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Franz Grillparzer
Gedichte . 1872



Napoleon

(1821.)

So stehst du still, du unruhvolles Herz,
Und bist gegangen zu der stillen Erde?
Was fünfzig Jahr' voll Hoheit und Beschwerde,
Was Heldenlust nicht gab und Heldenschmerz,
Das fand'st du endlich nun im Schoß der Erde!
Ein Sohn des Schicksals stiegest du hinab -
Verhüllt wie deine Mutter sei dein Grab.

Das Fieber warst du einer bösen Zeit;
Vielleicht bestimmt des Uebels Grund zu heben.
So flammtest du durchs aufgeregte Leben!
Doch, wie des Krankenlagers Aengstlichkeit,
Dem Fieber pflegt der Krankheit Schuld zu geben,
Schienst du allein der Feind nur aller Ruh',
Und trugst die Schuld, die früher war als du!

Was sie gesündigt ohne Unterlaß,
Was sie gefrevelt seit den frühsten Tagen,
Ward all zusammen auf dein Haupt getragen,
Du duldetest für Alle Aller Haß!
Dich ließen sie nach jenem Schimmer jagen,
In dem sich Jeder gerne selbst gesonnt,
Wie du gewollt, nur nicht wie du gekonnt!

- Denn seit du fort, fließt nun nicht mehr das Blut,
In dem vor dir schon alle Felder rannen?
Ward Lohn den gegen dich vereinten Mannen?
Ist heilig das von dir bedrohte Gut?
Die Tyrannei entfernt mit dem Tyrannen?
Ist auf der freien Erde, seit du fort,
Nun wieder frei: Gedanke, Meinung, Wort? -

Dich lieben kann ich nicht! - Dein schweres Amt
War: eine Geißel Gottes sein hienieden.
Das Schwert hast du gebracht und nicht den Frieden, -
Genug hat dich die Welt darum verdammt!
Doch jetzt sei Urtheil vom Gefühl geschieden,
Das Leben liebt und haßt; der Todten Ruhm
Ist der Geschichte heil'ges Eigenthum.

Zum mind'sten wardst du strahlend hingestellt,
Zu kleiden unsrer Halbheit ekle Blöße,
Zu zeigen, daß noch Hoheit, Ganzheit, Größe
Gedenkbar sei in unsrer Stückelwelt,
Die sonst wohl gar im eignen Nichts zerflöße,
Daß noch die Gattung da, die starker Hand
Bei Cannä schlug, bei Thermopylä stand.

Und so tritt hin denn, in der Herrscher Zahl,
Die ewig leben auf der Nachwelt Zungen!
Zum Alexander, der die Welt bezwungen,
Zum Cäsar, der, mit tadelnswerther Wahl,
Am Rubicon zur Herrschaft vorgedrungen,
Zum - - stellt kein Held sich mehr als Gleichniß ein?
Und ist man streng da, wo die Wahl so klein?

Geh' hin und sag' es an: der Zeiten Schoß,
Er bringt noch fürder: Mäkler, Schreiber, Pfaffen -
- Die Welt hat nichts mit Großem mehr zu schaffen,
Und ringt sich auch einmal ein Löwe los,
Er wird zum Tiger unter so viel Affen.
Wie soll er schonen, was hält länger Stich,
Wenn Niemand sonst er achten kann als sich?

Geh' hin, und Ruhe sei mit deinem Tod,
Ob du die Ruhe gleich der Welt gebrochen!
Hat doch ein Größerer bereits gesprochen:
"Von Höherm lebt der Mensch als nur vom Brod!"
Das Große hast am Nied'ren du gerochen,
Und sühnend steh' auf deinem Leichenstein:
Er ward zu groß, weil seine Zeit zu klein!


  Franz Grillparzer . 1791 - 1872






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