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Gedichte, Lyrik, Poesie

Gedichte
162 Bücher



Franz Grillparzer
Gedichte . 1872



Sinngedichte und Epigramme

(Zur Aesthetik, Literaturgeschichte und Philosophie.)

Weil die Welt ein Wunder ist,
Gibt's eine Poesie;
Was ihr nach seinen Gründen wißt,
Reicht an ein Dasein nie.



Was echte Poesie
So hoch vor allem stellt:
Sie ist der ganze Mensch
Und auch die ganze Welt.



Erklärung.

Fragt ihr mich, was das Schöne sei?
Seht zu, ob ich's verfehle.
Ein Gleichniß beut die Liebe mir:
Es geht vom Körper aus gleich ihr,
Und endigt in der Seele.



Künstlerische Form.

Wenn des Kindes Organe fertig sind,
Weht der Geist sie an, wie Luft und Wind,
Das Umgekehrte ginge freilich geschwind,
Doch aus dem Geist macht man kein Kind.



Begabung.

Bildung ist das Gleichgewicht,
Talent ist ein Uebergewicht,
Der Schwerpunkt nach Einer Richtung,
In Thätigkeit und Dichtung.



Formenwechsel.

Der erste Stoff kommt aus Gottes Hand,
D'raus spinnt seine Fäden der Verstand,
Doch soll das Gespinnst dir Nutzen geben,
Muß neu das Gemüth es zum Stoffe weben.


Reflexion.

Das Denken ist nicht der Empfindung geschenkt;
Es wirkt als gestaltende Macht,
Nicht was der Dichter beim Dichten denkt,
Nein, was er von jeher gedacht.

1.
Die eine Vorschrift nenn'ich, durch die du alle erfüllst:
Habe Talent, mein Lieber, und schreibe, was du willst.

2.
Willst du noch dazu die guten Autoren lesen,
So brauchst du nicht zu erfinden, was lange vor dir gewesen.



Vom Himmel träuft herab des Landmanns Segen,
Doch tränkt den Boden auch des Landmanns Schweiß,
Ist das Talent der gottgesandte Regen,
Ist, was die Frucht gibt, immer nur der Fleiß.



Aesthetiker.

Nach Gründen suchen ist eure Schwäche,
Die Kunst lebt im Vollen und im Bunten,
Der Grund ist auch eine Oberfläche,
Nur nach unten.



Ihr theilt euren Garten streng in Beete,
Seht zu, daß man sie fleißig jäte,
Und kümmert euch nicht in eurem Sinn,
Wenn schließlich doch nichts wächst darin.



Falsche Ansicht und Selbstüberschätzen,
Muß die Begabung ins Tollhaus versetzen.



Einfälle sind keine Gedanken,
Der Gedanke kennt die Schranken,
Der Einfall setzt sich drüber weg,
Und kommt in der Ausführung nicht vom Fleck.



Durchforscht den Boden, sucht und grabt,
Bringt Wachsthum auf Mechanik,
Wenn ihr dann keine Blumen habt,
Habt ihr doch eine Botanik.



Sie sind der höchsten Ideen voll,
Zum staunen oder zum lachen;
Ein Jeder weiß, wie man's machen soll,
Doch keiner kann es machen.



Die Kritiker, will sagen, die neuen,
Vergleich' ich den Papageien,
Sie haben drei oder vier Worte,
Die wiederholen sie an jedem Orte:
Romantisch, klassisch und modern,
Scheint schon ein Urtheil diesen Herrn,
Und sie übersehen in stolzem Muth
Die wahren Gattungen: schlecht und gut.



Tadeln ist leicht, wie ihr wohl wißt,
    Und höchst bequemlich,
Doch eins gibt's, was noch leichter ist:
    Nachbeten nämlich.



Die neuen Deutschen.

Ob ihr weiter gebracht die Poesie? -
Die Frage ist etwas verwickelt,
Erweitert habt ihr wirklich sie,
Da ihr die Prosa dran gestückelt.



Die Kunst.

Man hört vom Fortschritt der neuen Zeit,
Sie ist auch vom alten Wege weit,
Doch wird es vom Verfolg abhangen,
Sonst wär' sie vielleicht nur seitwärts gegangen.



Das Denken sucht sich nach Außen Raum,
Im Fühlen sind wir daheim,
Und all unseres Wissens stolzer Baum
Hat im Herzen den fruchtbaren Keim.



Der Dilettant freut sich zu Haus
An seinem eigenen Geklimper,
Doch geht seine Kunst in die Welt hinaus,
Verklärt er sich zum Stümper.



Spekulation.

Ihr meine Freunde vom deutschen Land,
Habt einen durchdringenden Verstand;
Er durchdringt das Wahre in all seiner Weite,
Und kommt heraus auf der andern Seite.



Den Himmel hätte das Talent hienieden schon auf Erden,
Könnt' zehen Jahr nach seinem Tod, es erst geboren werden.



Glücklich der Künstler, der Bildung hat,
Mit einer Klausel indessen:
Wenn es kommt zur schaffenden That,
Muß er auf seine Bildung vergessen.



Den Fortschritt der Kriegskunst neuerer Zeit
Ahmt nach die Poesie:
Die Stärke unseres poetischen Heers
Besteht aus - Infanterie.



Schreib etwa nicht etwas, schreib über,
Schreib über etwas, mein Lieber,
Um sich über Andere zu sehn,
Die etwas zu machen verstehn.



Laßt mich mit eurem Publikum
Und euren gebildeten Leuten,
Sonst waren nur immer die Dummen dumm,
Jetzt sind es auch die Gescheuten.



Es lebe der deutsche Geist!
Als Geist unsichtbar meist,
Kommt endlich er zur Erscheinung,
Tritt stolz er auf als - Meinung.



Es will jetzt neu sein jeder Tropf
Und kann nichts finden, trotz allen Geschreies:
Da stellt er das Alte auf den Kopf,
Und hat so was Neues.



Der Fehler der Deutschen ist immer gewesen,
Wie rühmlich man sie sonst auch nennt,
Daß sie versuchen, da zu lesen,
Wo man noch kaum den Buchstab kennt.



Laßt mir doch das Wunderbare,
Es haben's vor mir schon Manche geehrt!
"Doch ist das Menschliche allein das wahre,"
Wahr, aber nicht der Mühe werth.



Das Schicksal war nur für die Griechen wahr?
Warum aber, christliche Leute,
Wenn wahr es allein für Jene war,
Erschüttert Oedip euch noch heute?



Unsre Aesthetiker und Dramaturgen,
Gleichen ebenso vielen Lykurgen,
Die uns Deutsche, die gemüthlich schwachen,
Zu Spartanern möchten machen.



Die Poesie und die Theologie
Sind eben Beide Phantasie;
Nur die eine erfindet ihre Gestalten,
Die andre spielt mit den vorhandenen alten.



So lang die Ideen geordnet und stät,
Zeugt von Kraft wohl die Originalität;
Doch sind sie einmal gestört und im Fluß,
Ist originell jeder Hasenfuß.



Kunstgeheimniß.

Ob der Schritt der richt'ge sei,
Wenn's nur paßt und packt,
Auf dem Tanzsaal, im Geschäft,
Lob' ich mir den Takt.



Systematik.

Der Leichtsinn in der Kunst bleibt schädlich immer,
Schwerfälligkeit jedoch ist noch viel schlimmer.



Genealogisch.

Der Pedantismus und die Phantasie,
Vergingen sich, ich weiß nicht wie,
Und zeugten Mischlingskinder, die
Als Pflanzer sie nach Deutschland sandten,
Die sonst im Weltall unbekannten:
Phantastischen Pedanten.



Literatoren.

Ein Buch ist ein gar schönes Ding,
Ein Gelehrter ist noch viel werther,
Doch beide vereinigt, wiegen gering,
Das Ganze heißt: Buchgelehrter.



Kritiker.

1.
Weil eure Kenntniß schwach und klein,
Braucht ihr darum nicht zu schweigen,
Ihr könnt zwar keine Richter sein,
Doch seid ihr wenigstens Zeugen.

2.
Die Dichtkunst, sagt man oft und sagt es laut,
Sie sei ein treuer Spiegel alles Lebens:
Drum wenn ein Affe in das Dichtwerk schaut,
Sieht er nach einem Sokrates vergebens.



Da die Deutschen noch bescheiden nach alter Weise,
Sagt' ich gern ein Wort zu ihrem Preise;
Nun aber, da sie sich selber loben,
Fühl' ich mich fürder der Müh enthoben.



Nachahmer schilt das Ausland uns
Und gibt uns spöttisch harte Namen.
Auf! Ahmen wir den Britten nach:
Von nun an nicht mehr nachzuahmen.



Als ihr mit Sinn schriebt, mit Verstand und Takt,
Erkannte man die Muster schnell;
Kaum aber, völlig abgeschmackt,
War't ihr auch originell.



Ist der Verstand doch ewig ein's,
In allen, die da sind und die je wurden,
Doch Eigenthümlichkeit hat breiten Platz
Im ganz Verkehrten und Absurden.



Phantasterei.

Die Deutschen hätten keine Phantasie?
Ein Satz, der sich selber zerstört.
Die Deutschen haben überall sie,
Wo sie nicht hingehört.



Wollt auch ihr guten alten Deutschen
Euch mit der Vorzeit Großen schmeicheln;
Doch wie laut ihr es versucht,
Eure Eichen trugen Eicheln,
Hellas Bäume gaben Frucht.



Die Klassiker.

Früh war euch der Grieche zu Handen,
Nebst dem, was der Römer spricht,
Ihr last sie, eh ihr sie verstanden,
Seit ihr sie verstündet, nicht.



Philosophische Gedichte.

Dieses Suchen und Zweifeln und Schwanken,
Wo nichts als des Strebens Dünkel klar:
Ich hatte auch so hohe Gedanken,
Als ich noch ein Knabe war.



Die junge Poesie.

Weil neu die Zeit, sei neu der Aufschwung des Gedichts,
Verneint, bejaht, hör' ich es lauten Schalles,
Was Wunder? Neu ist dem Pedanten nichts,
Dem Dummkopf aber alles.



Frag' ich, was wirksam übrig blieb
Der deutschen Literatur,
So stehen zwei zu oberst an:
Skandal und Karikatur.
Kein Wunder! Wo sich dein Reiz verlor,
O heilige Natur!



Wie soll ein Sänger da gedeihen,
Wo alles lärmt und alles spricht,
Man hört vor dem verworrnen Schreien
Sein eignes Wort ja selber nicht.



Der Radikalismus der Politik
Zieht sich allgemach zurück,
Hoffen wir auch dem theologischen,
Dem spekulativ philosophischen,
Dem musikalisch ästhetischen,
Dem talentlos poetischen,
Ein gleiches Geschick,
Zu aller Lebenden Glück.



Tendenz-Poesie.

Das Mittel ist probat für alt und jung.
Nur blieb es fremd den schöpferischen Meistern:
Beim Mangel eigener Begeisterung,
Sich aus der allgemeinen, zu begeistern.



Freiheitsverse herzubeten,
Scheint Gedicht mir im Gedicht,
Denn die Freiheit braucht Musketen,
Arme, aber Füße nicht.



Wollt ihr die Freiheitsglut kuriren,
Die fieberhaft in unsern Dichtern brennt,
Braucht ihr nicht Mittel lang' erst zu probiren,
Gebt ihnen eins, es hilft gewiß: Talent.



Warnung.

Bleib' nur der alten Kunst getreu,
Sie ist zu allen Zeiten Eine,
Wer sich unter die volksthümlichen mischt,
Den fressen die patriotischen Schweine.



Es gäbe kein verkanntes Genie?
In unserer Zeit zum wenigsten nie?
Betrachte dich selber, wenn's beliebt,
So lang's gepriesene Dummköpfe gibt,
Gibt's auch verkanntes Genie.



Die Ritter vom Geiste.

Ihr glaubt euch Ritter vom Geiste,
Wie ist die Ironie so bitter:
Eure Ritter haben nichts vom Geiste,
Und eure Geister nichts vom Ritter.



Nennt sich modern das Lumpenpack,
Die dichtende Kanaille.
Betracht' ich meinen neuen Frack
Mit seiner langen Taille,
Und seh' im Geist der Mode Sturz,
In nicht gar weiter Ferne,
Trägt wieder man die Taille kurz,
Wo bleibt da das Moderne?



Der radikale Dichter.

Wer Liebe singt und Wein,
Mag immer Weiberfeind und Wassertrinker sein,
Wer singt, was Allen nützt und Keinen kränkt,
Dem sei die Ueberzeugung vornherein geschenkt.
Doch wer, was zweifelhaft, ob Glück es bringt, ob Schmerzen,
Der ist ein Schuft, fühlt, was er singt, er nicht im eignen Herzen.



Kunstliebe ohne Kunstsinn
Bringt bei Fürsten wenig Gewinn,
Sie öffnet Kunstschwätzern ihr Ohr,
Und die Kunst bleibt einsam wie zuvor.



Thersites.
(Frei nach Homer.)

Du Hundsgesicht mit einer Hasenseele!
Was klammerst du dich an der Fürsten Rock,
Ob auch das Wort an dir sein Ziel verfehle,
Der Herrscherstab, bedenk', dient auch als Stock.



Die Aesthetik vor allem verpön' ich,
Sie spielt ein gefährliches Spiel:
Die gute nützt sehr wenig,
Die schlechte schadet sehr viel.



Vischers Aesthetik.

1.
Wer sich deinem System vertraut,
Wird bald sich ohne Obdach wissen,
Während du dein drittes Stockwerk gebaut,
Hat man die zwei untern abgerissen.

2.
Du trittst ruhig der Kritik entgegen,
So unangreifbar ist noch keiner gewesen:
Wer dich nicht gelesen, kann dich nicht widerlegen,
Wer dich widerlegen könnte, kann dich nicht lesen.



Sprachforschung.

Philosophie und Poesie,
Verschlagen vom Wind der Emphatik,
Sie sind gestrandet, ich weiß nicht wie,
Auf der Sandbank der Grammatik.



Menzel.

Die Grenzen alles Wissens schier,
Umwandelt er der Eine,
Umwandelt hat er alle sie,
Betreten aber keine.



Der Polyhistor.
(Allenfalls von Professor Gervinus zu gebrauchen.)

Von Jedem etwas und vom Ganzen nichts,
Galt einst als Tadel voll Gewichts;
Heut' gilt in unsrer Zeit des Lichts:
Vom Ganzen etwas und von Jedem nichts.



Poesie der Wirklichkeit.

Ihr habt die Romantik überwunden,
Nur daß in dem blutigen Krieg,
Der theuer erkaufte Sieg,
Die besten Truppen aufgerieben,
So daß nichts als Lumpe übrig geblieben.



Doch wißt ihr auch, was Romantik heißt?
Mustert die Muster in eurem Geist,
Romantik weicht von der Dichtkunst nie,
Sie ist ihre Mutter: die Phantasie.



Romantisch waren schon die Alten,
Sahn überall der Götter, des Schicksals Walten,
Doch weil das Wunder schon nah' ihrem Leben,
That's Noth nicht, sich drum erst Mühe zu geben.



Ihr sprecht mir von eurer Literatur,
So nennt einen Schatz mir, ein Spargut nur;
Ihr aber lest heut', was ihr gestern geschrieben,
Wo sind denn die Zinsen des Stammguts geblieben?

Und sagt ihr, es bilde in dem, was neu,
Das Alte sich fort, wie im Küchlein das Ei.
Schlecht dünkt mich, wer nützt nur zu jeder Frist,
Durch das, was er sagt, nicht durch das, was er ist.



Soll und Haben.

Daß die Poesie Arbeit,
Ist leider eine Wahrheit,
Doch daß die Arbeit Poesie,
Glaub' ich nun und nie.



Poesie der Arbeit.

Die Arbeit ist etwa auch poetisch,
Wir wollen da nicht streiten lang,
Doch ist die Wahrheit antithetisch,
Denn poetischer noch ist der Müssiggang.

Fahrt ihr im wirklich Wahren fort,
Steht ihr mit Iffland an Einem Ort,
Wohl gar, phantasielos und ohne Gefühl,
Erhebt sich Gottsched vom Sterbepfühl.



Die neue Literatur.

Weil sie mit Werken schwanger sind,
Sehn fruchtbar sich die Thoren,
Die Mutter zählt erst dann ein Kind,
Wenn lebend sie's geboren.

Wen setzen wir an Goethe's Statt
Zum geistigen Imperator?
Weiß nicht, wer die meisten Stimmen hat:
Grammatikus oder Compilator.




Xenien.
(Vom Jahr 1818.)

Fouqué.

Freundlich sei mir gegrüßt, polarischer Feuerländer,
Immer reizend und neu, singend dein alt Pescheräh!


Tieck.

Dir auch töne mein Gruß, du herrlicher Maler-Torso,
Brust und Auge wie schön, weh, ob der fehlenden Hand.


Goethe.

Sage, was stört deine Ruh, o Schatten des göttlichen Goethe,
Daß du neblicht und kalt wallst um dein eigenes Grab?


Der Verfasser der Ahnfrau.

Gleich dem schaffenden Geist kannst du blitzen und donnern und regnen,
Aber erquickt, wie seins, auch dein Gewitter die Flur?


Die Altdeutschen.

Herrlich nehmt ihr euch aus in der Ahnen blanken Gewaffen,
Kräftig stehet ihr da, aber nun schreitet einmal.


Die Kritiker Gebrüder Schlegel.

Flackernd erscheint ihr im Sturm, ihr schimmernden Dioskuren,
Doch nur sich selbst zeigt das Licht, leider! und nicht auch den Weg.


Jean Paul.

O, wie so gerne, Jean Paul! pflück' ich deine herrlichen Früchte,
Hab' ich glücklich den Zaun blühender Hecken passirt.


Schiller.

Wohl erblickt' er's vom Berg und kannt' es das Land der Verheißung,
Doch da er's siegend betrat, nahm ihn ein zürnender Gott.


An die Kritiker.

Regellos scheltet ihr mich, weil mein Werk in die Regel nicht passet,
Aber versucht es! Vielleicht passet die Regel ins Werk.


Müllner.

Einmal gewährte der Gott; jetzt willst du's selber ertrotzen?
Wenn er gleich Harfner sich nennt, Harfe vielmehr ist der Mensch.


Lessing.

Tapferer Winkelried! du bahntest den Deinen die Gasse,
Dein ist, Starker, der Sieg! hast du ihn gleich nicht gesehn.




Volkspoesie.

Wenn unsre Zeit keine Dichter zählt,
Vermag das nicht uns einzuschüchtern,
Damit es uns nie an Poeten fehlt,
Erheben wir das Volk zu Dichtern.



Nibelungenlied.

Ob nun das Nibelungenlied
Ein episch wirkliches Gedicht?
Man hört zwar Alles, was geschieht,
Allein man sieht es nicht.

Mit Mittelhochdeutsch und Volkspoesie
Weiß ich fürwahr nichts zu machen.
Wer trinkt auch, so lang es Brunnen gibt,
Aus Wegspur gern und Lachen.

Und fragst du mich, wo der Brunnen sei;
Hast du Homer nicht gelesen?
Fällt dir der große Britte nicht bei,
Was Spanien und Welschland gewesen?

Dort lösche deinen brennenden Durst,
Dort aus dem Vollen dich letze.
Der Pöbel erzeugt das Schöne nicht,
Noch gibt er dem Schönen Gesetze.



Die Volkspoesie, die eure Jünger
Lobpreisen mit so viel Emphatik,
Steht gleich mit der Volks-Mathematik,
Die eben nichts als die zehen Finger.



Aesthetik der Eitelkeit.

Warum euch das Mittel-Hochdeutsch so werth? -
Kommt gleich der Grund mir entgegen:
Indem ihr das Kinder-Gestammel ehrt,
Fühlt ihr zugleich euch überlegen.

Ist's doch mit Shakespeare viel anders nicht,
Nur halb gilt das seine, das wahre, -
Ihr schätzt ihn beleuchtet von eurem Licht,
Im Reflex eurer Kommentare.



Uhlands Volkslieder.

Was führst du selber Mörtel und Sand?
Zu höhern Werken berufen und schönern.
Wer bauen kann, bau' auf eigene Hand,
Und lasse den Karren den Tagelöhnern.



Ludwig Tieck.

Er steht am Gestade der Poesie
Und schaut, wie sie schäumt durch die Riffe;
Er schaut, bis ihm schwindelnd zu Kopfe steigt,
Sie stehe, er selbst aber schiffe.



Shakespeare an seine Ausleger.

Wie alles sich dir zur Absicht eint,
Du scheinst in meiner Brust zu lesen,
So hätt' ich's allerdings gemeint,
Wenn ich Ludwig Tieck gewesen.



Shakespeare braucht keine Vertheidigungs-Waffen,
Er deckt sich wie Gott durch Bilder und Schaffen,
Und kannst du's in dir wiederholen nicht,
Man zergliedert kein Leben und kein Gedicht.



Immermann.

Du guter Schütze, scharf und kühn,
Dein Pfeil fliegt überwärts,
Der Kopf ist ein bedenklich Ziel,
Halt niedriger - aufs Herz.



Pfizers Vergleichung von Uhland und Rückert.

Wie ähnlich beide, zeigt er wohlgesinnt
Und gleichen Beifalls in die Hände klopft er. -
Und sind auch ähnlich, wie zwei Adler sind,
Ein lebender, ei, und ein ausgestopfter.



A. G.

Willst seinen Werth du schildern,
Bezeichnen sein Gedicht;
Er weiß ganz wohl zu bildern,
allein zu bilden nicht.



Uhland.

Als rück zum Himmel nahm den Lauf
Die deutsche Poesie,
Hob Uhland ihren Mantel auf
Und spricht aus Gott wie sie.



Goethe.

Und ob er mitunter kanzleihaft spricht,
Ja Tinten und Farben erblassen,
Die Großen der Zeiten sterben nicht,
Das Altern ist keinem erlassen.

Doch ahmst du ihm nach, du junges Volk,
So laß vor allem dir sagen:
Der Schlafrock steht nur denen wohl,
Die früher den Harnisch getragen.



Goethe und Kestners Briefwechsel.

Nun endlich seid ihr doch im Klaren;
Ihr steht auf dem Boden des wirklich Wahren;
Es hat thatsächlich eine Lotte gegeben,
Ihr Nachtkamisol ist gemalt nach dem Leben,

Wenn wir vom kleinen Rotznäschen lasen,
Hatten die Kinder wirklich schmutzige Nasen,
Und der Gatte, gestorben seit manchem Jahr,
War fürstlich hannöv'rischer Archivar,
Nur hätten wir's noch viel ächter genossen,
Hätte sich Goethe auch wirklich erschossen.



Goethe.

Er war nicht kalt, wie ihr wohl meint,
Nur hielt er die Wärme zu wenig vereint.
Und da er sie theilte zuletzt ins All,
Kam wenig auf jeden einzelnen Fall.



Goethe und Schiller.

Was setzt ihr ihnen Bilder von Stein,
Als könnten sie jemals vergessen sein?
Wollt ihr sie aber wirklich ehren,
So folgt ihrem Beispiel und horcht ihren Lehren.



Hat dir Schiller gefallen,
Theilst du die Gabe mit Vielen und Allen,
Doch wenn du Goethe liebst,
Empfängst du nur, weil du gibst.



Schillers Tadler.

Daß der Misere nichts Großes begegnen kann,
Spricht als Satz die Misere denn freilich nicht an.



Das junge Deutschland.

Polypenartig ist der Thor,
Gewendet ist noch nicht bezwungen.
Das junge Deutschland schnellt empor,
Doch blieben die deutschen Jungen.



Und schnallt ihr hohe Socken an,
Setzt Mützen auf, bis ans Gewölbe,
Der Umfang mehrt, erhöht sich leicht,
Die Kraft aber bleibt dieselbe.



Der Verfasser des Kosmos.

Vergleich' ich dich mit deinen Ruhmes-Gefährten,
Scheinst du mir der Gelehrigste aller Gelehrten.



Historisches Drama.

Es stellt sich gar so heimisch dar,
Wie ein wackrer alter Bekannter,
Das Stück ist Geschichte ganz und gar,
Nur etwas ennuyanter.



Wie schmähen das Theater doch
Die heut'gen Modedichter,
Scheint wohl der Spiegel gar zu treu,
Der rückgibt ihre Gesichter?



Thun sich des Theaters Pforten auf,
Strömt ein der Pöbel in vollem Hauf,
Da ist es nun des Dichters Sache,
Daß er ein Publikum aus ihm dann mache.



Dramaturgisch.

Trotz allem Bemüh'n eurer Bühnen-Berather,
Fehlen noch drei Dinge zum deutschen Theater,
Darnach seht euch zum Schluß noch um:
Schauspieler, Dichter und Publikum.



Theaterdirektion.

Thespis altes Reich ist hin,
Schirm', o Musenvater!
Pantalon und Harlekin
Meistern das Theater.

Pierrot, ein Jammerbild
Hilft mit bleichen Mienen,
Und was mehr als alles gilt,
Sind die Kolombinen.



Will der Gesang ins Innre gehn,
So poch' er erst ans Thor,
Und soll der Geist ihn ganz verstehn,
So fass' ihn auch das Ohr.



Moderne Tonkunst.

Die Stärke braucht und nicht die Schwächen,
Sonst wird die Kunst ihr höchstes nie;
Geläng's der Tonkunst je, zu sprechen,
Wär' sie verpfuschte Poesie!



O ihr kunsthistorisches Gelichter,
Nennt ihr die Tonsetzer: Tondichter,
Dann nennt auch, was wir Dichter nannten,
In Zukunft: Wörtermusikanten.



Aus Tag und Nacht hat wohlbedacht
Der Herr alles Lebens die Welt gemacht,
Die Dichtung: ist Tag in klarer Pracht,
Musik: die Welten verbindende Nacht.



Einem Kompositeur.

Dein Quartett klang, als ob Einer,
Der da hackt in dumpfen Schlägen
Mit drei Weibern, welche sägen,
Eine Klafter Holz verkleiner'.



Vier arme Saiten! es klingt wie Scherz,
Für alle Wunder des Schalles.
Hat doch der Mensch nur ein einzig Herz,
Und reicht doch hin für alles.



Tonkunst, die vielberedte,
Sie ist zugleich die stumme,
Das Einzelne verschweigend,
Gibt sie des Weltalls Summe.



Man hört mit dem Ohr und nicht mit dem Geist,
Das Auge nur Farben und Formen weist,
Und hältst du Beides im Geist verkehrt,
Hast du gesehn nicht und nicht gehört.



Beethovomanie.

Ich sähe, glaubt ihr, auf Beethoven schief?
Als ob zu meinem Ohr nicht seine Zauber reichten?
Nur graut mir vor dem Wörtlein: tief,
Vor allem aus dem Munde der Seichten.



Der Kompositeur.

Man sagt, du verachtest die Melodie,
Schon das Wort erfüllt dich mit Schauer;
So gieng's auch dem Fuchs, dem enthaltsamen Vieh,
Der fand die Trauben sauer.



Moderne Logik.

Das sind wunderliche Denkgesetze
Und leer an wahrer Beweiseskraft,
Wo Logik gibt die Folgesätze
Und den Obersatz: die Leidenschaft.



Der Syllogismus wäre ein rechter Schatz,
Hätte man nur immer einen ersten Satz,
Doch nimmt man einen falschen oder ungewissen,
Wächst der Irrthum im richtigen Schließen.



Anti-Spekulativ.

Einer Mühle vergleich' ich den Verstand,
Die mahlt, was an Korn sich geschüttet fand;
Doch geschehen der Schüttungen keine,
So reiben sich selber die Steine,
Und erzeugen Staub und Splitter und Sand.



Geläng' es mir, des Weltalls Grund,
Somit auch meinen auszusagen,
So könnt' ich auch zur selben Stund
Mich selbst auf meinem Arme tragen.



Hegel.

1.
Möglich, daß du uns lehrst, prophetisch, das göttliche Denken,
Aber das menschliche, Freund, richtest du wahrlich zu Grund.

2.
Was mir an deinem System am besten gefällt?
Es ist so unverständlich wie die Welt.

3.
Du schreibst die Musik zum Weltentext,
Singst wie, was schon da ist, wird und wächst.
Doch wäre dein Tonstück nur Schall gewesen,
Hätten wir nicht früher den Text gelesen.



Die Philosophen.

Nur überbieten wollen sie,
Der Eitelkeit zum Dank:
Biegt Hegel erst sein Paroli,
Spielt Schelling sein va banque.



Schelling.

Statt Philosophie der Mythologie,
Sag' Mythologie der Philosophie.



Humboldt.

Daß er die Welt zum Begriff gebracht,
Ist mir ein leeres Gemunkel,
Es hat sie schon Hegel durchsichtig gemacht,
Und gleich d'rauf war sie wieder dunkel.



Strauß.

Was machst du, Freund, so viel Spektakel,
Kehrst uns den Glauben um nach neuer Regel?
Ich mindstens glaube lieber zehn Mirakel,
Als Einen Hegel.



Indische Philosophie.

Lobt mir ihr Wissen, ihre Kunst
Und ihres Schauens Macht,
Ich frag' euch um dies Eine nur:
Wohin es sie gebracht.



Die Hegel'sche Unheilsstiftung
Gleicht einer Quecksilbervergiftung,
Hast du sie aus den Gefäßen vertrieben,
Ist sie in den Knochen zurückgeblieben.



Marodeurs.

Das Hegel'sche Kriegsvolk entlassen
Aus dem Dienste der Philosophie,
Macht jetzt unsicher die Straßen
Der Geschichte und Poesie. -



Unsre neuste Religion
Ist das Scheitern der Spekulation,
Wenn die Denkwirthschaft nicht weiter geht,
Macht sie Concurs als Religiosität.


  Franz Grillparzer . 1791 - 1872






Gedicht: Sinngedichte und Epigramme

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Sinngedichte und Epigramme, Franz Grillparzer