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Franz Grillparzer
Gedichte . 1872



Der Reichstag

(1849.)

Wohlan! werft um! reißt ein! macht euch nur laut!
Verkennt der Gottheit stillgeschäft'gen Finger,
Und das, woran Jahrhunderte gebaut,
Erklärt es als der Freiheit Sklavenzwinger.

Das schönste Werk der Freiheit und der Kraft,
Daß sie die Rohheit, schwer genug gebändigt,
Hebt's auf! Entlaßt den Pöbel seiner Haft,
Erklärt der Bildung Werk als schon beendigt.

Man meint das Volk? Hast du ein Volk dereinst,
Selbsthorchend auf der Ordnung leise Klänge,
Dann ist die Zeit, die du gekommen meinst,
Nicht jetzt, wo noch dein Volk die blöde Menge.

Die, hergebracht Gewohntes überzeugt,
Nicht eignes Schöpfen aus des Denkens Quelle,
Die, vor dem Thron, vertrauend und gebeugt,
Nicht auf dem Thron an ihrer rechten Stelle.

Macht alles gleich! Hüllt in dasselbe Kleid
Der Menschheit urerschaffne, nackte Blöße,
Bis alles ärmlich, wie ihr selber seid,
Und euer Maß die vorbestimmte Größe.

Was soll der Adel? er ist unbequem,
Emporzuschaun ist ein verdrießlich Placken,
Seit selbst zu Gott es uns nicht mehr genehm,
Ermüdet es bedeutend unsre Nacken.

Allein die Schönheit ist ein Adel auch,
Du wählst ein schönes Mädchen unter hundert;
Talent und Geist, der Kunstbegabung Hauch,
Sind Zufall, und doch auch als Werth bewundert.

Wenn in der Erblichkeit das Unrecht liegt,
Nenn' ich den Reichthum, dem ihr selbst gewogen,
Der auf den Sohn, der heut' die Welt betrügt,
Vom Vater erbt, der einst die Welt betrogen.

Wär' das ein Adel, der euch läßlich scheint,
Dem ihr vergönnt im Herrenhaus zu sitzen?
Laßt ihr - was euch vom Fürsten schmählich scheint -
Vom Rad des Mäklers euch mit Koth bespritzen?

Gebt euch zur Ruh! - Wer endlich seid denn ihr,
Die ihr die Welt hinweist in neue Bahnen?
Soll ich, was etwa gar unschicklich hier,
An eure eigne Schwächlichkeit euch mahnen?

Nicht was ihr habt, nein, das nur, was euch fehlt,
Empfahl euch in des Pöbels hohe Gnaden,
Der trunken damals, als er euch gewählt,
Und taumelnd noch von seinen Barrikaden.

Wer kennt euch? Wessen Name klingt für voll,
Nicht selbst den Nachbarn neu durch seine Fremdheit?
Die Schweigenden verhehlend gift'gen Groll,
Die Redenden beredt durch Unverschämtheit.

Und ihr wollt uns des dunkeln Rechtes Grund,
Das Grundrecht setzen ihr für alle Fernen?
Was unbefugt selbst aus der Weisheit Mund,
Das soll das Volk aus eurem Munde lernen?

Allein ihr seid bescheiden, wie mir däucht:
Der Geist der Zeit steht ein für eure Reden!
Den Geist der Zeit, ich ehr' ihn auch vielleicht,
Hat erst die Zeit den Geist, kundbar für Jeden.

Doch schaut umher in aller Länder Kreis,
Wo lebt ein Mann, ein Einz'ger unter Allen,
Der Bürgschaft gibt, daß er das Aechte weiß,
Daß Gottes Schöpferhauch auf ihn gefallen?

Gab's eine ärmre je, als unsre Zeit
An Männern und an Werken und an Geistern?
Und aus so Vieler Mittelmäßigkeit
Wollt ihr Vortrefflichkeit des Ganzen kleistern?

"Allein die Bildung sei jetzt allgemein!" -
Als wäre Bildung eine fert'ge Größe,
Die man, wie ins Gefäß den firnen Wein,
Ein Todtes in ein Unlebend'ges göße!

Wie du die Bildung aufnimmst, sie erfaß'st,
Das macht den fremden Geist in dir lebendig!
Das bunte Wissen, es vermehrt die Last,
Ein Thor ist, wer gelehrt und nicht verständig.

Die Großen aber, die, nun modernd längst,
Dich eingesetzt zu ihrer Bildung Erben,
Hat Einer je gedacht, wie du nun denkst?
Bürgt Einer, daß dein Umsturz nicht Verderben?

Darum erkennt die Zeit und euern Werth,
Zugleich den Werth von dem, was längst vorhanden,
Was sich zur zweiten Körperwelt verklärt,
Die Segen durch Bestand, ob unverstanden.

Doch wie du Körper ändern sollst, ja mußt,
Soll sie der Zweck zum Nutzen dir gestalten,
So laß dich auch nicht schrecken den Verlust,
Zu ändern und zu bessern an dem Alten.

Wollt ihr auf festen Grund das Neue baun,
Soll Welt und Mitwelt euch's mit Danke lohnen,
Denn eurer Klugheit wollen wir vertraun,
Mit eurer Weisheit mögt ihr uns verschonen.


  Franz Grillparzer . 1791 - 1872






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