
Fern herauf tönt der Menschen Stimme,
Tönt der Heerden fröhliches Geläut,
Und des Waldbachs Rauschen;
Ringsum Klippen, wolkennahe Klippen,
Ueber mir Duft und Nebel,
Lügend Gestalten!
Was willst du? Steh' und rede! -
An deiner Seite ein Weib,
Gräulichen Anblicks:
Schwarz flattern die Haare,
Schwarz funkeln die Augen,
Schwarz das Gewand, Blut!
Blut an ihrem Gewande! -
An dem Dolch, den sie zückt!
Zwei Kinder todt zu ihren Füßen,
Und ein Greis und ein Jüngling,
Im Todeskampf verzerrend
Verwandte, ähnliche Züge;
Um die Schultern aber glänzt es -
Ein Vließ - ein goldstrahlendes Vließ! -
Medea! -
Hebe dich hinweg, Entsetzliche! -
Kinder-, Bruder-, Vatermörderin!
Was ist mir gemein mit dir?
Den Vater hab' ich kindlich geehrt,
Und als die Mutter starb,
Floßen fromme Thränen
Ihr nach ins unerwünschte Grab. -
Was hab' ich gemein mit dir?
Mir schaudert. Geh! -
Und auch du, die mich hergelockt,
Durch die Leier in deinem Arm,
Und den Kranz, den du trägst
Von immergrünem Laub, das mich lockt,
Hebe dich weg, und laß mich,
Daß ich, den Rückweg suchend,
Heimkehre zu den Meinen.
Aber du schaust mich an?
Mit dem Auge, streng zugleich und innig,
Mit dem seelenbindenden Blick,
Der schon dem keimenden Knaben
Das Spielzeug wand aus den Händen
Und, ablockend vom Kreis der Gefährten,
In einsiedlerische Still' ihn bannend,
Das Geschick der Könige
Und der Welt ungelöste, ewige Räthsel
Ihm gab zum ahnungsvollen, ernsten Spiel;
Du schaust mich an, und willst nicht gehn?
Winkst mir zu folgen, dir und der Gefährtin,
Medeen mit dem gräßlichen Blick?
Du nimmst den Kranz vom duftenden Haar,
Und setzest ihn aufs Haupt der Entsetzlichen?
Mir den Schmuck, den lohnenden Schmuck! -
Du lächelst und winkst?
Folgen soll ich, dann sei gewährt? -
Mein Wesen hat kein Schild gen solche Waffen,
Sie haften, deine Pfeile, in der Brust!
Vollendet sei, was begonnen!
Winke nicht mehr, du hast mich gewonnen!
Geh voran, ich folge dir!
Franz
Grillparzer . 1791 - 1872
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