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Gedichte, Lyrik, Poesie

Gedichte
162 Bücher



Franz Grillparzer
Gedichte . 1872



Sinngedichte und Epigramme

(Zur Zeitgeschichte.)


Geht mir mit eurem historischen Lichte,
In dem ihr Daten und Zahlen gebt:
Ihr seid die Todtenbeschauer der Geschichte,
Ich habe sie schauend durchlebt.



Fortschritt.

Ein Mittel wird dem Fortschritt immer bleiben:
Wenn er nicht übertreffen kann, zu übertreiben.
Und bei der Einzelnen schmählichen Ermattung;
Der Kultus der Nationen und der Gattung.



Der Geist der Zeit ist nur ein Traum,
Oft ist nur Mode das Bewunderte;
Doch Ein Geist macht sich immer Raum,
Der Geist, der stille, der Jahrhunderte.



Was klein um klein, und Griff um Griff,
Polypenartig sich erweitert,
Wird endlich zum Korallenriff,
An dem manch' hohles Staatsschiff scheitert.



Ihr seid zu jeder Zerstörung bereit,
Reißt nieder, daß Neues entstehe.
Ihr seid damit wohl auf der Höhe der Zeit,
Doch ist d'rum die Zeit auf der Höhe?



System.

Ich weiß ein allgewaltig Wort,
Auf Meilen hört's ein Tauber,
Es wirkt geschäftig fort und fort
Mit unbegriffnem Zauber,
Ist nirgends und ist überall,
Bald lästig, bald bequem,
Es paßt auf ein und jeden Fall,
Das Wort, es heißt: System.



Grundsätze, Freund, Principien
Sind's, die den Staatsmann führen,
Sie geben Haltung, hält man sie,
Und lassen sich ignoriren.



In Politik zwei wicht'ge kleine Dinger
Sind Daumen eben und Zeigefinger.
    Sie halten die Feder,
    Das weiß ein Jeder;
Doch Wicht'gres noch wird oft durch sie betrieben,
Wenn sie sich übereinander schieben.



Sie seh'n die Flut den Schlamm von Grund aus mischen,
Und Jeder zittert selbst vor der Gefahr,
Sie alle möchten gern das Wasser klar,
Doch freilich vorher auch im Trüben fischen.



Nationalität.

Ein Vorzug bleibt uns immer unverloren,
Man preist ihn heut' als Nationalität,
Er sagt: daß irgendwo der Mensch geboren,
Was freilich sich von selbst versteht.



Nationaltracht.

Auch in der Kleidung unterscheidet euch!
Wollt euern Fehl nicht auf die Menschheit wälzen!
Die gleiche Bildung macht die Trachten gleich,
Die Thiere aber geh'n noch heut' in Pelzen.



Der Weg der neuern Bildung geht:
Von Humanität,
Durch Nationalität,
Zur Bestialität.



Militär und Pfaffen
Geben uns zu schaffen.
Pfaffen und Militär
Machen Kopf und Beutel leer.



Warnung.

Willst du von Fortschritt reden, mein armer Christ,
Mußt sicher du sein zu jeder Frist,
Daß du auf dem rechten Wege bist;

Sonst führt dein Plagen, fort und viel,
Dich immer weiter ab vom Ziel,
Und all dein Fortschritt will nichts bedeuten,
Als seitwärts oder rückwärts schreiten.



Den Deutschen.

Dem Bergesgipfel naht ihr der Kultur,
Von Feldern und Pfaden längst keine Spur,
Das Knieholz fängt bereits schon an,
Kaum kurzes Gras auf eurer Bahn.
Steigt ihr noch weiter, wie ich seh',
Erreicht ihr bald den ewigen Schnee.



Deutsche, werdet wahr!
Ihr seid's vielleicht gegen andre,
Doch nicht gegen euch selbst.
Die Lüge gegen andre ist Sünde,
Die Lüge gegen sich Verkehrtheit,
Trotz Wissen und trotz Gelehrtheit.



Historisch! Nur historisch
Hält euern Geist gefangen?
Und heißt doch, wie notorisch,
Das eben, was vergangen.



Der Staat stützt sich auf Adel und Kirche,
Die beide sich wieder nur stützen auf ihn,
Das gleicht dem Versuch des Baron Münchhausen,
Am eigenen Zopf aus dem Sumpf sich zu zieh'n.



Nichts, was nur ächt historisch ist,
Gieng je in diesem Land verloren,
Drum herrschen zwei Parteien itzt:
Die Wichte und die Thoren.



Homöopathisch ist die Kur,
Heilt man mit Rückwärtsschritten,
Was Pfaffen und Ignoranz gethan
Durch Dummheit und Jesuiten.



1848.

Der Freiheitsdrang, der uns kam über Nacht,
Wird, fürcht' ich, wenig leisten,
Wißt ihr, was mir ihn verdächtig macht? -
Die Lumpe ergreift er am meisten.



Ein einzelner Sinn wird leicht gestört,
Sie müssen mitsammen gehen.
Nun hab' ich genug von der Freiheit gehört,
Möcht' einmal von ihr was sehen.



Radikal und Konservativ.

Der Unterschied beider Parteigebilde
Ist werth nicht, daß man ein Wort verliere;
Es sind nun eben: die einen, wilde,
Die andern dagegen zahme Thiere.



Liberalismus.

Lern' erst, was Freiheit will zu Recht bedeuten,
Eh' Wort und Wahlspruch du entlehnst von ihr.
Nicht nur, daß selbst du dienstbar keinem Zweiten,
Nein, auch kein Zweiter dir.



Die Henne erhebt ein groß Geschrei
Bei jedem gelegten wirklichen Ei,
In Oestreich aber lärmen die Schreier
Schon über ungelegte künftige Eier.



Neuerer.

Was schwatzt ihr mir von einer neuen Zeit?
Die Zeiten hatten sich, es ist nicht lang, erneut.
Was aber jetzt für neue Zeit sie halten,
Ist nur verdeckte Wiederkehr zur alten.



Die Zeitideen werden sich da am vollsten drängen,
Wo keine eignen ihnen den Platz beengen.



Scheint Einer auch hell und stark und weit,
Der Zunftgeist wird jeden überraschen,
Die größten Helden der neuern Zeit,
Sie tragen denn doch auch Kamaschen.



Radetzky.

1.
(1848.)

Will dich der Reichstag nicht erkennen,
Sei nicht erzürnt ob solchen Streichs:
Der Reichstag ist ein Tag des Reichs;
Doch die Jahrhunderte des Reiches,
Sie werden Schützer dich und Retter nennen,
Und, die besonnen, thun schon jetzt ein Gleiches.

2.
(1849.)

Was wundert ihr euch, daß er Wunder thut,
Er, der ja selber ein Wunder,
Der im Alter, wo Andern erloschen die Glut,
Noch heiß von der Jugend Zunder.

Spart euer Wunder noch manches Jahr,
Bis er, statt achtzig, hundert,
Bis grau seine Kraft, wie leider sein Haar,
Jetzt, statt euch zu wundern, bewundert.



Juristen:
Schlechte Christen;
Macht ihr einen zum Minister,
Wird ein guter Christ er.



Der Diplomat.

Ein umgekehrter Talleyrand,
Obwohl sonst gern sein Affe,
Fängt er mit dem Minister an
Und endiget als Pfaffe.



Viribus unitis, der schöne Spruch
Heilet nur halb der Trennung Fluch,
Wenn, was ihr als Völker Eines nennt,
Ihr wieder als Glaubensparteien trennt.



An einen Unterrichtsminister.
(1854.)

Einen Selbstmord hab' ich euch anzusagen,
Der Kultusminister hat den Unterrichtsminister todtgeschlagen.



Grabschrift.
(Fürst M.)

Hier liegt, für seinen Ruhm zu spät,
Der Don Quixote der Legitimität,
Der Falsch und Wahr nach seinem Sinne bog,
Zuerst die Andern, dann sich selbst belog,
Vom Schelm zum Thoren ward bei grauem Haupte,
Weil er zuletzt die eignen Lügen glaubte.



Ungarn.

Stets gährend und nie ausgegohren,
Bracht' euch der Fortschritt wenig Frommen:
Die Tugenden der Wildheit habt ihr verloren,
Und die der Bildung noch nicht bekommen.



Postulata.

Preßfreiheit steht dort oben an,
Wo - unschuldvolles Treiben -
Das halbe Land nicht lesen kann,
Das andere nicht schreiben.



Konkordat.

Um recht tugendhaft zu leben,
Will ich meinen Diener zur Macht erheben,
Mir bei jedem sündhaften Bestreben
Eine Ohrfeige zu geben.



Eilt, das Konkordat zu verkündigen,
Kastrirt euch selbst, um nicht zu sündigen.



Excommunikation.

Ob die frühere Macht der Kirche frommt,
Will man von neuem versuchen;
Bis nun der erwartete Segen kommt,
Treibt vorderhand sie das Fluchen.



Deutscher Bund.

Der deutsche Bund war nicht schlecht von Haus,
Gab auch Schutz in jeder Fährlichkeit,
Nur setzt' er etwas Altmodisches voraus:
Die Treue und die Ehrlichkeit.



Ein Minister.

So ist denn dein Vergang'nes todt,
Seit dir's nicht mehr vonnöthen?
Du warst doch sonst so ziemlich roth,
Und kannst nicht mehr erröthen.



Jesuiten.

Die Schweizer worfeln tüchtig d'rauf,
Die Frucht fällt dicht dabei,
Doch Oestreich hält noch oben auf
Und sammelt sich - die Spreu.



Politik.
(Vor dem Kriege 1859.)

Ich sah einen Rudel Gassenbuben,
Wie kaum entschlüpft aus des Lehrers Stuben,
Die warfen sich mit Ballen von Schnee
Und lachten, that's einem im Fallen weh.
Sie waren mit Ekelnamen nicht faul
Und streckten die Zunge aus ihrem Maul.
Ei, dacht' ich in meinem Sinne, ei
Und so was duldet die Polizei?
Da gewahrt' ich Gold in ihren Haaren
Und sah erst, daß es Könige waren.



Türkische Wirren 1853.

Für Oestreich bleibt's bei der Regel, der alten:
Reconvalescenten sollen sich ruhig verhalten.



Orden pour le mérite.

Den Orden, der französisch hieß,
Hat man auf deutsch geschnitten
Und gibt ihn halb an das Verdienst,
Und halb an die Meriten.



Deutsches Selbstgefühl.

"Das Ausland schätzt und lobt uns allgemach,
Nur seine Kenntniß unsrer ist gering zu nennen."
Mein Freund, der Mangel zieht den Vortheil nach,
Sie loben minder uns, wenn sie uns besser kennen.



Englische Gevatterschaft.

Ihr schwärmt entzückt, mit begeisterten Blicken,
Für die Freiheit der Länder, die ohne Fabriken.



Englisch.

Klebt man gar zu sehr am Alten,
Wird's zuletzt doch morsch und faul,
Von eurer Freiheit habt ihr nichts behalten,
Als das ungewasch'ne Maul.



Carlo Alberto.

Das Schwert Italiens? Mag wohl sein!
Zum wenigsten für Solche,
Die Schwerter dort sind etwas klein,
Bei uns nennt man sie Dolche.



Lobt nicht gar zu sehr den Grafen Cavour,
Als wär' er allein Italiens Heiland nur,
Der eigentliche Befreier der spazzo-camini,
War denn doch der selige Orsini.



Fabins Cunctator.
(1815.)

Kein Mittel wollte sich fügen,
Napoleons Macht zu besiegen,
Mit List, mit Verrath, mit Macht, mit Geld,
Vergebens: er blieb der Meister der Welt.
Nur Wellington ward einer Gabe froh,
Worin er mit Keinem den Rang theilt,
Und hat mit Erfolg bei Waterloo
Den Helden zu Tode gelangweilt. -



Louis Napoleon.

1.
Dein Oheim ist dein Ideal,
Du suchst ihm in allem zu gleichen,
Schon ist die Kopie ganz Original,
Bis auf das Meisterzeichen.

2.
Unbesonnenheit statt Muth,
Und Unverschämtheit statt Verstand;
Setzt sich der Adler auf deinen Hut,
Doch folgt er d'rum deiner Hand?

3.
(1852.)

Von seiner Weisheit tönt ein Geschrei
Bis in Europas letzten Winkel:
Mir scheint er klug aus Schurkerei,
Und dumm aus Eigendünkel.

4.
(1853.)

Du hast die Stimmen in Wort und Schrift,
Bist anerkannt wie ein Aechter;
Nun fürchte dich nicht vor Dolch und Gift,
Dir droht ein Aergres: das Gelächter.


Napoleon,
Polisson,
Ein Gamin in der Mitte,
Macht genau: Coquin der dritte.



Ob er der zweite, der dritte gar,
Streit' Einer, bis er berste,
Eins ist gewiß und sicher wahr,
Daß keinenfalls er der Erste.



Französische Zustände.

Legitimität,
Autorität,
Nationalität,
Absurdität,
Servilität,
Bestialität.


  Franz Grillparzer . 1791 - 1872






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